Bereits seit den 1970er Jahren gilt der Axolotl (Ambystoma mexicanum) als bedrohte Art. Allerdings nur im Freileben, denn zu Millionen und Abermillionen gibt es diesen merkwürdigen, ausschließlich im Wasser lebenden Molch, der zeitlebens larvale Merkmale behält, in den Laboratorien und Aquarien auf der ganzen Welt. Die Art hat als Labortier eine so große Bedeutung, dass es sogar von 1976 bis 2003 eine eigene Fachzeitschrift gab, die ausschließlich dieser Art gewidmet war.
Der Axolotl war nie durch den Fang für den Tierhandel bedroht
Hobbyisten und Wissenschaftler waren stets von Wildfängen unabhängig, da sich dieser Molch problemlos in jeder gewünschten Stückzahl züchten lässt. Bereits nach dem Erstimport nach Frankreich im Jahre 1863 (es handelte sich um 33 schwarze Tiere und ein weißes Exemplar) konnten so viele Tiere nachgezüchtet werden, dass der gesamte europäische Bedarf – und der war gewaltig, denn man interessierte sich brennend für die Frage, unter welchen Umständen und warum die eigentlich zeitlebens wasserlebende Larve zum Landtier (Salamander) verwandelt werden konnte – durch Nachzuchten gedeckt wurde.
Obwohl Axolotl in Mexiko gegessen werden, war auch diese Art der Nutzung durch den Menschen nicht das Problem, denn dafür wurden und werden andere, häufige Arten verwendet, etwa die Larven von A. tigrinum.
Untergang mit den Azteken
Die Hauptstadt der Azteken, Tenochtitlan, lag auf mehreren Inseln inmitten eines großen Sees, des Texcoco. Die Inseln, auf denen Tenochtitlan lag, waren über fünf künstliche Dