Sternarchorhynchus aus Peru

Der eigentümliche Sternarchorhynchus, der heute Thema unseres Blogs ist, stammt aus Peru und gehört zu der Familie Apteronotidae. Die Artenzahl in der Gattung Sternarchorhynchus ist in den vergangenen Jahren geradezu explodiert. 1994 waren gerade einmal 4 Arten bekannt, 2006 erhöhte sich die Artenzahl auf 10 und heute (2021) sind 32 Arten anerkannt! Damit ist Sternarchorhynchus die artenreichste Gattung innerhalb der Apteronotidae. Die Artunterschiede liegen vor allem in der Ausprägung der Schnauze. Die Artzugehörigkeit kann man bei lebenden Tieren nur ganz grob bestimmen, sie werden darum meist als Sternarchorhynchus mormyrus im Handel geführt; diese Art wurde bereits 1868 wissenschaftlich beschrieben. Es ist aber auch möglich, dass die fotografierten Exemplare der Art Sternarchorhynchus goeldii zuzuordnen sind, eine erst 2010 beschriebenen Art. S. mormyrus wird etwa 50 cm lang, S. goeldii rund 30 cm. Die Fische auf den Fotos sind 14-16 cm lang.

Viel spannender als die Frage nach der Artzugehörigkeit ist aber das Verhalten der Tiere. Sie sind untereinander nämlich nicht so sonderlich gut verträglich, was übrigens für die meisten Messerfische gilt. Es kommt aber nicht zu Beschädigungskämpfen, sondern in unglaublicher Eleganz und großer Geschwindigkeit gleiten die Tiere umeinander und mache die Rangordnung dadurch aus, wer der bessere Schwimmer ist. Eine besondere Rolle kommt bei dem Kampf der Schnauze zu, die wie beim Florett als Fechtwaffe eingesetzt wird. Wir dokumentieren dieses faszinierende Verhalten hier erstmals im Bild. Die Ernährung von Sternarchorhynchus ist im Aquarium problemlos mit Frost- und Lebendfutter möglich, besonders beliebt und als Futtergrundlage gut geeignet sind gefrostete Rote Mückenlarven.

Die Nachzucht etlicher Messeraale ist schon gelungen, hauptsächlich in den Labors von Frank Kirschbaum, der eine Technik entwickelt hat, um eine Regenzeit zu simulieren. Dadurch wird die Gonadenentwicklung (Hoden, Eierstöcke) erst möglich. Im Prinzip funktioniert das so, dass man den Leitwert des Wassers kontinuierlich über mehrere Wochen senkt, indem man destilliertes Wassers für die Wasserwechsel verwendet. Es ist oft nötig, zuvor eine mehrwöchige „Trockenzeit“ mit relativ hohen Temperaturen (24-30°C) und steigendem Leitwert ohne Wasserwechsel durchzuführen, wobei natürlich Fingerspitzengefühl gefragt ist, um die Fische nicht zu schädigen. Brutpflege üben die Apteronotidae – so weit untersucht – nicht aus. Die Eier werden bei den Arten, die auch gewerblich gezüchtet werden (hauptsächlich Apteronotus albifrons) in Gesteins- oder Wurzelspalten abgelegt. Insgesamt wird die Nachzucht von Apteronotidae wenig praktiziert, da der sehr geringe aquaristische Bedarf gut durch Wildfänge zu decken ist und es keinen Markt für regelmäßig anfallende größere Stückzahlen aus Nachzuchten gibt. Aber für Aquarianer*innen mit Forscherdrang sind die Messeraale exzellente Aquarienfische, an denen es unendlich viel zu beobachten gibt.

Eine weitere Sternarchorhynchus-Art aus Peru, vielleicht S. roseni.

Lexikon: Sternarchorhynchus: bedeutet „Schnauze mit dem After an der Brust“; der Name bezieht sich einerseits auf die lange Schnauze und andererseits auf die Tatsache, dass bei den Tieren der After direkt hinter dem Kopf sitzt. mormyrus: bedeutet „wie ein Nilhecht“; Nilhechte aus Afrika (Mormyrus) haben auch eine lange Schnauze. goeldii: Widmungsname für Emilio (eigentlich: Emil) Goeldi (1859-1917) für seine Verdienste um die Erforschung der Tierwelt Amazoniens.

Text & Photos: Frank Schäfer


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Die LSD-Kröte: Incilius alvarius

Alle Amphibien produzieren Hautgift. Das dient der Abwehr von Bakterien, Pilzen und Fressfeinden. Berühmt ist das in der Blutbahn tödliche Gift der Pfeilgiftfrösche (essen kann man es ohne Gefahr). Die Colorado-Kröte (Incilius alvarius) produziert normales Krötengift (Bufotoxin), aber auch noch Bufotenin und Dimethyltryptamin, die beide halluzinogen wirken. In den 1990ern leckten darum viele an den Kröten. Lecker??? Mehr dazu finden Sie hier: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13691831.html. Heutzutage ist das Krötenlecken wohl wieder aus der Mode gekommen.

Phyllobates terribilis, die giftigste Art der Pfeilgiftfrösche. Es sind keine Unfälle mit in Terrarien gepflegten Tieren dokumentiert.

Unvernünftige Drogies, die sich nun zum freiwilligen Krötenzaunbegehen melden und glauben, sie könnten sich durch das Abschlecken heimischer Arten auf einen billigen Trip schicken, seien nachdrücklich gewarnt: erstens funktioniert das nicht, weil den heimischen Arten die halluzinogenen Komponenten fehlen und zweitens ist das sehr gefährlich, da das Gift der heimischen Arten ähnlich wie Fingerhutgift wirkt und zum Herzstillstand führen kann!

Die heimische Erdkröte (Bufo bufo) hat keine halluzinogenen Komponenten in ihrem Gift.

Die Gattung Incilius wurde früher zu Bufo gezählt und umfasst gegenwärtig 39 anerkannte Arten. Die Verbreitung der Gattung erstreckt sich von den südlichen USA südlich bis Panama und von dort aus entlang der pazifischen Abdachung Mittelamerikas bis nach Equador. Die Frage nach der Gültigkeit von Incilius als vollwertige Gattung (nicht nur als Untergattung von Bufo) wurde erst kürzlich in einer Arbeit untersucht und bestätigt: Mendelson, J. R., III, D. G. Mulcahy, T. S. Williams, and J. W. Sites, Jr. 2011. A phylogeny and evolutionary natural history of mesoamerican toads (Anura: Bufonidae: Incilius) based on morphology, life history, and molecular data. Zootaxa 3138: 1–34.

Incilius alvarius, die Colorado-Kröte

Die Colorado-Kröte ist in den südlichen USA und in Mexiko verbreitet: in den USA vom äußersten Südosten Kaliforniens, dem südlichen Arizona und dem äußersten Südwesten von New Mexiko, in Mexiko im angrenzenden Chihuahua südlich durch Sonora und dem nordwestlichen Sinaloa. Hier besiedelt die Kröte wüstenartiges Buschland, aber auch Eichenwälder und Wachholder-Grasland. Sie kommt also oft in ziemlich trockenen Habitaten vor und findet sich sowohl in der Nähe permanenter Gewässer wie auch weit entfernt davon. Zur Eiablage nutzt sie eine Vielfalt von Gewässertypen, sowohl temporäre wie auch permanente, nur zu starke Strömung darf das Gewässer nicht aufweisen. Als Tagesversteck nutzt die Colorado-Kröte gerne Nagerbauten.

Dieses Exemplar geniest offensichtlich sein Dasein und ist tiefenentspannt.

Incilius alvarius ist – wie die meisten Kröten – ein sehr angenehmes Terrarientier, das eine gewisse Zahmheit entwickelt. Aufgrund ihrer Größe, die Art erreicht eine Länge von bis zu 19 cm, wobei Männchen kleiner bleiben, sollte man ein relativ großes Terrarium wählen. Dabei spielt weniger der Bewegungsdrang der Tiere eine Rolle, als ihr Stoffwechsel. Derartig große Kröten fressen alles, was ins Maul passt, Regenwürmer, Schnecken, Insekten und Gliedertiere aller Art, andere Amphibien, Reptilien und kleine Säuger. Alles, was vorne reinkommt, muss in veränderter Form hinten wieder raus und in zu kleinen Terrarien führt das zur Verjauchung des Bodengrundes.

Richtig untergebracht steht den Kröten in menschlicher Obhut ein langes Leben bevor. In der Natur setzt sich die Population hauptsächlich aus 2-4-jährigen Tieren zusammen, sie werden hier wohl durchschnittlich 5 Jahre alt, der Haltungsrekord eines adult gefangenen Exemplares liegt bei 15 Jahren, 5 Monaten und 16 Tagen.

Die Art ist nicht oft, jedoch ab und zu im Handel; sie gilt in der Natur als nicht bedroht (http://www.iucnredlist.org/details/54567/0) und unterliegt auch keinen Handelsbeschränkungen. Kürzlich hatte sie z.B. der Terraristik-Großhändler Tropenparadies in Oberhausen (www.tropenparadies.org) in seinem Angebot. Das imposante Tier eignet sich auch gut für Schauhaltungen und ist gegenwärtig in mehreren deutschen Zoos vertreten. http://www.zootierliste.de/?klasse=4&ordnung=403&familie=40308&art=3070311

Mehr Lesestoff zum Thema Frösche und Kröten finden Sie hier: https://www.animalbook.de/navi.php?suche=fr%F6sche&Sortierung=0&af=90

Frank Schäfer


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Trichomycterus alternatus: Im Schatten des Vampirs

Fische haben das gleiche Problem wie Menschen: sie können sich ihre Verwandten nicht aussuchen! Und so leidet der gute Ruf eines kleinen Welses arg unter dem Leumund einiger seiner Vettern. Der am meisten gefürchtete Fisch Südamerikas ist der Candiru (hinter dem Namen verbergen sich mehrere Arten und Gattungen, das braucht an dieser Stelle aber nicht zu interessieren), denn dieser Fisch kann in die Harnröhre des Menschen eindringen, wenn dieser unter Wasser uriniert. Die Folge sind furchtbare, oft tödliche Infektionen, denn durch Widerhaken an den Kiemendeckeln kann der Fisch nicht wieder zurück. Er stirbt und verseucht sein Opfer von innen heraus.

Männchen von Trichomycterus alternatus

Natürlich ist das nicht der Lebenszweck des Candirus. Der liegt vielmehr darin, das Blut aus den Kiemen riesiger Raubwelse zu saugen. Wenn  ein Candiru in eine Harnröhre schwimmt, verirrt er sich also bloß. Aber auch das Blutsaugen macht den Candiru nicht eben sympathischer…

Weibchen von Trichomycterus alternatus

Das ist schade, denn der Candiru hat Verwandte, die ganz entzückende und hochinteressante Aquarienfische sind. Eine dieser Arten ist Trichomycterus alternatus aus Brasilien. Die etwa 10 cm lang werdenden Fische sind muntere und friedliche Fische, die an Bachschmerlen mit Schnauzbart erinnern. Besonders interessant ist, dass die Geschlechtsunterschiede (Männchen und Weibchen sind unterschiedlich gefärbt, dazu haben die Männchen längere und breitere Brustflossen) und die Jugendfärbung genau wie bei unseren heimischen Bachschmerlen (Barbatula barbatula) sind.

Jungfisch von Trichomycterus alternatus

Bezüglich der Fütterung ist dieser Schmerlenwels völlig unproblematisch. Die Art liebt die Geselligkeit und sollte immer im Trupp gehalten werden, sonst sind die Fische scheu. Die Temperatur kann zwischen 22 und 25°C liegen, an das Wasser werden keine besonderen Ansprüche gestellt, es sollte allerdings sauber und sauerstoffreich sein. Da die Fische aus stark strömenden Bächen stammen, lieben sie entsprechend starke Filterung.

Halbwüchsiges Exemplar

Frank Schäfer


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Höhlenschmerlen: Schistura cf. jarutanini

Die Bachschmerlen der Gattung Schistura sind in Süd- und Südostasien weit verbreitet und bilden hunderte von Arten aus, von denen viele wissenschaftlich noch unbeschrieben sind. Nahezu jedes Fließgewässer beherbergt eine oder mehrere Arten. So verwundert es nicht, dass einige dieser Schmerlen zu Höhlenbewohnern geworden sind.

Gänzlich blindes Exemplar

Eine ganz besondere Art konnte schon einmal in kleiner Stückzahl aus Thailand importiert werden: Schistura cf. jarutanini. Da alle Höhlenfische ganz generell nur eine vergleichsweise geringe Verbreitung haben, hat sich der Handel bei solchen Arten bezüglich der Importe eine mengenmäßige Selbstbeschränkung auferlegt, um eine Gefährdung der natürlichen Populationen von vornherein auszuschließen.

Exemplar mit stark reduzierten Augen

Das Besondere an den Schistura cf. jarutanini ist, dass es sich offenbar um eine Art handelt, bei der wir Augenzeuge der Evolution sind. Denn es gibt Tiere, die schon (wie für Höhlenfische üblich) blind sind und keine äußerlich sichtbaren Augen mehr aufweisen, aber auch Exemplare mit zwar kleinen, aber voll funktionstüchtigen Augen. Und es gibt Zwischenformen, bei denen Augen vorhanden, jedoch missgebildet sind. Die Färbung ist hochvariabel, je blinder die Tiere sind, desto weniger kontrastreich gefärbt erscheinen sie.

Dieses Tier hat fast normale Augen

Im Aquarium sind diese Fische sehr leicht haltbar. Sie sind Allesfresser, bei denen man darauf achten muss, dass sie nicht zu fett werden. Untereinander und gegen andere Fischarten sind sie friedlich. Besonders auffallend ist die ruhelose Schwimmweise der Schmerlen, die kaum jemals still sitzen. Alles in allem handelt es sich – auch wegen der Seltenheit der Tiere – zwar um Fische für ausgesprochen spezialisierte Aquarianer, die jedoch alles bieten, was sich ein Forscherherz wünscht.

Frank Schäfer

Mehr Lesestoff zum Thema gibt es hier: https://www.animalbook.de/navi.php?qs=schmerle


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Gehören Wildtiere in die Natur?

Es ist erschreckend, mit welchem unerbittlichen Missionierungsdrang in jüngster Zeit die Tierhaltung generell ablehnende Menschen, die sich selbst als Tierschützer oder Tierrechtler bezeichnen, gegen ihre tierhaltenden Mitmenschen vorgehen. Im Fokus stehen derzeit die Exotenhalter. Gemeint sind damit aber eigentlich Wildtierhalter, denn die Herkunft – ein Exot ist ein Lebewesen, das aus fremden Ländern stammt – spielt in der Argumentation eine absolut untergeordnete Rolle. Dem Wildtierhalter wird rücksichtslose Grausamkeit unterstellt, da der Wildtierhalter in dem Wissen, niemals allen Ansprüche des Tieres, die in der Natur erfüllt sein müssen, damit das Tier dort überleben kann, gerecht werden zu können, trotzdem die bedauernswerte Kreatur der Natur entreißt und in Gefangenschaft einpfercht, letztendlich um am Leid des Tieres perverses Vergnügnen zu finden. Die selbst ernannten Tierschützer und Tierrechtler postulieren, eine tier- und artgerechte Haltung von Wildtieren sei per se unmöglich, ein Widerspruch in sich, denn ein Wildtier gehöre nun einmal in die Natur.

Ist das so? Gehören Wildtiere in die Natur? Ich erinnere mich, schon als kleiner Junge diesen Spruch gehört zu haben. Ich war damals vielleicht 6 oder 7 Jahre alt, Tiere waren schon immer mein ein und alles. Da ich in ländlicher Umgebung aufgewachsen bin, schleppte ich auch öfter kranke oder verletzte Wildtiere nach Hause, die ich auf meinen ausgedehnten Streifzügen durch die Natur gefunden hatte, z.B. Vögel mit gebrochenen Flügeln oder Schlangen und Blindschleichen, deren zerschmettertes Rückgrat deutlich zeigte, dass irgendwer mit einem Stock auf das „giftige Vieh“ eingeschlagen hatte. Auch verwaiste Jungtiere waren darunter. Die Überlebenschancen solcher Tiere sind selbstverständlich minimal, in der Natur sterben sie auf jeden Fall. Dennoch war ich über jedes Tier, das starb, todtraurig. Dann trösteten mich meine Eltern gerne mit dem Spruch, dass wilde Tiere nun einmal in die Natur gehörten und in menschlicher Obhut nicht gedeihen können, dass es also nicht meine Schuld war. Ich solle die Tiere halt lassen, wo sie waren, die Natur geht ihren Gang.

Für ein Grundschulkind mag diese Argumentation zum Trost ja noch angehen, aber für einen erwachsenen, reflektierten Menschen ist sie lächerlich, nicht zu Ende gedacht und philosophisch unhaltbar. Denn wer bestimmt, wo Tiere, Pflanzen und Menschen hingehören, wer legt fest, worin der Sinn ihres Daseins besteht? Gibt es eine ordnende, allwissende Schöpfermacht, die diese Dinge festlegt? Es ist unerheblich, ob man an eine solche göttliche Macht glaubt oder nicht. In beiden Fällen ist der Spruch „Wildtiere gehören in die Natur und nicht in Gefangenschaft“ objektiv falsch. Denn wenn es die göttliche Schöpfermacht gibt, so hat sie auch uns Menschen erschaffen. Und zwar mit dem für viele von uns unwiderstehlichen Drang, Tiere zu pflegen. Es gäbe die Spezies Mensch ohne diese Fähigkeit wohl längst nicht mehr. Der Mensch ist die einzige Art auf diesem Planeten, die Tiere und Pflanzen pflegt. Man kann die Art Homo sapiens sogar danach definieren, dass sie Tiere und Pflanzen hält.

Wollen diese Schlüsselblumen wirklich lieber in Freiheit als in meinem Garten leben?

Glaubt man nicht an eine Schöpfermacht, trifft der Satz „Wildtiere gehören in die Natur“ erst recht nicht zu. Man kann es also drehen und wenden, wie man will, das Postulat „Wildtiere gehören in die Natur und nicht in Gefangenschaft“ ist einfach falsch. Gehören Tiere also in Gefangenschaft? Nein. Dieser Umkehrschluss ist genauso falsch. Tiere und Menschen gehören nirgendwo hin. Jedes Individuum wurschtelt sich durch, so gut es eben geht. In freier Natur bleiben dabei unter den Wildtieren weit über 90% aller geborenen Individuen auf der Strecke, bevor sie die Geschlechtsreife erreichen. Das ist immer so, egal bei welcher Art, bei den Fischen liegt die Mortalitätsrate vor Eintritt der Geschlechtsreife in der Natur sogar bei über 99%.  In Gefangenschaft sind die individuellen Überlebenschancen erheblich größer. Legt ein Pärchen Neonfische in der Natur während der Fortpflanzungsperiode z.B. 600 Eier*, von denen – statistisch gesehen – nur zwei Tiere überleben und ihrerseits erwachsen werden (also 0,3% der Nachkommenschaft), zieht ein erfahrener Züchter von 600 Jungtieren leicht 200-300 Tiere (also 30-50%) auf, in kommerziellen Zuchtbetrieben liegt die Überlebensrate sogar noch deutlich höher. Ist also das Leben in Gefangenschaft das Paradies für Tiere? Auch diese Frage muss wohl verneint werden, wenngleich z.B. Hausschweine aus evolutionärer Sicht den ganz großen Wurf gemacht haben. Denn wenn der Sinn des Lebens eines Lebewesens darin besteht, die eigenen Gene möglichst stark zu vervielfältigen (das ist, wie sämtliche naturwissenschaftiche Forschung zeigt zumindest das, was alle Tiere, Pflanzen, Pilze, Bakterien etc. tun, wonach sie streben), so gab es wohl noch zu keinem Zeitpunkt der Erdgeschichte eine derart erfolgreiche Art, wie die gemeine Hauswutz, von der Millionen von Exemplaren mit einem sehr kleinen Genpool existieren…

Das Hausschwein, ein Hauptgewinner in Sachen evolutionärer Erfolg.

Aber ensthaft: Tiere haben einfach keine Wahl, sie sind dazu auch intellektuell gar nicht in der Lage. Extrapoliert man das menschliche Verhalten auf Tiere, so muss man sagen, dass sich die gewaltige Mehrheit gegen ein Leben in Freiheit entscheidet, wenn sie die Wahl hat. Die Wikipedia gibt die Zahl der Obdachlosen, also in weitgehender Freiheit lebenden Menschen, in Deutschland mit etwa 20.000 an, hauptsächlich alleinstehende Männer. Davon wiederum wird eine unbekannte Zahl den Zustand nicht freiwillig gewählt haben und auch nicht als erstrebenswert empfinden. Doch auch diese Menschen gehen den endgültigen Schritt in die Freiheit (im Wildtier-Sinne, also völlige Loslösung von Gesetzen und sozialen Verpflichtungen) kaum jemals, sondern verbleiben fast immer lieber in einer niedrigen sozialen Stellung innerhalb der Zivilgesellschaft. Sicher hinkt dieser Vergleich. Aber Wildtiere kennen, auch das steht fest, keine Naturromantik. Freigelassene Delfine oder Menschenaffen sind oft auf Lebenszeit auf menschliche Unterstützung angewiesen. Und kein wildlebendes Tier ist „zu stolz“, sich anfüttern zu lassen.

Dieser Rote Neon ist ein Nachzuchttier; in der Natur lebt kein Neon länger als ein Jahr, im Aquarium können sie ein Vielfaches dieses Alters erreichen.

Wenn Naturromantiker sich als Tierschützer oder Tierrechtler erklären und aus ihrer sehr vereinfachten Sicht auf die Dinge ein allgemeines Wildtierhaltungsverbot fordern, so ist dieses Verhalten weder ethisch-moralisch hochstehend noch philosophisch zu Ende gedacht. Letzendlich bleibt es eine individuelle Entscheidung, ob man Wildtiere halten möchte oder nicht, also auch, ob man Aquarien und Terrarien betreiben möchte. Niemand hat das Recht, da grundsätzlich hineinzureden.

Finger weg von unserem Hobby!

* Wir wissen, dass Neonfische in einer Fortpflanzungsperiode pro Laichgang zwischen 80 und 120 Eiern legen und das alle 5-6 Tage über einen Zeitraum von mehreren Wochen. In der Natur dürften wegen der schlechten Nahrungslage im Biotop die Zahlen etwas niedriger liegen, daher die relativ niedrig angesetzte Schätzung.

Frank Schäfer


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Blinde Höhlensalmler

Über 90 verschiedene Höhlenfischarten – sie gehören zu 19 Familien – sind bislang der Wissenschaft bekannt. Doch nur eine Art ist zum Aquarienfisch geworden: der Blinde Höhlensalmler aus Mexiko.

Der Blinde Höhlensalmler wurde als Anoptichthys jordani beschrieben.

Seine Entdeckung 1937 war eine Sensation und ist Aquarianern zu verdanken. Es waren Salvador Coronado und C. Basil Jordan von der „Texas-Aquarium-Gesellschaft“, die den Fisch entdeckten und 100 Exemplare in einem der Höhlenteich der Kalksteinhöhle „La Cueva Chica“ (Provinz San Luis Potosi, Zentralmexiko) fingen; alle 100 Exemplare erreichten wohlbehalten und lebend den Wohnort der Fänger, obwohl der Transport zunächst auf dem Pferderücken und dann per Kanu alles andere als einfach war; davon wurden 75 nach Dallas geschickt, die alle lebend ankamen. Auf den Exemplaren dieses ersten Importes in die USA beruht die wissenschaftliche Beschreibung des Blinden Höhlensalmlers als Anoptichthys jordani (= „Jordans augenloser Fisch“), des ersten je bekannt gewordenen Höhlenfisches aus der Familie der Salmler. Und auch alle bis heute im Aquarium gepflegten und im Handel erhältlichen Blinden Höhlensalmler stammen von dieser ersten Aufsammlung ab.

So oder so ähnlich sahen die oberirdisch lebenden Vorfahren der Blinden Höhlensalmler aus. Die Bilder zeigen eine unbestimmte Art aus dem Astyanax-fasciatus-Formenkeis aus Kolumbien.

Zwei weitere Anoptichthys-Arten wurden beschrieben, nämlich A. antrobius (1946) und A. hubbsi (1947); doch man fand in mehr und mehr Höhlen solche Salmler. Bis heute wurden 31 Höhlen mit Anoptichthys entdeckt. Manche waren komplett blind und farblos, so wie A. jordani, aber es gab selbst innerhalb einer Höhle alle denkbaren Übergänge zu vollständig sehenden und pigmentierten Exemplaren. Schon früh war klar, dass der Blinde Höhlensalmler ein Abkömmling der Salmlerform mit der weitesten Verbreitung aller Salmler sein musste, des Fisches, den man als Astyanax fasciatus kennt. A. fasciatus, so wie man die Art damals auffasste, kommt von Texas über ganz Mittelamerika bis nach Brasilien vor. Bis heute ist diese Art weitgehend unverstanden. Man nennt einfach jeden Salmler mit Längsband und Astyanax-Figur A. fasciatus, obwohl es sich, da sind sich alle einig, um einen ganzen Artenkomplex handeln muss.

Die ursprünglich dunkle Binde der oberirdisch lebenden Vorfahren des Blinden Höhlensalmlers ist bei Astyanax jordani als silberglänzendes Band erhalten geblieben.

Es zeigte sich, dass der Blinde Höhlensalmler uneingeschränkt mit der oberirdisch lebenden Form gekreuzt werden kann. Zumindest die Gattung Anoptichthys lässt sich darum nicht aufrecht erhalten, sie ist ein Synonym zu Astyanax. Man kennt „normal“ aussehende Höhlenpopulationen (also mit Augen und Körperzeichnung) von Astyanax fasciatus aus Belize, Costa Rica, der Yucatan-Halbinsel und aus Brasilien. Aber nur in der Provinz San Louis Potosi in Mexiko gibt es vollständig blinde und farblose Tiere. Eine Erklärung dafür gibt es nicht.

Weibchen des Blinden Höhlensalmlers

Das Verhalten der Blinden Höhlesalmler – man sollte sie nach gegenwärtigem Verständnis wissenschaftlich als Astyanax jordani bezeichnen – weicht komplett von dem der oberirdisch lebenden, sehenden Tiere ab. Nicht nur bezüglich der Nahrung. Die Blinden Höhlensalmler müssen oft mit Fledermauskot als einziger Nahrung auskommen, die oberirdischen Salmler sind dagegen Allesfresser mit einem breiten Nahrungsspektrum. Blinde Höhlensalmler bilden keine Schwärme, ihre oberirdischen Vettern schon. Blinde Höhlensalmler sind friedlich untereinander, die oberirdischen Astyanax eher zänkisch. Wird ein oberirdisch lebender Astyanax verletzt, so sondert er Warnstoffe ab. Artgenossen meiden u.U tagelang den Bereich, wo solche Stoffe abgesondert wurden. Die Blinden Höhlensalmler verfügen zwar ebenfalls über solche Schreck- oder Warnstoffe, reagieren aber nicht darauf. Und auch körperlich unterscheiden sich Blinde Höhlensalmler deutlich von Astyanax der fasciatus-Gruppe.

Pärchen des Blinden Höhlensalmlers, links das Männchen.

Natürlich fasziniert der Blinde Höhlensalmler die Wissenschaft in vielfältiger Weise. Es gibt Berge wissenschaftlicher Literatur über ihn, z.B. über die Augenentwicklung beim Embryo, über die Kreuzung mit oberirdischen Astyanax, über die Entstehung der Blinde Höhlensalmler in der Erdgeschichte und über die evolutionären Trends; warum sind Blinde Höhlensalmler überhaupt blind und wie finden sie sich in ihrer Umwelt zurecht? Etliche DNS-basierte Studien erschienen in den letzten Jahren, von den man sich mehr Licht im Dunkel der mexikanischen Höhlen und ein besseres Verständnis dieser Fragen erhoffte. Etliche Wissenschaftler hängten und hängen ihr gesamtes Forscherleben an diesen kleinen, fleischfarbenen, blinden Fisch, den Tierschützer, wäre er ein Zuchtprodukt und nicht natürlich vorkommend, als „Qualzüchtung“ brandmarken würden.

Schon viel wurde am Blinden Höhlensalmler geforscht und es besteht weiterhin viel Forschungsbedarf.

Jeder Aquarianer, der möchte, kann Mitglied in dieser Forscherfamilie werden. Die Haltung von Blinden Höhlensalmlern ist extrem einfach, es gibt kaum härtere und anspruchslosere Fische. Nur weiches, saures Wasser muss man meiden. Temperaturen zwischen 18 und 28°C sagen den Tieren zu, beleuchten muss man ihr Aquarium selbstverständlich nicht, sie fressen buchstäblich jedes Futter und friedlich sind sie obendrein – ein Wunder der Natur!

Frank Schäfer


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Die Spornschildkröte – beliebt, imposant und zahm werdend

Noch vor wenigen Jahrzehnten dominierten die relativ kleinbleibenden europäischen Landschildkröten der Gattung Testudo den Heimtiermarkt. Sie konnten spottbillig als „pflegeleichte“ Heim- und Gartentiere überall erworben werden. Heute hat sich die Sichtweise auf Reptilien allgemein und auf Landschildkröten speziell sehr gewandelt. Man weiß heute, dass Land­schildkröten zwar grundsätzlich von jedermann gepflegt und gezüchtet werden können, doch dass dazu auch sehr viel Fachwissen gehört, das man sich erst anlesen muss. Der unvergleichlich höhere Bildungsgrad der heutigen Schildkrötenpfleger rückt auch Arten in den Focus des Handels, die dort früher kaum zu finden waren, darunter eine der imposantesten Landschildkröten Afrikas, die Spornschildkröte Centrochelys (oder Geochelone) sulcata*.

Die Spornschildkröte hat ihren Namen von großen, spornartigen Schuppen an den Oberschenkeln der Hinterbeine erhalten. In der Natur bewohnt sie einen ca. 8.000 km langen und etwa 500-700 km breiten Gürtel, der sich quer durch ganz Afrika erstreckt, mit Mauretanien als west­lichs­ten und Eritrea als östlichsten Staat. Dieser Gürtel ist in großen Teilen auch unter dem Begriff „Sahel-Zone“ bekannt ge­wor­den und zählt zu den tro­ckensten Gebieten der Erde. Die Sporn­schildkröte kann als einzige, hoch spezi­alisierte Land­schildkröte dort überleben. Doch auch sie braucht 200 bis 800 mm Niederschlag pro Jahr, um existieren zu können. Sie ist mit 84,5 cm Rekord-Panzer­länge und 105,5 kg Rekord-Gewicht die größte das Festland bewohnen­de Schild­kröten­art. Nur die Riesenschild­krö­ten der Seychellen und der Galapagos-Inseln werden noch größer. Vermutlich ist die ge­wal­tige Maximal-Größe der Art ein Schutz ge­gen Austrocknung, denn ein kleiner Kör­per ist dafür erheblich anfälliger als ein großer.

Keine Wildfänge
Leider gehört die Spornschildkröte in weiten Teilen ihres Verbreitungsgebietes zu den stark bedrohten Arten. Der Mensch zer­siedelt ihren Lebensraum immer mehr. Seit es Menschen gibt, haben sie die Sporn­schildkröte auch gejagt, gegessen und als lebenden Vorrat oder als Tauschmittel mit sich geführt. Darum ist es heutzutage oft sehr schwierig, herauszufinden, ob ein lokales Vorkommen der Spornschildkröte tatsächlich ein natürliches Vorkommen (der Fachausdruck lautet autochthon) ist, oder ob ein solches Vorkommen auf Verschleppung durch den Menschen zurückzuführen ist (= allochthon). Wegen der starken Bedrohung der wildlebenden Bestände gibt es schon seit längerer Zeit keine Importe von Wild­fängen mehr im Handel. Doch gibt es sehr viele Exemplare in den Händen von Schild­krötenliebhabern. Die Zucht gelingt so effek­tiv und regelmäßig, dass der Weltbedarf für die Liebhaberei leicht aus Nachzuchten ge­deckt werden kann. Nahezu alle heutzutage in Europa und den USA gepflegten Bestände gehen auf ursprünglich aus Mali importierte Tiere zurück. Obwohl zur Zeit keine Unter­arten bei der Spornschildkröte anerkannt werden, gibt es aber doch lokale Unter­schiede bezüglich des Größenwachstums der einzelnen Populationen. Und so wissen wir, dass die malinesischen Spornschild­kröten nicht ganz so riesig werden.
Weib­chen erreichen 40-50 cm Länge, Männchen 50-60 cm; das Höchstgewicht beträgt 45-60 kg. Die Männchen werden grundsätzlich größer als die Weibchen und Rekordtiere bezüglich Größe und Gewicht dürften ausnahmslos Männchen darstellen. Man kann das Geschlecht der Spornschild­kröte erst relativ spät, ab einer Länge von 25-30 cm, sicher erkennen. Davor bleibt die Geschlechtserkennung meist spekulativ. Es gelten die üblichen Geschlechtsunter­schiede von Landschildkröten: der Schwanz des Männchens ist erheblich länger als der des Weibchens und der Bauchpanzer des Männchens ist stark konkav eingebuchtet. Alte Männchen entwickeln auch ein ins­gesamt anderes Aussehen. So flacht sich ihr Rückenpanzer mehr und mehr ab, die seitlichen Randschilder des Panzers (Margi­nalia) rollen sich nach oben, der Kopf wirkt ausgezehrt, manchmal regelrecht wie ein Totenkopf (das ist völlig normal und nicht auf die Gefangenschaft zurückzuführen), es bilden sich deutlich hervortretende Schlä­fen­wülste und auch die Augen treten hervor; der „Schnabel“ wirkt bei Männchen hakiger.

Grundlage der Pflege
Es ist mehr als verständlich, dass solch imposante Tiere Begehrlichkeiten wecken; nicht umsonst ist Centrochelys sulcata zu einer der beliebtesten Landschildkröten­arten in Europa und den USA avanciert. Dazu trägt sich bei, dass diese Schildkröten sehr zahm werden können, eine Eigenschaft, die bereits der Altmeister der Terrarienkunde Wilhelm Klingelhöffer erwähnt. Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass diese Zahmheit bei großen Männchen der Sporn­schildkröte auch unangenehm werden kann, denn sie betrachten den Menschen gelegentlich als Rivalen, den sie dann mit Bissen und Rammstößen traktieren, was zu ernsten Verletzungen führen kann. Wer also Spornschildkröten pflegen möchte, braucht vor allem eines: viel Platz. Dabei ist auch in Mitteleuropa eine Freilandhaltung von Früh­jahr bis Herbst möglich. Die Tiere sollten dabei eine Gelegenheit erhalten, sich lokal unter einem Strahler auf ca. 40°C aufwärmen zu können. Die Temperaturen können in Extremfällen auch in ihrer Heimat nachts unter den Nullpunkt fallen; man sollte aber im Normalfall darauf achten, dass Nacht­temperaturen von 15°C nicht deutlich unter­schritten werden. Das alles lässt sich am besten dadurch verwirklichen, indem man den Tieren in ihrem Freigehege ein über eine Art „Katzenklappe“ zugängliches Gewächs­haus baut. Dieses muss im unteren Bereich sehr massiv gebaut sein, sonst manchen die großen und starken Schildkröten schnell Kleinholz daraus. Viel schwieriger als die Temperatur ist das Thema „Trockenheit“. Zu viel Feuchtigkeit ist für die Tiere von Übel, man bedenke, dass sie aus einer sehr trockenen Landschaft stammen. Der Boden des Freilandterrariums und auch des Winter­quartieres, das sich selbstverständlich in einem Innenraum befinden muss, muss daher sehr gut drainiert sein, damit sich wirklich niemals Staunässe bildet. In der Natur graben sich Spornschildkröten mehre­re große und tiefe Höhlen. Das ist über­lebensnotwendig für sie, denn hier können sie der größten Tageshitze ausweichen, hier verbringen sie aber auch ihre Trockenruhe, in der sie die trockenste Zeit des Jahres „ver­schlafen“. Die Erfahrung zeigt, dass das Grab­verhalten bei den Nachzuchttieren stark nachlässt. Aber es gibt hier deutliche Indi­viduelle Unterschiede und man muss auf alle Eventualitäten gerüstet sein. Darum ist sowohl im Freiland wie auch im Innenraum eine 2-3 m dicke, das Graben von Höhlen zulassende Bodenfüllung einzubringen. Im Innenraum muss man für eine hohe Licht­intensität und ausreichend UV-Licht sorgen. Es bietet sich bei etwas größeren Tieren unbedingt an, in unserer kalten Jahreszeit die Trockenruhe zu simulieren, die die Schildkröten in der Natur halten. Das tut den Spornschildkröten außerordentlich gut und sie danken es mit robuster Gesundheit.

Fütterung
Man sollte immer daran denken, dass im natürlichen Lebensraum der Spornschild­kröte Schmalhans Küchenmeister ist. Diese Tiere haben keine Freßbremse, sie futtern, was das Zeug hält, so lange es etwas gibt. Dafür müssen sie in der Natur auch tage-, wochen- oder monatelange Fastenperioden überstehen. So etwas gibt es natürlich unter den Bedingungen der Haltung in mensch­licher Obhut nicht. Man sollte darum spar­sam füttern, ein hoher Rohfaseranteil sollte das Futter charakterisieren. Gut geeignete Futtermittel sind Gräser aller Art, Heu, Karotten und alle möglichen Salate (Endi­vien, Romana, Radiccio), auch eingeweichte Heupellets (Kaninchenfutter) können ge­reicht werden. Wildlebende Spornschild­kröten finden sich oft an Aas ein und machen regelrecht Jagd auf Untermieter in ihren Wohnhöhlen (Heuschrecken, kleine Warane etc.). Derartige Zufütterungen sollte aber in menschlicher Obhut unterbleiben oder eine ganz seltene Ausnahme darstellen. Wichtig ist es, den hohen Kalziumbedarf mit Futterergänzungsmitteln, die der Zoo­fach­handel in breiter Auswahl anbietet, zu decken. Die meisten Gesundheitsprobleme von Spornschildkröten sind auf zu üppige Futtergaben zurückzuführen, die ein zu schnelles Wachstum hervorrufen. Seien Sie sich dessen bitte stets bewusst und – nochmal – füttern Sie sparsam. Bei gut angelegten Freilandterrarien kann über den Sommer oft völlig auf Zufütterung verzichtet werden, die Tiere grasen dann einfach den natürlichen Bewuchs der Anlage ab.

Verträgliche Riesen
Erstaunlicherweise kann man Sporn­schild­kröten gut in Gruppen pflegen. Sogar die Männchen vertragen sich vergleichsweise gut untereinander. Es sollte aber für jedes Männchen die Möglichkeit bestehen, sich gelegentlich zu paaren. Da der Lebensraum der Tiere in den Tropen liegt, haben sie keine streng festgelegte Paarungszeit. Paarungen können daher ganzjährig beobachtet wer­den. Es würde jedoch den Rahmen dieses Artikels sprengen, auch noch auf die Zucht der Spornschildkröte einzugehen. Dazu vielleicht später einmal mehr…

Wenn Sie jetzt Lust auf die Pflege der Spornschildkröte bekommen haben: Ihr Zoofachhändler kann Ihnen sicher welche beim Großhändler seines Vertrauens für Sie bestellen, z.B. bei www.reptilia24.de


*Über die Gattungszugehörigkeit der Spornschildkröte streiten die Ge­lehrten. Manche sehen in ihr die einzige Art der Gattung Centroche­lys, andere glauben, die Verwandt­schaft zu den asiatischen Arten Geochelone elegans und G. platynota sei so groß, dass eine eigenständige Gattung nicht zu vertreten sei. Dies ist ein akademischer Streit, der an dieser Stelle nicht weiter interessieren muss und auch ohne praktische Be­deutung ist. Man muss nur wissen, dass weitere Informationen zu dem Tier in der Literatur unter den Namen Testudo sulcata, Centrochelys sulcata und Geochelone sulcata zu finden sind.

Lexikon

Spornschildkröte
Centrochelys: bedeutet „Stachel-Schildkröte“.
sulcata: bedeutet „gefurcht“. Geochelone: bedeutet „Erdschildkröte“.
Testudo: bedeutet „Schildkröte“.

Frank Schäfer

Rotkopfsalmler

Die Rotkopf- oder Rotmaulsalmler sind ein wunderschöner Blick­fang für jedes Aquarium mit fried­lichen Fischen. Ein Schwarm dieser Tiere, und  15 – 20 Exemplare sollten es möglichst immer sein, be­geistert jeden Betrachter. Die Pflege ist nicht schwer und so schwim­men Rotkopfsalmler in sehr vielen Aquarien. Nur die rich­tige Benennung der Arten, die ist nicht ganz einfach. Drei Arten kennen wir, die immer wieder verwechselt wurden und werden. Trotz der großen äußerlichen Ähnlichkeit wurden die drei Arten bislang in zwei verschiedenden Gattungen untergebracht, zwei in Hemigrammus und eine in Petitella. Das erinnert sehr an die Verhältnisse bei den Neonsalmlern, die lange Zeit sogar in drei verschiedenen Gattungen standen, der Neonsalmler hieß Paracheirodon innesi, der Rote Neon Cheirodon axelrodi und der Blaue Neon Hyphessobrycon simulans, bis Weitzman und Fink 1983 alle drei unter Paracheirodon vereinigten. Die Arbeit von Weitzman & Fink sei allen, die sich für Hintergründe der Kleinsalmlersystematik interessieren, sehr ans Herz gelegt.

In eine ganz aktuellen Arbeit wurde die Verwandtschaft der Neons erneut untersucht, diesmal mit dem neuen zur Verfügung stehenden Instrument der molekularbiologischen Analyse (Bittencourt et al., 2020). Dabei wurde bestätigt, dass die drei Neons tatsächlich eine gemeinsame evolutionäre Verwandtschaftslinie repräsentieren, also eine phylogenetische Einheit darstellen uns somit in eine Gattung gehören. Ferner untersuchte das Team, welches die nächstverwandten Kleinsalmler zu den Neons sind und fanden, dass es die seltsamen Brittanichthys sind. Brittanichthys unterscheidet sich von den meisten anderen Salmlern dadurch, dass die Männchen ein kompliziert gebautes Organ in der Schwanzflosse haben, das eigentlich eher an die Schwanzdrüsensalmler (Stevardiinae, früher auch Glandulocaudinae) erinnert. Und die nächste molekulare Überraschung: die Rotkopfsalmler sind nach Brittanichthys (Brittanichthys ist nach den Ergebnissen von Bittencourt et al. sogar eine Schwestergattung zu Paracheirodon) die nächsten Verwandten der Neons.

Brittanichthys axelrodi, Männchen

Die Rotköpfe sind so eng miteinander verwandt, dass sie nun alle in einer gemeinsamen Gattung, Petitella, zusammengefasst werden. Molekular stellte sich außerdem heraus, dass die Art P. georgiae wohl in Wirlichkeit aus zwei Arten besteht, die sich äußerlich allerdings nicht unterscheiden, soweit man das bislang beurteilen kann. Jedenfalls unterschied sich ein P. georgiae aus Brasilien (Rio Purus) auf molekularer Ebenen recht deutlich von Artgenossen aus Peru, von wo die Art beschrieben wurde. Aber hier sind ganz sicher noch weitere Untersuchungen nötog, die auch P. rhodostomus mit einbeziehen müssen, der den Autoren für eine DNS-Untersuchung bislang nicht vorlag.

Bislang nannte man die drei Rotkopfsalmler Hemigrammus rhodostomus, H. bleheri und Petitella georgiae. Nun stehen sie also alle in Petitella.

Der schönste aller Rotkopfsalmler: Petitella bleheri

Die Arten wurden so oft ver­wechselt, dass man wirklich verwirrt werden kann. Tat­sächlich ist es relativ einfach: Bei den im Handel befindlichen Fischen handelt es sich fast immer um Petitella bleheri, bezeichnet werden sie aber fast immer als Petitella georgiae.

Schon vor längerer Zeit, nämlich 1924 beschrieb E. Ahl den Rotmaulsalmler als Hemigrammus rhodostomus. Der Fund­ort lag nahe Belem in Brasilien. Und so, nämlich als Hemigrammus rhodostomus, wurde in der Folge jeder Rotmaul- oder  Rot­­kopf­salmler in der Aquaristik bezeich­net. Sicher merkte man, daß die Fische je nach Fundort etwas anders aus­sahen, hielt das jedoch für eine inner­art­liche Varianz. 

Petitella rhodostomus ist die am längsten bekannte Art

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1964 beschrieben der Salm­­ler­­spezialist J. Gery mit H. Boutiere eine dem schon bekannten Rot­maul­salm­ler sehr ähnliche Art als Petitella georgiae. Die Un­ter­schiede in der Fär­bung der beiden Arten sind un­wesent­lich, der Grund für die art­liche Trennung lag in Unter­schieden der Be­zah­nung begründet. Diese neue Art stammt haupt­sächlich aus dem Oberlauf des Amazonas in Peru. Sie fand keine son­­der­lich weite Ver­breitung, weil sie eher etwas farbloser ist als der Rot­maul­salmler, den man schon kannte. 

Petitella georgiae, Wildfang aus Peru

Die schönsten Rotmaulsalmler kamen und kommen aber aus dem Rio Negro. Sie haben eine herrliche, weit über die Kie­men­­deckel hinausgehende rote Kopf­­­fär­bung. Begehrte Fische brau­chen eine eige­­­ne Handelsbezeichnung und so wur­de kurzerhand der neue Name Petitella georgiae für diesen Salmler ver­wen­det, ohne die Richtigkeit dieses Unter­fan­gens zu überprüfen. 

1986 be­schrieb J. Gery zusammen mit V. Mahnert diesen rötesten aller Rotkopf­salmler als Hemigrammus bleheri und das Chaos war per­fekt, weil so ziemlich jede der drei Arten in der Literatur schon einmal unter einem falschen Namen abgebildet worden war.

Durch das Fehlen eines schwarzen Längsbandes auf dem Schwanzstiel ist Petitella bleheri am leichtesten zu identifizieren.

Man erkennt P. bleheri immer gut daran, dass er im Gegensatz zu den beiden anderen Arten kein schwar­zes Längsband auf dem Schwanzstiel besitzt. Petitella georgiae und P. rhodostomus haben ein solches Längsband und sind optisch kaum auseinanderzuhalten. Bei ein­ge­­wöhnten Tieren schaut man am besten auf das Endes des Schwanzstiels. Dort hat P. georgiae nur einen Fleck oben vor der Schwanz­flosse, P. rhodostomus hat oben und unten einen Fleck.


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Petitella rhodostomus hat zwei dunkle Striche am Ansatz der Schwanzflosse.
Petitella georgiae hat nur einen dunklen Strich am Ansatz der Schwanzflosse.

In der Pflege unterscheiden sich die drei (vier) Arten nicht. Es ist auch kaum an­­zu­neh­men, daß die Praxis des Han­dels, alle Rot­kopf­salmler mit reichlich rot als Petitella georgiae und alle blassen als Petitella (oder Hemigrammus) rhodo­sto­mus zu be­zeich­nen, geän­dert wer­den wird.  Doch für Aquarianer, die züchten möch­ten, ist es gut, die Unter­schiede zu kennen: Denn es deutet alles darauf hin, daß sich die drei Arten (bzw. zusätzlich bei P. georgiae: die beiden genetisch unterschiedlichen Populationen aus Peru und dem Rio Purus) nicht kreuzen lassen. Wenn Ihre Tiere im Zuchtbecken mit­ein­an­der nicht „zu Potte kommen“ (der Zucht­­ansatz erfolgt am besten im Schwarm, Männchen in der Überzahl), liegt es vielleicht daran, daß sie ver­schie­de­nen Arten angehören.

Frank Schäfer

Literatur:

Bittencourt, P. S., V. N. Machado, B. G. Marshall, T. Hrbek and I. P. Farias (2020): Phylogenetic relationships of the neon tetras Paracheirodon spp. (Characiformes: Characidae: Stethaprioninae), including comments on Petitella georgiae and Hemigrammus bleheri. Neotropical Ichthyology v. 18 (no. 2): 1-11.

Weitzman, S. H. and W. L. Fink (1983): Relationships of the neon tetras, a group of South American freshwater fishes (Teleostei, Characidae), with comments on the phylogeny of New World Characiforms. Bulletin of the Museum of Comparative Zoology v. 150 (no. 6): 339-395.

Wollen die Grünen die Aquaristik verbieten?

Die Bundestagswahl steht vor der Tür und alle Parteien, die sich zur Wahl stellen, kämpfen mit ihren Wahlprogrammen um Stimmen. Auf Seite 55 des Wahlprogrammes der Grünen Partei (https://cms.gruene.de/uploads/documents/Wahlprogramm-DIE-GRUENEN-Bundestagswahl-2021_barrierefrei.pdf) findet sich der folgende Programmpunkt (dies ist ein wörtliches Zitat):

Wildtierhandel an die Leine legen 

Die Covid-19-Pandemie hat deutlich gemacht, dass die Gesundheit von Umwelt, Tier und Mensch zusammengedacht werden und dieser Planetary-Health-Ansatz zum Prinzip unseres Handelns werden muss. Der Raubbau an der Natur hat keine Zukunft. Die Pandemie basiert auf einer Zoonose, einer vom Tier auf den Menschen übertragenen Infektionskrankheit. Solche Krankheiten werden immer häufiger, sie werden durch die fortschreitende Zerstörung der Natur und das Vordringen der Menschen in die letzten natürlichen Lebensräume begünstigt. Dem gilt es überall auf der Welt entgegenzuwirken. Wildtiere gehören in die Wildnis, der Handel mit ihnen muss strenger reguliert, existierende Regularien müssen konsequent umgesetzt werden. In den Herkunftsländern müssen wirtschaftliche Alternativen aufgebaut werden. Wildtierhandel auf Online-Portalen und gewerblichen Börsen sowie kommerzielle Importe von Wildfängen und die Einfuhr von Jagdtrophäen müssen ganz verboten werden. Die Haltung von Tieren aus Wildtiernachzuchten sollte an eine Positivliste und einen Sachkundenachweis geknüpft werden, der sich an der Schwierigkeit der Haltung der jeweiligen Tierart bemisst. Auch die industrielle Tierhaltung kann zu Pandemien beitragen, wie sich an coronainfizierten Nerzen gezeigt hat. Die Tierhaltung ist deshalb auch an den Notwendigkeiten zur Eindämmung möglicher Zoonosen auszurichten. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Haltung von Tieren in und der Handel mit Pelzen aus Pelztierfarmen beendet werden. 

Ende des Zitats

Nahezu sämtliche Aquarienfische sind Wildtiere im Sinne dieses Textes. Ein Wahlsieg der Grünen Partei oder eine Regierungsbeteiligung könnte also dazu führen, dass die Grünen ein generelles Handelsverbot für Zierfische (sowie für alle anderen Wildtiere, wie Amphibien, Reptilien, Vögel, Kleinsäuger, Insekten, Krebstiere, Spinnenartige, Blumentiere, Stachelhäuter, Mollusken, Ascidien, Würmer etc.) fordern. Ist an diesen Forderungen etwas dran? Sind wir Aquarianer*innen Naturzerstörer, denen man im Sinne des Gemeinwohls das Handwerk legen muss? Nostra culpa? Wohl kaum. Hier noch einmal der Text aus dem Wahkampfprogramm, aber diesmal von mir kommentiert:

Wildtierhandel an die Leine legen 

Die Covid-19-Pandemie hat deutlich gemacht, dass die Gesundheit von Umwelt, Tier und Mensch zusammengedacht werden und dieser Planetary-Health-Ansatz zum Prinzip unseres Handelns werden muss. Wunderbar, dafür sind wir hoffentlich alle. Der Raubbau an der Natur hat keine Zukunft. Richtig, Wildtierfang für die private Wildtierhaltung ist allerdings nachhaltig und eben kein Raubbau an der Natur, sondern im Gegenteil ein Paradebeispiel, wie eine umweltverträgliche und langfristige, nachhaltige Nutzung von natürlichen Ressourcen aussehen kann; im Fall von Zierfischen ist der Wildfang sogar das wirkungsvollste Konzept zum langfristigen Naturschutz in aquatischen Lebensräumen, das existiert. Die Pandemie basiert auf einer Zoonose, einer vom Tier auf den Menschen übertragenen Infektionskrankheit. Das ist wohl richtig, hat aber nichts mit Wildtierhaltung zu tun, sondern mit dem Verzehr ungenügend gegarten Fleisches. Um solche Zoonosen künftig auszuschließen, müsste man die Jagd grundsätzlich und weltweit verbieten und damit die älteste, natürlichste und umweltverträglichste menschliche Lebensweise, nämlich die des Jägers und Sammlers. Will die Grüne Partei tatsächlich alle freien indigenen Völker weltweit, die diese Lebensweise führen, zwangszivilisieren und verstädtern, um künftigen potentiellen Zoonosen vorzubeugen? Solche Krankheiten werden immer häufiger, sie werden durch die fortschreitende Zerstörung der Natur und das Vordringen der Menschen in die letzten natürlichen Lebensräume begünstigt. Das ist fachlich objektiv falsch. In artenreichen, intakten Lebensräumen kommt es kaum zu von Wildtieren übertragenen Zoonosen, so etwas wird erst begünstigt durch die Artenverarmung in anthropogen stark veränderten Lebensräumen. Mit anderen Worten: Zoonosen entwickeln sich nicht in abgelegenen Naturräumen, sondern in Randgebieten und Zentren des menschlichen Siedlungsbereiches. Dem gilt es überall auf der Welt entgegenzuwirken. Wem gilt es demnach entgegenzuwirken? Dem Vordringen von Menschen in die letzten natürlichen Lebensräume oder den Zoonosen? Letztere gibt es in den letzten natürlichen Lebensräumen nicht. Noch nicht einmal in vom Menschen schon lange besiedelten, naturnahen Lebensräumen, von wo die für den Wildtierhandel gesammelten Arten stammen. Wildtiere gehören in die Wildnis, Quatsch, müssen wir jetzt alle Wildtiere, also u.a. Amsel, Drossel, Fink und Star, aus unseren Gärten vertreiben, weil ein Garten ja wohl kaum die Wildnis ist? der Handel mit ihnen muss strenger reguliert, Wozu? Zur Eindämmung von Zoonosen? Das tut nicht not, Zoonosen kommen nicht über diese Tiere; der Handel mit lebenden Kleintieren ist auch aus Artenschutzgründen unbedenklich. Es ist noch nie auch nur eine Tierart durch den Lebendhandel ausgestorben, obwohl täglich Tierarten durch Lebensraumzerstörung aussterben existierende Regularien müssen konsequent umgesetzt werden. Werden sie doch, da besteht kein Handlungsbedarf In den Herkunftsländern müssen wirtschaftliche Alternativen aufgebaut werden. Die Alternativen zum Fang von Zierfischen in Brasilien bedeuten Goldschürfen mit katastrophalen Auswirkungen auf die Umwelt durch Quecksilberverseuchung oder Brandrodung, die zum Aussterben sämtlicher Wildtiere in der brandgerodeten Fläche führt – das führt zu Zoonosen! – und zur Vernichtung traditioneller, umweltverträglicher Lebensweisen. Wildtierhandel auf Online-Portalen und gewerblichen Börsen Warum? sowie kommerzielle Importe von Wildfängen Das ist fachlich nicht zu begründen; es gibt aus wissenschaftlicher Sicht weder Artenschutz-Bedenken noch die Gefahr von Zoonosen durch z.B. den kommerziellen Import von Wildfängen von Neonfischen. Ein solches Verbot würde bei fast allen Arten lediglich zu einem unkontrollierbaren Schwarzmarkt führen, in dem die sehr strengen Tierschutz-Gesetze und Quarantäne-Vorgaben, ebenso wie Einfuhr-Quoten für Arten, bei denen eine Übernutzung bedenklich wäre (Washingtoner Artenschutzabkommen), völlig ignoriert werden würden und die Einfuhr von Jagdtrophäen Wo kommt das denn jetzt her? Jagd findet entweder auf Grundlage der bestehenden Gesetze statt, dann ist ein solches Einfuhrverbot kaum zu begründen oder durchzusetzen, oder sie ist illegal, dann sind auch die Trophäe und ihre Einfuhr bereits jetzt illegal. Da braucht man keine neuen Gesetze müssen ganz verboten werden. Die Haltung von Tieren aus Wildtiernachzuchten sollte an eine Positivliste Das mindert nicht die Zoonosen-Gefahr und hätte zugleich verheerende Auswirkungen auf den Artenschutz, da es eine unbestrittene Tatsache ist, dass viele Tierarten die nahe Zukunft nur in menschlicher Obhut überleben und in freier Natur durch Lebensraumzerstörung aussterben werden; wir müssen sie für künftige Generation aber unbedingt erhalten, das hat Priorität vor allen anderen Bemühungen, denn eine ausgestorbene Tierart kann nie wieder zum Leben erweckt werden. Zur Arterhaltungszucht braucht es Expertenwissen und dieses Expertenwissen haben ausschließlich die Wildtierhalter und einen Sachkundenachweis Wer soll denn diesen Sachkundenachweis abnehmen? Nicht-Tierhalter, wie die, die diesen sicher wohlmeinenden, aber fachlich katastrophal ignoranten Wahlkampfprogramm-Punkt entwickelt haben? Halter und Züchter schwieriger Tierarten sind Experten und brauchen keine Gängelung durch Behörden, deren Angestellte in aller Regel in diesen Belangen zudem völlig ahnungslos sind  geknüpft werden, der sich an der Schwierigkeit der Haltung der jeweiligen Tierart bemisst. Auch hier wieder – wer beurteilt das? Natürlich fordert ein Blauwal andere Haltungsvoraussetzungen als ein Guppy, aber wer die Voraussetzungen dafür schaffen kann, kann jede Tierart halten und züchten  Auch die industrielle Tierhaltung kann zu Pandemien beitragen, wie sich an coronainfizierten Nerzen gezeigt hat. Und doch hat die Nerzhaltung sich nicht als erheblicher Multiplikator in der Pandemie erwiesen. Die Infektion der Nerze mit Covid-19 war ein Folge, nicht die Ursache der Pandemie. Zoonosen allgemein werden fast ausschließlich von domestizierten Arten, also Haustieren, auf den Menschen übertragen. Ist dann der nächste Schritt ein generelles Haltungsverbot von Haus- und Heimtieren? Das wäre die Konsequenz, wenn man bereit ist, dieser Argumentation zu folgen – allgemeines Verbot von Hund, Katze, Meerschweinchen, Kanarienvogel & Co? Die Tierhaltung ist deshalb auch an den Notwendigkeiten zur Eindämmung möglicher Zoonosen auszurichten. Das tut sie längst, man denke an die Papageienkrankheit, die Tollwut und die Vogelgrippe, um nur ein paar der bekanntesten Zoonosen zu nennen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Haltung von Tieren in und der Handel mit Pelzen aus Pelztierfarmen beendet werden. Das hat nun aber nichts mit Wildtierhandel zu tun und ist darum an dieser Stelle des Wahlprogrammes falsch untergebracht. Nerze und andere in Farmen gehaltenen Pelztiere sind längst domestiziert und keine Wildtiere.

Liebe Grüne Partei, welcher Teufel hat Dich geritten, ausgerechnet die Wildtierhalter zum Feindbild zu erklären? Das sind doch die natur-interessiertesten Menschen überhaupt, Hüter  und Bewahrer geballten Fachwissens, die besten Berater, die man sich vorstellen kann, wenn es um wirkungsvolle Artenschutzmaßnahmen geht. Warum machst Du Dir die zum Feind, statt sie ins Boot zu holen und gemeinsam mit ihnen den gegenwärtigen katastrophalen Verlust an Biodiversität wenigstens ein klein wenig zu bremsen? Der künstlich hergestellte Zusammenhang zwischen Wildtierhaltung und der Pandemie ist ja wohl allerunterste Schublade auf Boulevard-Niveau und völlig ungeeignet, irgend etwas Positives zu entwickeln.

An dieser Stelle muss ich auch einmal persönlich werden. Ich gehöre zu der Generation, deren politisches Erwachen in die Zeiten des Overkills und Wettrüstens und der unkontrollierten Naturzerstörung fiel. Bereits als Schüler organisierten wir damals Schulstreiks (das ist keine Erfindung von Greta Thunberg), um unsere Angst vor einem atomaren dritten Weltkrieg zu demonstrieren, gingen auf die Straße gegen den Bau der Startbahn West und gegen Atomkraft. Wir waren Teil der Bürgerinitativen, die für Frieden und Umweltschutz eintraten und aus denen sich schließlich die Grünen entwickelten. Gefühlt waren wir alle Gründungsmitglieder der Grünen und platzten vor Stolz, dass wir einen grünen Umweltminister im Kabinett Börner hatten. Seit ich wahlberechtigt bin (1982) wähle ich grün. Ich bin bitter enttäuscht, dass die Grünen bis heute kein schlüssiges Konzept zum Artenschutz vorlegen. Immer wieder auf dem Tier-Handel und den Tier-Haltern herumzuhacken, ist lächerlich, beide haben objektiv nichts mit dem weltweiten Verlust an Biodiversität zu tun. Seit 1979 (Berner Konvention) wurde z. B. der Handel mit wildlebenden Tieren aus Europa mehr und mehr eingeschränkt, seit Jahrzehnten gibt es ihn de facto nicht mehr. Für keine einzige wildlebende Tierart Europas hat sich der Gefährdungsgrad dadurch zum Positiven hin verändert. Statt dessen stirbt die Generation der Halter, die sich noch mit der fachgerechten Eingewöhnung und Nachzucht von europäischen Wildtieren, z.B. Singvögeln, auskennt, nach und nach aus. Ex situ-Zuchten sind das einzige mögliche Mittel, um hochgradig gefährdete Arten vor dem endgültigen Aussterben zu retten. Wer soll das denn machen, wenn es keine erfahrenen Wildtierhalter mehr gibt? Offensichtlich geht es im Bereich Artenschutz bei den Grünen nicht mehr darum, diesen auch zu betreiben, sondern nur noch darum, das Thema für Wahlkampfpropaganda auszuschlachten.

Ich habe in der Vergangenheit oft die Grüne Partei gewählt, obwohl einzelne Programmpunkte meinen persönlichen Interessen entgegenstanden. Ich war immer der Überzeugung, dass das Allgemeinwohl vorgeht. Aber in dem aktuellen Wahlprogramm wird eine Gesinnung dargelegt, die es mir unmöglich macht, die Grünen zu wählen. Tierhaltung allgemein und Wildtierhaltung im speziellen erfordern ungeheures Fachwissen und gewaltiges Engagement. Tierhalter pauschal zu kriminalisieren und sie für alles Elend in der Welt verantwortlich zu machen ist doch keine Lösung für irgend ein Problem! Ich appelliere dringend an die für das Wahlprogramm Verantwortlichen, diesen Unfug von „Den Wildtierhandel an die Leine legen“ aus dem Programm zu nehmen, damit die Grünen wieder eine für Tierfreunde wählbare Partei werden – im Moment ist sie das nicht!

Frank Schäfer

Städtereisen mit Xiphophorus hellerii (5): Der Bayreuther Schwertträger

Bayreuth ist eine Stadt in Nordbayern mit einer Bevölkerung von etwa 73.000 Menschen. Musikliebhaber kennen Bayreuth vor allem wegen der Opernfestspiele und natürlich wegen des Komponisten Richard Wagner (22.5.1813 in Leipzig; gestorben am 13.2.1883 in Venedig), der von 1872 bis 1882 in Bayreuth lebte.

Unter Fischliebhabern kennt man Bayreuth als Namenspaten für eine sehr markante Schwertträger-Zuchtform. Hierzulande wurde diese Variante erstmals 1968 ausgestellt (Bericht des Nordbayerischen Kuriers vom 11. Oktober dieses Jahres). Wie bei anderen Schwertträgern – Hamburger, Wiesbadener, Berliner – übernahm man den Namen der Stadt für diesen Helleri und so wurde aus ihm der Bayreuther Schwert­träger.

Bayreuther Schwertträger

Es gab ihn schon länger

Das war allerdings nicht das erste mal, dass ein Schwertträger vom “Bayreuth-Typ” erzüchtet wurde. Tatsächlich kreuzten bereits fünf Jahre früher die aus Hawaii lebenden Fischzüchter Eric und Larry Nishida ein rotes Simpson-flossiges Männchen mit einem normalflossigen Hamburger Weib­chen. Hamburger sind schwarze Schwert­träger, deren Schuppen einen grünen oder blauen Glanz aufweisen. Die schwarze Färbung kann sich bis auf die Flossen ausdehnen, manche Exemplare haben aber auch rote oder durchsichtige Flossen.

Hamburger Schwertträger

Das Resultat dieser Kreuzung hatte die hohe Simpson-Flosse, die Körperfärbung des Hamburger, ein gut ausgebildetes Schwert, eine leuchtend rote Kehlregion und rote Flossen.  Ein Aufsatz über diesen “Nishida Highfin-helleri” erschien in der US-amerikanischen Liebha­ber­zeitschrift “The Aquarium” im November 1963.

Bayreuther Schwertträger

Die Bayreuther Exemplare, die Walter F. Ranninger 1968 erzüchtete, wurden zu­nächst als “Bayreuther Kreuzung” auf einer lokalen Fischausstellung und -börse vor­gestellt. Knapp ein Jahr später präsen­tierte er die neue Züchtung der breiten Öffentlichkeit auf der Zweiten Inter­nationalen Bewer­tungs­schau in Mönchen­gladbach; ein wei­teres Jahr später stellte Karl W. Hamel aus Bensheim ebenfalls solche Tiere aus.

Bayreuther Schwertträger

Zur Zucht von Simpson-Schwertträgern

Als Tipp für alle, die auch solche Fische züchten möchten (es funktioniert mit eher gelben und eher roten Tieren, auf die man schwarze Fische kreuzt), sei erwähnt, dass man nie zwei hochflossige Exemplare mit­einander kreuzen sollte. Viel bessere Resul­tate werden erzielt bei der Paarung von hochflossigen Weibchen mit normalflossigen Männchen, wobei man mehr hochflossige Exemplare erzielt als bei der umgekehrten Paarung, also Simpson-Männchen mit nor­malflossigen Weibchen.

Bayreuther Schwertträger, Weibchen

Seltsame Erbgänge

John Dawes hat einmal ähnliches bei der Hybridisierung zweier nahe verwandter Arten erlebt. Auch hier kam es gelegentlich dazu, dass die Jungtiere eine größere Ähn­lichkeit mit der Mutter als mit dem Vater zeigten: bei einer Kreuzung von Limia vittata und L. melanogaster hatten die Jungtiere mehr Punkte, wenn L. vittata die Mutter war und mehr Streifen, wenn die Mutter L. melanogaster war.

Auf den ersten Blick ist dieses Ergebnis sehr verwirrend. Schließlich steuern beide Elterntiere doch 50% des Erbgutes, das sich in den Chromosomen findet, bei.  Doch es könnte eine andere Erklärung dafür geben.  In der Biologie kennt man solche Phäno­mene als zytoplasmatische, extra-chromo­somale oder mütterliche Vererbung, also Vererbung von mütterlichen Merkmalen, die nicht auf Gene zurückzuführen sind, die sich in den Chromosomen finden.

Weil Spermien (zumindest in den aller­meisten Fällen) kein oder kaum Cytoplasma enthalten, Eizellen hingegen eine ganze Menge – inklusive Genen, die nicht in den Chromosomen, sondern anderen Strukturen wie den Mitochondrien (den “Kraftwerken” der Zelle”) enthalten sind – können Mütter schlussendlich mehr Erbmaterial an die Nachkommen weitergeben als die Väter.  Das kann dazu führen, dass sie eine größere Merkmalsvielfalt an ihre Nachkommen vererben als die Väter. Das müssen nicht unbedingt äußerlich sichtbare Merkmale sein, auch biochemische Charakteristiska werden vererbt.

Damit soll nicht gesagt werden, dass der Erbgang beim Bayreuther Schwertträger auf zytoplasmatische Vererbung zurückzu­führen ist. Aber sie könnte zumindest einen Einfluss darauf haben, betrachtet man die berichteten Resultate.

Ob wir es je erfahren werden?

Frank Schäfer

Weiteren Lesestoff über Lebendgebärende Zahnkarpfen finden Sie hier: https://www.animalbook.de/navi.php?qs=lebendgeb%E4rend


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Städtereisen mit Xiphophorus hellerii (4): der Wiesbadener Schwertträger

Wiesbaden ist die Landeshauptstadt des deutschen Bundeslandes Hes­sen und die zweitgrößte Stadt des Landes. Erste Siedlungsspuren in Wiesbaden werden der Jungsteinzeit (um 3.000 v. Chr.) zuge­wie­sen.  Die Römer bauten Warm-Bäder (Ther­men) und befestigten sie um 370 n. Chr. mit einer Steinmauer, von der noch heute Reste erhalten sind. Seine Blütezeit erlebte Wies­ba­den im 19. Jahrhundert als inter­nationales Heilbad.

Wiesbadener Schwertträger

Der Wies­badener Schwertträger wird auch als Halb­schwarzer Schwertträger bezeich­net. Sein Er­kennungszeichen ist, dass die untere Körper­hälfte schwarz gefärbt ist, während die obere Körperhälfte grau-grün oder rot ist. Der Fisch erscheint also hori­zontal zweigeteilt. Oft wird der Wiesbadener mit dem Tuxedo-Schwertträger verwechselt, bei dem die Schwarzfärbung jedoch wesent­lich flächiger ausgeprägt ist und gut 2/3 oder mehr der Flanke einnimmt.

Wiesbadener Schwertträger, grün

Erstmals erwähnt wurde der Wiesbadener Schwert­träger 1937 in der deutschen Zeit­schrift „Wochenschrift für Aquarien- und Terrarienkunde“. Züchter der neue Form war der Wiesbadener Dr. Mombour vom heute nicht mehr existierenden wiesbadener Aqua­rien­verein „Gambusia“, daher auch die Bezeichnung „Wiesbadener Züchtung“. Die Wiesbadener Züchtung geht auf ein einziges, zufällig aufgetretenes Männchen zurück, das mit einem grünen Weibchen verpaart wurde. Dabei zeigte sich, dass die Schwarzfärbung nur durch einen einzigen Farbfaktor bedingt war. Hingegen ist die Aus­prägung der schwarzen Zonen von mehr­eren Faktoren abhängig, so dass die Schaf­fung eines erbfesten Stammes mit definier­ter Schwarzausprägung eine echte züchter­ische Herausforderung darstellt.  Diese erste Form war also die mit einem graugrünen Rücken.

Rote Wiesbadener Schwertträger lassen sich nicht reinerbig züchten, da die Gene für die rote Körperfarbe und den schwarzen Bauch Allele sind.

Dr. Mombour erzüchtete aber auch Wies­badener Schwertträger mit rotem Rücken. Das erwies sich aber als sehr viel kniffe­liger, denn es zeigte sich, dass der Farb­faktor für „schwarzen Bauch“ und für die Körper­färbung „rot“, Allele sind.  Man kann also aus der Verpaarung zweier schwarzroter Wies­badener nur maximal 50% schwarzrote Nach­kommen erhalten, während je 25% schwarzgrün und rein rot geboren werden müssen.

Diese in Israel erzüchtete Variante des Wiesbadener Schwertträgers wird im Handel als „Platinum“ bezeichnet.

Zusammend fassend kann man sagen, dass die Erbfaktoren für die Wiesbadener Kreu­zung den Mendelschen Regeln folgen. Dabei ist die Schwarzfärbung an sich, nicht aber deren Ausprägung, monofaktoriell und dominant. Der schwarz-grüne Wiesbadener lässt sich daher reinerbig züchten. Kom­biniert man die schwarz-grüne Wies­badener Züchtung mit dem roten Schwert­träger, so erhält man zwangsläufig misch­erbige schwarz-rote Tiere, da die Farbfaktoren für „halbschwarz“ und  „rot“ Allele sind.

Frank Schäfer

Literatur: Mombour, Dr. & H. Breider (1937): Zwei Wiesba­dener Züchtungen. Wochenschrift für Aquarien- und Terrarienkunde (34): 273-274

Weiteren Lesestoff über Lebendgebärende Zahnkarpfen finden Sie hier: https://www.animalbook.de/navi.php?qs=lebendgeb%E4rend


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Städtereisen mit Xiphophorus hellerii Teil 3: Der Wiener Schwertträger

Wien ist die Hauptstadt Österreichs. Es hat eine Bevölkerung von etwa 1.8 Millionen Menschen in der eigentlichen Stadt. Zieht man die Außenbezirke hinzu, so leben in Wien 2.6 Millionen Menschen. Damit ist es die zehnt-größte Stadt innerhalb der EU, bezogen auf die Einwohnerzahl.  Es ist außerdem eine der reichsten, hat Wien doch den dritthöchsten Lebensstandard in Eu­ropa.

Der Schwertträger (Xiphophorus hellerii) und Wien haben ein vielfältiges Beziehungsgeflecht. Die wissenschaftliche Erstbeschreibung des Schwertträgers erfolgte 1848 durch den in Wien an dem weltberühmten Naturhistorischen Museum tätigen Johann Jacob Heckel (1790 – 1857), der einer der bedeutendsten Ichthyologen (Fischkundler) seiner Zeit war. Der Artname hellerii (er wird tatsächlich mit zwei „i“ am Ende geschrieben!) ehrt Karl Bartholomäus Heller (1824- 1880), der im Auftrag des königlich-kaiserlichen Gartenbauvereins von Wien, der von seinem Vater geleitet wurde, 1845-1848 Mexiko bereiste und dort naturforschend und sammelnd tätig war. Er entdeckte den Schwertträger und weitere Arten und übergab sie dem Naturhistorischen Museum in Wien. Er gab auch eine erste Beschreibung der Lebendfärbung dieses schönen Fisches, die Heckel so wiedergibt: „Sie bewohnen in Menge und unter einander gemengt (Anmerkung FS: das bezieht sich auf die von Heller gemeinsam mit dem Schwertträger angetroffenen weiteren Arten von Lebendgebärenden Zahnkarpfen) die starken rasch fliessenden Bäche des Orizaba. Besonders auffallend und schön ist die Färbung der zuerst beschriebenen Art, des Xiphophorus Hellerii Männchen; seine Schwanzflossenspitze war hochgelb, und ihre jetzt im Weingeist schwarze Einfassung, sammt den Längestreifen am Körper, glänzend dunkelblau, der Bauch perlmutterweiss und der Rücken röthlichbraun.“

Dies ist die Originalzeichnung, die der Erstbeschreibung von Xiphophous hellerii beigefügt war. aus Heckel, 1848

Lebend kam der Schwertträger aber erst viel später nach Europa. Es ist übrigens ganz spannend, dass die Schwertträger, auf denen die Erstbeschreibung des Xiphophorus hellerii beruhen, ziemlich deutlich von der Färbung der uns heute als „Grüne Schwertträger“ bekannten X. hellerii abweicht. Die Urahnen unserer „Grünen“ kamen 1909 aus Küstenregionen des südlichen Mexikos und Guatemalas. Der Zierfischfang und -import erfolgte zu dieser Zeit durch Seeleute, die ihre Heuer damit aufbesserten. Naturgemäß lagen also in den Anfangsjahrzehnten der Tropenaquaristik die Fangplätze in unmittelbarer Nähe der großen Seehäfen. Von Veracruz in Mexiko, dem nächstgelegenen Großhafen, sind es rund 130 km nach Orizaba!

Männchen eies Aquarienstammes des Grünen Schwertträgers, wie er gerade in Singapur gezüchtet wird.

Die „echten“ X. hellerii sind erst in jüngerer Zeit aquaristisch bekannt geworden und werden als X. hellerii „Jalapa“ bezeichnet, weil der Ichthyologe Seth Eugene Meek (1859–1914) sie 1902 versehentlich erneut als vermeintlich neue Art Xiphophorus jalapae beschrieb. Diese Fische sind farblich deutlich von den allgemein bekannten „Grünen Schwertträgern unterscheidbar und werden in Liebhaberkreisen als besondere Form gepflegt und gezüchtet, wobei man besonders darauf achtet, sie nicht gemeinsam mit anderen Xiphophorus zu pflegen, um unbeabsichtigte Kreuzungen zu vermeiden.

Männchen des Jalapa-Schwertträgers

Originalzeichnung von Xiphophorus jalapae. aus Meek, 1902

Es ist eine bekannte Tatsache, dass sich die Xiphophorus-Arten untereinander kreuzen lassen und die Bastarde zuindest in der ersten Generation weitgehend fruchtbar sind. In der Natur sind solche Bastarde selten, obwohl vielerorts mehrere Xiphophorus-Arten im gleichen Gewässer leben. Das sehr differenzierte Balzverhalten und auch die Nutzung unterschiedlicher Mikrohabitate innerhalb des Biotopes verhindert gewöhnlich ein Fremdgehen sowohl der Männchen wie auch der Weibchen. Im Aquarium ändert sich das, wenn zur Kreuzung vorgesehene Tiere als neu geborene Jungfische gemeinsam mit ähnlich alten Jungtieren der anderen Art aufgezogen werden. Dann werden sie sozusagen fremdgeprägt und erkennen die Geschlechtspartner der fremden Spezies an. Auf diese Art und Weise wurde das Gen für rote Körperfärbung, das bei manchen Standortvarianten des Platys (Xiphophorus maculatus) auch bei wildlebenden Tieren auftritt und sich durch geeignete Zuchtauswahl im Aquarium schon nach wenigen Generation zu einem leuchtenden Rot herauszüchten lässt, auf die Art X. hellerii übertragen. Die Rotplaty-hellerii-Bastarde (ein anderes Wort dafür ist Hybriden, was exakt das gleiche bedeutet, nämlich „Mischlinge“) wurden auf den Elternstamm der X. hellerii zurückgekreuzt und so entstand der heute allgemein bekannte Rote Schwertträger.

Männchen des Wiener Schwertträgers.

Der Schwertträger, der nach Wien benannt ist, also der Wiener Schwertträger, ist insofern besonders bemerkenswert, als dass er nicht nur rote Albino-Augen hat, sondern auch einen knallroten Körper. Normalerweise haben Albinos weiße oder fleischfarbene Körper, doch keine roten.

Diese fleischfarbene/weiße Körperfärbung basiert ebenso wenig auf echten Körperfarben (Pig­menten) wie die Rotfärbung der Augen. Sie basieren tatsächlich auf der roten Farbe des Blutes, die wegen mangelnder Pig­mentierung durch die Haut bzw. Netzhaut schimmert. Denn genau das zeichnet den Albinismus aus: einem Albino fehlen die genetischen Grundlagen zur Ausbildung von entweder allen Pigmenten – dann nennt man ihn vollständigen Albino – oder zur Auspräugung von nur manchen Farbpigmenten. Dann nennt man ihn partiellen ( = teilweisen) Albino.

Die ersten albinotischen Schwertträger tauchten in den 1930er Jahren in den USA und in Deutschland auf. In den folgenden Jahren mehrten sich Berichte von Farb­abweichungen bei Schwertträgern. Dabei sind an dieser Stelle besonders die von Inter­esse, die zeigen, dass die Farbe Rot durch Einkreuzung von Platys (Xiphophorus ma­culatus) auf Schwertträger übertragen wurde. Darin stimmen mehrere Autoren überein, unter anderem der legendäre Dr. William T. Innes in seiner weltbekannten 1935er Ausgabe von “Exotic Aquarium Fishes”. Es gibt, wie wir heutzutage wissen, durchaus auch wildlebende Populationen von X. hellerii, bei denen zumindest ein Teil der Männchen sich rot einfärbt. Diese Rotfärbung hat jedoch andere genetische Grundlagen als die vom Platy auf den Schwertträger übertragene Rotfärbung und war deshalb bei der Entstehung des Wiener Schwertträgers nicht beteiligt.

Diese beiden Weibchen des Wiener Schwertträgers zeigen ganz schön, dass es verschiedene Stämme gibt, die sich in der Körperfarbe unterscheiden. Auch der Augenring (bei dem oberen Weibchen silbrig, bei dem unteren rot) deutet darauf hin.

Bei ihm werden die Gene für Albinismus und Rotfärbung unabhängig voneinander getragen, genau wie die Fähigkeit, Melanin (schwarzes Pigment) zu erzeugen. Bei rotäugigen Albinos fehlt letztere gewöhnlich (es gibt auch hier Ausnahmen, aber die sollen an dieser Stelle vernachlässigt werden); wenn also nur Albino-Gene vorhanden sind, ist der Fisch weiß oder (wegen der oben aufgeführten Gründe) rosa-fleischfarben mit roten Pupillen.

Wenn sie jedoch das vom Platy-Verwandten ererbte Gen für Rotfärbung besitzen, so werden diese Albinos am ganzen Körper rot, weil das Gen für Ausprägung roter Körperfarbpigmente auf einem anderen Allel lokalisiert ist als das Gen für die Ausprägung schwarzer Pigmentzellen in der Iris der Augen. Das ist beim Wiener Schwertträger der Fall und verantwortlich für die charakteristische Färbung dieser Zuchtform. Ein Allel ist – das nur zur Auffrischung der Genetik-Kenntnisse aus der Schule – eine Gen-Abschnitt, der für eine bestimmte Merkmalsausprägung verantwortlich ist.

Wann der „Wiener“ seinen Namen bekam ist mir leider nicht bekannt. Erstmals beschrieben wurden albinotische rote Schwertträger 1933 in der „Wochenschrift für Aquarien- und Terrarienkunde“ auf den Seiten 131-132; Autor war Hans Breider. Der publizierte 1936 die Arbeit „Die genetischen, histologischen und zytologischen Grundlagen der Geschwulstbildung nach Kreuzung verschiedener Rassen und Arten lebendgebärender Zahnkarpfen“ in der Zeitschrift „Zeitschrift für Zellforschung und Mikroskopische Anatomie“ (Bd. 28 (5): 784-828) und zeigte anhand von Albinos: „Für die Bildung der Geschwulst ist nicht die Überproduktion von Melanin schlechthin verantwortlich. Vielmehr sind außer Melanophoren auch Zellen an der Tumorbildung beteiligt, die mit der Melaninentwicklung nichts zu tun haben.“ Bis zum heutigen Tage sind Schwertträger und ihre Zuchtformen extrem wichtige Modellorganismen für die Erforschung der Entstehung von Krebserkrankungen geblieben.

Wiener Schwertträger, lyra-flossig

Heute gehört der Wiener zu den beliebtesten Schwertträger-Rassen und wird auch in verschiedenen Flossenmodifikationen gezüchtet. Sehr imposant wirken (wenn man sie denn mag) die Lyratail-Zuchtformen beim Wiener. Bereits bei wildlebenden Schwertträgern ist zu beobachten, dass die Weibchen die prächtigsten Männchen bevorzugen. Und so entwickelte sich beim Schwertträger die Schwertflosse, offensichtlich ein reines Luxusgebilde ohne jeden praktischen Nutzen, das, genau wie die Schleppe des Pfaus, nur dazu dient, die Damenwelt zu beeindrucken.

In menschlicher Obhut können sich auch genetisch bereits vorgesehene Luxusbildungen erhalten, die im Freileben wohl zu unpraktisch sind. Dazu gehört der Lyra-Faktor, der beim Schwertträger dazu führt, dass in beiden Geschlechtern alle Flossen (mit Ausnahme der Bauchflossen) stark verlängert sind – auch bei den Weibchen. Diese finden Lyra-Männchen auch sehr, sehr sexy. Allerdings bleibt das Begehren unerfüllt. Denn das Begattungsorgan der Männchen ist ebenfalls eine Flosse (die umgebildete Afterflosse) und beim Lyra viel zu lang, um zur Begattung eingesetzt werden zu können. Wie heißt es so schön: schon mal probiert, mit gekochten Spaghetti Mikado zu spielen?

Darum muss man zur Zucht gewöhnlich „normale“ Männchen verwenden, die man mit lyraflossigen Weibchen paart. Bei den Nachkommen ist aus diesem Grund gemäß der Mendelschen Regeln nur ein gewisser Anteil lyraflossig, weshalb die Zucht ziemlich aufwändig ist. Es ist übrigens völliger Unsinn, wenn behauptet wird, die Zucht von lyraflossigen Schwertträgern sei Tierquälerei, weil man dazu den Männchen das überlange Gonopodium einkürzen müsse. Zur Befruchtung wird die Spitze des Gonopodiums benötigt, die bei teilamputierten Lyra-Männchen selbstverständlich fehlt – diese sind also grundsätzlich befruchtungsunfähig, eine Praxis des Gonopodiumeinkürzens bei Züchtern von Lyratails existiert nicht. Es gibt aber, wenn auch nur sehr selten, auch Lyratail-Schwertträger-Männchen, bei denen das Geschlechtsorgan ganz normal ausgeprägt ist und die darum auch befruchten können. Diese Tiere werden als „King-Lyra-Schwertträger“ bezeichnet. Allerdings hat es sich in Züchterkreisen bislang nicht durchgesetzt, Lyraschwertträger auf der Basis von King-Lyras zu züchten. Woran das liegt, ist mir nicht bekannt. Der einzige King Lyra Wiener Schwertträger, den ich bisher zu Gesicht bekam, war ein relativ schmächtiges Exemplar, das zudem eine arg zerfledderte Schwanzflosse aufwies. Letzteres ist jedoch nicht genetisch bedingt. Schwertträger-Männchen sind untereinander sehr territorial und fechten schon frühzeitig eine Hackordnung untereinander aus. Die durch ihre wallenden Flossen ausgezeichneten Lyratails sind bei diesen Rangordnungskämpfen stets benachteiligt, weil sie einerseits aufgrund ihrer großen Flossen weniger wendig sind und andererseits mehr Angriffsfläche bieten. Für den betroffenen Lyratail-Mann ist das nicht schmerzhaft und die Flosse regeneriert sich auch wieder, aber aus ästhetischer Sicht sehen solche Regenerate nie besonders hübsch aus. Und der einzige Grund, Lyratail-Schwertträger zu züchten, ist schließlich deren ästhetisches Aussehen.

King Lyra Schwertträger der Wiener Zuchtform. Die zerfledderte Schwanzflosse ist kein genetisches Merkmal dieser Variante, sondern eine Folge von kämpferischen Auseinandersetzungen.

Ich denke, dass der Hauptgrund dafür, dass Lyras auf traditionelle Art und Weise gezüchtet werden (also normalflossiges Männchen mit lyraflossigem Weibchen) darin liegt, dass die kommerzielle Zucht von Schwertträgern generell hierzulande nicht gut möglich ist. Ein in Deutschland gezüchteter Schwertträger in guter Verkaufsgröße (also 4-6 cm Körperlänge) und hoher Qualität muss arbeits- und kostenintensiv in großen Aquarien, optimaler Fütterung und sehr häufigen Wasserwechseln aufgezogen werden. Rechnet man die hierzulande anfallenden Strom-, Wasser- und Futterkosten, dazu Miete, Arbeitslohn und Materialkosten, so müsste ein solches Tier dem Züchter ein Vielfaches des Preises bringen, der für importierte Schwertträger aus dem tropischen Asien bezahlt wird. In den dortigen großen Zuchtbetrieben bzw. Zucht-Kooperativen sind dermaßen viele Tiere im Spiel, dass auch die weniger aufwändige, exzessive Lyra-Zucht den Züchtern genug Lyratails bescheren, um die Nachfrage zu befriedigen. Die als Nebenprodukt anfallenden Normalflosser können ja auch verkauft werden und die Nachfrage nach Lyras ist deutlich geringer als nach normalflossigen Tieren. Lyraflosser sind nun einmal nicht jedermanns Geschmack und ihre Pflege ist auch aufwändiger, weil es gilt, dafür Vorsorge zu tragen, dass die schön entwickelten Flossen nicht von Mitbewohnern – seien es nun Artgenossen oder artfremde Fische – beschädigt werden.

Brokkoli-Schwertträger der Wiener Zuchtform.

Auch die „neueste“ Züchtung (im Prinzip gibt es die schon gut 50 Jahre), der Brokkoli-Schwertträger, kommt bei uns meist als Wiener auf den Markt. Kreuzt man Simpson-Schwertträger – das sind die Schwertträger mit der fahnenartig verlängerten Rückenflosse, aber normal entwickelten übrigen Flossen – mit Lyratail-Schwertträgern erhält man zu einem gewissen Prozentsatz Tiere, bei denen nur die Rückenflosse verlängert ist, wie beim Simpson, jedoch einzelne Strahlen in der Rückenflosse länger sind als andere. Diese Flossenform galt lange Zeit als wenig attraktiv und wurde auf Ausstellungen auch nicht zugelassen (Stallknecht, 1989). In Asien haben die Züchter aber damit weitergearbeitet und kamen zu riesigen Simpson-Flossen, deren oberer Rand wellenartig gefältelt ist. Das Ergebnis nennen sie Brokkoli-Schwertträger und sie finden in kleiner Stückzahl trotz des vergleichsweise hohen Preises, den die Züchter dafür verlangen, ihre Käufer, die Freude daran haben.

Ein Simpson-flossiges Weibchen des Wiener Schwertträgers.

Frank Schäfer


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Städtereisen mit Xiphophorus hellerii (2): Die Frankfurter Kreuzung

Frankfurt am Main wird von vielen heutzutage als Mainhattan bezeichnet. Riesige Bankenhochhäuser bestimmen die Skyline der Metropole. Es gibt aber auch die beschaulichen Ecken in Frankfurt und schon immer eine aktive aquaristische Szene. In der Zeit zwischen den Weltkriegen wurde ein sehr attraktiver Schwertträger in Frankfurt gezüchtet. Der hervorragende Schwertträger-Züchter Günther Schramm (30. Januar 1945 – 29. März 2011) hat in der AqualogNews 26 über ihn berichtet. Ich bringe den Bericht hier noch einmal. Günther Schramms Homepage mit vielen wertvollen Hinweisen zur Xipho-Zucht ist immer noch aktiv, ein Besuch lohnt sich: http://xiphophorus-zuchtformen.de/index.php

Spitzentiere der Frankfurter Kreuzung sind fast nie zu finden. Meist zeigen Frankfurter, wie das oben abge­bil­dete Tier, viele Farbunregelmäßigkeiten und werden mit Berliner Schwertträgern verwechselt.

Doch hier nun der Bericht:

Frankfurter Schwertträger (Xiphophorus helleri) – eine seltene Zuchtform

von Günther Schramm

Unter den vielen Zuchtformen, die aus den Schwertträgern und Platys der Gattung Xiphophorus herausgezüchtet werden konnten, finden manche bereits seit Jahrzehnten trotz gewisser Schwierig­keiten bei der Zucht begeisterte Anhänger. So auch der halb­schwarze „Frankfurter Helleri“. Seit 25 Jahren beschäftige ich mich mit dieser seltenen und schwierigen Zuchtform. Wie ist dieses Zeichnungsmuster entstanden?

Roter Platy – Vater,  Grüner Helleri – Mutter: Die Frankfurter Kreuzung

Der Frankfurter Züchter Ph. Stettner er­zielte durch Kreuzung eines roten Männ­chens von Xiphophorus maculatus mit einem Weibchen vom grünen X. hellerii und weiterer stän­diger Auslese der Nach­zuchten eine Spiel­art, die an Kopf, Brust und dann bis zur ungefähren Rumpf­hälfte die rote Färbung des Stamm­vaters aufwies, während die Unterpartie des Kör­pers tiefschwarz war. Den Übergang zwischen schwarz und rot bildete eine feine schwarze Sprenke­lung. Die Schup­pen waren mit metallisch-grün schim­mern­­den Pünkt­chen übersät, der Bauch zeigte eine orange-rote Tönung, die Iris weißlichgrün, Flossen, mit Ausnahme der Brustflossen, waren dunkel gesprenkelt. Dieser Stamm war 1929 bereits aus­gereift vorhanden (Jacobs, 1969).

Die Kreuzung Helleri x Montezuma-Schwertträger

Über einen anderen „rot-schwarzen Helleri“ berichtete der amerikanische Ichthyologe und Genetiker Dr. Myron Gordon 1959. Hierbei wurde in viel­jährigem Einkreuzen aus der grünen Wild­form von Xiphophorus hellerii und dem, im gleichen Gebiet verbreiteten, Xiphophorus montezumae ebenfalls eine schwarz-rote Farbkombination heraus­ge­­­züchtet. Nach Gordon sind die Schwanz­­­flossen und der hintere Körper­ab­schnitt seines „rot-pechschwarzen Schwert­­trägers“ völlig schwarz, wo­ge­gen der übrige Körper in einem leuch­ten­­den Rot erstrahlt. Das Schwert ist, im Gegensatz zu anderen Helleri-Kreuzun­gen und den bei Züchtung dieser Farb­form auftretenden Vorstufen, sehr lang und schmal. Bei optisch gleicher rot-schwarz Färbung kann man die amerika­ni­sche  „rot-pechschwarze“ Kreuzung durch das längere Schwert von der „Frankfurter Kreuzung“ unterscheiden.

Männchen des Montezuma-Schwertträgers haben das längste Schwert aller Schwertträger-Arten. Dies ist ein Männchen eines Wildstammes.

Manches, was gut aussieht, lässt sich nicht weiterzüchten

Als sensationell wurde Mitte der 50er Jahre eine Schwertträger-Zuchtform empfunden, die man im Handel als Frankfurter Schwertträger bezeichnete. Leider weiß heute niemand, wie sie ent­standen war. Auf roter Grundfärbung war die hintere Körperhälfte sattschwarz, die scharfe Trennung lag etwa unter der Mitte der Rückenflosse. Es gelang nicht, aus diesen Fischen erbfeste Nach­kommen zu gewinnen, so dass nur wenige Ab­bildungen dokumentieren, wie diese attraktive Zuchtform ausge­sehen hat (Stallknecht, 1989). Stallknecht führt weiter aus, dass durch Einkreuzung von Tuxedo-Schwertträgern versucht wurde, diesen Stamm zu erhalten, was jedoch misslang.

Ein Frankfurter Schwertträger auf Körperfarbe Gelb mit Lyraflossen

Man darf nicht wild draufloskreuzen!

Als Züchter beider Farbvarianten, des halbschwarz-quer (Frankfurter) und des halbschwarz-längs (Tuxedo), weiß ich, dass bei Kreuzungen dieser Farbschläge untereinander farb­lich nur Ver­schlech­terun­gen zu erzielen sind. Abgesehen davon, dass der bei diesen Formen manchmal vor­kommen­de Farbkrebs (Melanosarkom) dann ver­stärkt auftritt. Mir sind in meiner weit über 20jährigen Praxis als Züchter dieser Fische bei den Nachzuchten der halbschwarzen Tiere niemals Exemplare mit Längsband­zeich­nung (Tuxedo) untergekommen. Das Zeich­nungmuster halbschwarz-quer ist in jedem Fall erbfest. Die gewünschte  Zeich­nung lässt sich somit auf alle Grund­farben übertragen. Die Schwierigkeit besteht aller­dings darin, dass nur sehr wenige Tiere eine scharfe Quer­teilung aufwei­sen. Noch schwieriger ist es, ein gleich aus­sehendes Paar zu erhalten. Deshalb sind diese Fische auf den Leistungs­ausstellungen nur selten zu sehen. Bemerkenswert ist auch, dass relativ schlecht gezeichnete Fische jeder­zeit Spitzentiere bei den Nachzuchten her­vorbringen können.

Halbschwarz-längs gezeichnete Fische, hier ein rotes Männchen mit Simpson-Rückenflosse, bezeichnet man auch als Tuxedo.

Man kann diese Zuchtform beliebig ver­feinern. So ist es mir in den vergangenen Jahren gelungen, Fische dieses Farb­schlages mit roten Flossen zu züchten. Besonders schön sehen solche Tiere bei der Grundfarbe gelb aus. Wagtail­zeichnungen, d. h., Fische mit schwarzen Flossen, können ebenfalls über­tragen werden. Wenn man die ohnehin sehr wert­vollen Tiere noch in den Sonder­flossen­formen (Lyratail, Deltaflosser) züchtet, sind solche Fische kaum an Schönheit zu überbieten.

Ein nahezu ideales Frankfurter Weibchen auf gelber Grundfarbe.

Eigentlich sollte gerade diese Zuchtform eine Herausforderung für viele Züchter sein, sich mit diesen Tieren zu be­schäftigen. Leider ist dem nicht so! Das liegt hauptsächlich daran, dass bei den vielen Nachzuchten nur sehr wenige als aus­gesprochene Spitzentiere ange­sehen werden können.

Noch einige Tipps zur Zucht

Zuerst sollte man dem Umstand Rech­nung tragen, dass diese Zuchtform dazu neigt, recht groß zu werden. Größen zwischen 10 und 12 cm sind keine Selten­heit. Xiphophorus hellerii hat eine Le­benserwartung von maximal 24 Mo­na­­ten. Es kommt vor, dass Männchen bis zu ihrem Lebensende wachsen und dabei nie geschlechtsreif werden. Neben solchen Tieren gibt es aber natürlich auch viele für die Zucht taugliche.

Es hat sich bei der Bekämpfung von Farb­krebs (Melanosarkom) als günstig er­wies­en, so oft als möglich einfarbige Tiere einzukreuzen. Dadurch ist in den letzten 10 Jahren der Farbkrebs nur noch selten in Erscheinung getreten. Bei der Ver­­paarung zweier halbschwarzer Tiere kommt man zwar schneller zum Zucht­ziel. Mit Rücksicht auf unsere Tiere und zur vorbeugenden Bekämpfung des Farb­k­rebses rate ich je­doch davon ab.

Welches Wasser für Helleris?

Eine mittlere Wasserhärte und ein pH-Wert um 7 sorgen für das nötige Wohl­be­fin­den. Es sollte darauf geachtet werden, dass der pH-Wert nicht unter 6 fällt. Das wird nicht vertragen. Ein wöchentlicher Teilwasserwechsel und häufiges Reini­gen des Filter­materials wirken sich positiv auf die Wasserqualität aus.

Was fressen Schwertträger?

Meine Fische erhalten so oft und so lange es im Jahr möglich ist lebendes Tümpelfutter. Flockenfutter, Rinderherz und Frostfutter er­gänzen den Speise­zettel. Wichtig ist, dass neugeborene Jung­­fische noch am gleichen Tag ihr erstes Lebendfutter erhalten. Dazu eignen sich bestens Salinen­krebschen  (Artemia). Setzt die Fütterung zu spät ein, er­folgen Hunger­schäden, welche nicht mehr auf­geholt werden können.

Eine rechtzeitige Vorauslese nach Qualitäts­­merkmalen sollte spätestens nach drei bis vier Wochen erfolgen. Die brauchbaren Tiere erkennt man schon sehr zeitig. Sie sollten gesondert, in großen Aquarien, bei mäßigem Besatz aufgezogen werden.

So weit Günther Schramm.

1956 wurde, wie oben schon erwähnt, von Myron Gordon eine sehr ähnliche Hybridform als „rot-pech­schwarzer Schwert­träger“ in der Zeitschrift TFH vor­gestellt. Ungeachtet ihrer Herkunft sind sowohl Frank­furter wie auch Rot-Pechschwarze Schwertträger ausgesprochene Raritäten. Mehrere Faktoren sind dafür verantwortlich. Hauptsächlich ist es jedoch so, dass immer nur wenige Tiere eines Wurfes die ge­wünschten Farbmerkmale in guter Qualität zeigen. Hinzu kommt die Neigung von Schwertträgern mit hohem Schwarz­anteil in der Färbung zu Farbkrebs (auch als „maligne Melanome“ bezeichnet). Was auch immer der Grund ist: Top-Qualitäts-Schwert­träger der Frankfurter Kreuzung sind nur sehr schwer zu bekommen.

Allerdings sind seit mehreren Jahren sehr gute und sauber gezeichnete Platys der Frankfurter Variante auf der Körperfarbe weiß zu haben. Im Handel werden sie als „Platy Panda“ bezeichnet. Kreuzungen dieses Frankfurter Platys mit Schwertträgern könnten die Qualität der Frankfurter Schwertträger vielleicht verbessern. Ich habe gerade damit angefangen, in diese Richtung zu experimentieren. Wenn etwas Gescheites dabei heraus kommt, werde ich an dieser Stelle darüber berichten.

Frank Schäfer

Weiteren Lesestoff über Lebendgebärende Zahnkarpfen finden Sie hier: https://www.animalbook.de/navi.php?qs=lebendgeb%E4rend


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Städtereisen mit Xiphophorus hellerii (1): der Berliner Schwertträger

 

Berliner Schwertträger

Beim Berliner Schwertträger handelt es sich um eine ursprünglich durch Artkreuzung her­­vor­gebrachte Zuchtform, die später durch Verdrängungszucht dem Aussehen von Schwertträgern angeglichen wurde. Bei roten und gelben Zuchtstämmen des Platys (Xipho­phorus maculatus) treten gelegentlich als Folge einer spon­tanen Mutation schwarz­gefleckte Tiere auf. Diese Farbmutation ist geschlechtsgebunden und kommt nur bei weib­lichen Platys vor. Durch Kreuzung sol­cher schwarzgefleckter Platy­weib­chen mit roten Männchen des Schwert­trägers erhält man Hybriden, bei denen auch die Männ­chen die schwarze Fleckung tragen können. Diese Hybriden stehen, wie alle bislang bekannt gewordenen Kreuzungen verschie­dener Xiphophorus-Arten, interme­di­är zwi­schen den Elternarten. D.h., sie haben bezüg­lich des Aussehens etwas von beiden Eltern­teilen abbekommen. Die Hybrid­männchen sind größer als normale Platys, doch so hoch­rückig und gedrungen wie diese. Von dem Schwert des hellerii-Vaters ist meist kaum etwas zu erkennen. Erst durch konsequente Weiterkreuzung der schwarz­gefleckten Hybrid­­männchen auf rote Schwert­­­träger­weibchen erhielt man schließ­lich Berliner Schwertträger.

Berliner Schwertträger müssen nicht zwingend rot sein, hier ein sehr hübsches, weißes Weibchen. Gut zu sehen: die schwarzen Flecken im Rückenbereich irisieren bei typischen Berlinern.

Leider stellte man bald fest, dass gerade die schönsten Tiere mit hohem Schwarzanteil kaum lebensfähig waren, denn sie ent­wickel­ten Krebs aus den schwarzen Farb­zellen. Was schlecht für die Fische war, ist ein Segen für die Menschheit, denn mit diesen Berliner Schwert­trägern hatte man die ers­ten Mo­dell­organismen, die eine Erfor­schung von Krebserkrankungen erst mög­lich mach­ten. Unzählige an Krebs erkrankten Menschen verdanken ihre Heilung unmittelbar den Ergebnissen, die sich aus der Forschung an Berliner Schwertträger-Stämmen mit Farbkrebs ergaben.

Bei diesem Männchen ist der Schwarzanteil in der Schwanzflosse bedenklich hoch.

Züchter müssen jedoch darauf achten, keine Tiere mit zu hohem Schwarzanteil zu züch­ten, damit die Fische keinen Krebs bekommen! Das sind wir aus ethischen Gründen unseren Tieren schuldig. Um das Auftreten von Farbkrebs zu vermeiden muss man immer wieder einmal einfarbige Schwertträger einkreuzen, meist wird man dazu rote Tiere nehmen, es gibt aber auch sehr hübsche Berliner auf andersfarbigem Grund.

Leicht zu verwechseln sind Berliner Schwertträger übrigens mit Güntheri-Schwertträgern und heutzutage sind wohl auch beide Formen stark miteinander verkreuzt. Es gibt nämlich auch in freier Wildbahn schwarz gefleckte Schwertträger. Einer der berühmtesten Ichthyologen aller Zeiten, Albert Carl Ludwig Gotthilf Günther (1830-1914), hat sie 1866 als erster der Wissenschaft vorgestellt. Er hielt sie für eine Farbvariante des gewöhnlichen Schwertträgers aus dem Rio Chisoy (Einzug des Rio Usumacinta) in Guatemala. Etwas später, 1896, beschrieben David Starr Jordan und Barton Warren Evermann in ihrem Klassiker „The fishes of North and Central America“ auf der Basis der Beschreibung und Abbildungen von Günther diesen Schwertträger als eigenständige Art Xiphophorus guntheri (Achtung, sie schrieben wirklich guntheri und nicht guentheri, diese ursprüngliche Schreibweise bleibt auch für alle Zeiten gültig!). Spätere Autoren werteten aber den „guntheri“ nur als Farbvariante oder als Unterart von X. hellerii. Diese Frage ist wissenschaftlich bis heute ungeklärt, in der Aquaristik bezeichnen die Liebhaber die schwarz gepunkteten Schwertträger aber fröhlich als „Güntheris“.

Auf der Basis dieser Abbildung wurde der Xiphophorus guntheri beschrieben.

Kürzlich führte uns der Weg übrigens wieder einmal nach Berlin, es ist ja immer eine Reise wert. Und wenn ich in Berlin bin, muss ich auch in den Zoo. Berlin hat bekanntlich zwei Zoos, den ehemaligen West-Berliner Stadtzoo mit dem Aquarium und den ehemaligen Ost-Berliner Tierpark Friedrichsfelde. Beide haben ihren Reiz und Charme, ich liebe Friedrichsfelde wegen der fantastischen zoologischen Sammlung. Hier kann man z.B. im Dickhäuterhaus nicht nur Elefanten und Nashörner, sondern auch Seekühe, genauer: Amazonas-Manatis (Trichechus inunguis) bewundern, die in einem riesigen Aquarium leben. Naja, sie machen ja auch einen Haufen Dreck, da braucht man viel Wasser für die Verdünnung. In dem Manati-Becken schwimmen auch unzählige Guppys, sehr hübsche Quetzal-Buntbarsche (Vieja melanura, früher V. synspila), einige Schilderwelse und – tatah – Schwertträger! Besonders hat mich gefreut, dass ein feinsinniger Pfleger einige Berliner Schwertträger mit eingesetzt hat. Selbstverständlich ist das nicht, an jeder Ecke bekommt man solche Berliner Schwertträger nicht. Und wer das kleine Video von den Manatis (Aufnahmeort: natürlich Tierpark Berlin) genauer ansieht, der bemerkt auch, dass hier ein Berliner Männchen (es ist stets das gleiche, es ist rot und hat ein pechschwarzes Schwert) gleich drei Cameo-Auftritte hat – herrlich!

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Frank Schäfer

Weiteren Lesestoff über Lebendgebärende Zahnkarpfen finden Sie hier: https://www.animalbook.de/navi.php?qs=lebendgeb%E4rende

 


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Warum gingen die Fische an Land? Teil 3

Die absolute Perfektion in Sachen Landgang haben die Schlammspringer entwickelt. Schlammspringer gehören zu den Grundeln, der erfolgreichsten Fischfamilie der Gegenwart. Mit aktuell 1.843 bekannten Arten – und das sind höchstens die Hälfte der existierenden Arten! – sind die Grundeln auch eine der artenreichsten Fischfamilien überhaupt.

Schlammspringer (Periophthalmodon septemradiatus)

Schlammspringer – sie gehören in die Unterfamilie Oxudercinae innerhalb der Familie der Grundeln (Gobiidae) – haben das Aquarium lange vor dem Menschen erfunden. Denn anders als alle bisher erwähnten Landgänger unter den Fischen haben die Schlammspringer kein Hilfsatmungsorgan, mit dem sie atmosphärische Luft atmen können. Sie sind vollständig auf Kiemenatmung angewiesen. Wie machen sie das bei ihren Landgängen? Nun, wie gesagt: mit einem Aquarium. Schlammspringer können ihre Kiemendeckel so fest anpressen, dass ein wasserdichter Behälter entsteht. Den füllen sie mit Wasser. Und genau wie wir Aquarianer mittels Sprudelstein Luft ins Aquarium pumpen, so durchmischen die Schlammspringer das Wasser in ihrem Kiemenraumaquarium immer wieder mit frisch aufgenommener Luft und reichern es so mit Sauerstoff an.

Schlammspringer – es gibt zwei Gattungen, Periophthalmus und Periophthalmodon, die sich durch die Bezahnung unterscheiden – orientieren sich ganz überwiegend optisch. Auch das ist eine Anpassung an das Land. Unter Wasser, das haben wir in den beiden vorhergehenden Teilen erfahren, ist der Gesichtssinn von stark untergeordneter Bedeutung. „Normale“ Fische, die erblinden, kommen auch ohne Augen ganz gut zurecht, da sie zahlreiche weitere Sinnesorgane haben, die ihnen im Wasser eine perfekte Orientierung ermöglichen. An Land funktionieren diese Sinne aber nicht oder nur schlecht. Vor allem die lorenzinischen Ampullen (Elektrorezeptoren) und das feinste Druckveränderungen anzeigende Seitenliniensystem sind im Medium „Luft“ unbrauchbar. Nur der Gesichts- und der Geruchssinn funktionieren gut, aber beides auch nur, wenn die Oberflächen der Sinnesorgane feucht gehalten werden. Bei den Augen haben normale Landwirbeltiere dazu das Augenlid erfunden. Durch fortwährendes wimpernklimpern wird das Auge feucht gehalten und bleibt somit funktionstüchtig. Lediglich die Schlangen sind einen anderen Weg gegangen. Bei ihnen ist das Auge mit einer durchsichtigen Hornhaut bedeckt, unter der sich ausreichend Feuchtigkeit befindet. Die Hornhaut über dem Schlangenauge wird bei jeder Häutung mit gehäutet; eine Schlange kurz vor der Häutung ist darum praktisch blind, man erkennt das an einer weißlich-milchigen Trübung des Auges.

Man beachte die Gruben unter den Augen…

Fische haben keine Augenlider. Wie lösen also die Schlammspringer das Problem? Mit einem zweiten Aquarium! Unter dem Auge haben die echten Schlammspringer, also die, die auch wirklich an Land gehen, eine Vertiefung, die stets mit Wasser gefüllt ist. Zum Befeuchten klappen die Schlammspringer die hoch oben am Kopf angesetzten Augen in diese Vertiefungen.

Die Befeuchtung der Riechschleimhäute funktioniert bei Schlammspringern genau wie bei uns: sie legen im Körperinneren in Höhlungen, wo sie nicht so leicht austrocknen. Die Befeuchtung der Riechorgane bei den von den Schlammspringern regelmäßig durchgeführten Bädern reicht völlig – die Körperoberfläche der Schlammspringer ist zugunsten einer großen Beweglichkeit nur mit sehr kleinen Schuppen bedeckt, die keinen guten Austrocknungsschutz darstellen, je nach Witterung müssen Schlammspringer darum häufig kurze Bäder nehmen.

Apocryptes bato

Die schrittweise Anpassungen an den Landgang kann man bei der Unterfamilie der Oxudercinae wunderbar beobachten. Die primitivsten, noch vollständig wie normale Grundeln lebenden Schlammspringerverwandten Apocryptes bato; die Gattung Apocryptes enthält nur diese eine Art. Die schönen Grundeln mit den ausdruckstarken Augen leben im Bereich der Flussmündungen. Darum haben sie bereits eine große Anpassung an unterschiedlichen Salzgehalt des Wassers erworben. Schlammspringer müssen diesbezüglich anpassungsfähig sein, denn sie leben im Bereich der Gezeitenzone. Während der Flut leben Schlammspringer im Wasser, während der Ebbe an Land. Da kann es bei einem heftigen Platzregen, wie er in den Tropen allgegenwärtig ist, ganz schnell passieren, dass die Fische plötzlich mit reinem Süßwasser klarkommen müssen und kurz darauf, wenn die Flut hereinkommt, wieder mit dem vollem Salzgehalt des Meerwassers.

Pseudapocryptes elongatus
So ähnlich wie diese beiden Periophthalmodon septemradiatus schauen manchmal auch Pseudapocryptes aus dem Wasser heraus.

Enge Verwande von Apocryptes sind Pseudapocryptes. Diese drolligen Grundeln – es gibt zwei Arten – sind bereits an flaches Wasser angepasst, das sie aber nie freiwillig verlassen. Im Aquarium pflegt man sie am besten bei einem Wasserstand von 8-15 cm. Dann kann man sehr schön beobachten, wie sich die Tiere gelegentlich in S- oder C-förmiger Haltung auf die Schwanzflosse stellen und gerade so die Augen über den Wasserspiegel erheben, wodurch sie die Umgebung und das Land beobachten können. Dieses Verhalten dient vermutlich der Feindabwehr, denn die meisten Fressfeinde der Pseudapocryptes machen – von ihnen aus gesehen – von oben Jagd auf sie.

Scartelaos hispidus
Boleophthalmus boddarti

Noch einen Schritt weiter Richtung Land gehen Scartelaos (4 Arten) und Boleophthalmus (6 Arten). Deren Bewegungsablauf ähnelt schon sehr dem der echten Schlammspringer: ihre Brustflossen sitzen an (wenn auch sehr kurzen) arm-artigen Stielen und die Unterseite der Schwanzflosse hat derbe Strahlen, die ähnlich den Schwanzfedern eines Spechtes als Widerhalt genutzt werden. Wenn es sein muss, schnellen sich die Fische damit mit großer Geschwindigkeit nach vorne. Aber sowohl Scartelaos wie auch Bolephthalmus verlassen das Wasser nie vollständig, wenigstens einen dünnen Wasserfilm unter dem Bauch wollen sie haben. Die Vertreter beider Gattungen ernähren sich vorwiegend von Kleinstpartikeln, die sie aus dem Spülsaum fischen.

Schlammspringer-Männchen (dies ist Periophthalmus barbarus) nutzen ihre prächtigen Rückenflossen zur Kommunikation.
Die besondere Struktur der Schwanzflosse ist bei diesem Periophthalmodon septemradiatus gut zu erkennen.

Die richtigen Schlammspringer, also Periophthalmus (19 Arten) und Periophthalmodon (3 Arten), sind hingegen richtige Landgänger, die die Zeit des Wasserlebens kaum noch richtig nutzen, außer zur Flucht. Ihre Beute – Schlammspringer sind opportunistische Allesfresser, am liebsten fressen sie kleine Tiere – machen sie an Land, hier findet auch das Sozialleben statt. Die Schlammspringer-Arten unterscheiden sich optisch voneinander vor allem durch die auffällig gefärbten Rückenflossen der Männchen. Diese werden wie bunte Flaggen eingesetzt und signalisieren Kampfbereitschaft, Brautwerbung usw. Sie stützen sich auf kräftige Arme und benutzen ihre Brustflossen wie Füße; es steht außer Frage, dass die Schlammspringer besser als jedes andere Wirbeltier an die Gezeitenzone der Mangroven der Tropen angepasst sind. Wer weiß, vielleicht entwickelt sich ja in ein paar Millionen Jahren aus ihnen ein zweite Linie landlebender Wirbeltiere, eine neue Klasse, gleichwertig zu der heute lebenden Klassen der Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische…

Das ist sie wohl, die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, warum die Fische an Land gingen: einfach um der Veränderung willen. Der Sinn allen Lebens besteht darin, sich einerseits zu erhalten und sich andererseits weiter zu entwickeln. Das funktioniert nur durch den ewigen Kreislauf von Geburt und Tod, denn ohne Ende kann es keinen Neuanfang geben. So ist der Landgang der Fische, dem auch wir letztendlich unsere Existenz verdanken, nichts weiter als die Umsetzung des Prinzips, dem alles Leben auf der Erde folgen muss.

Frank Schäfer


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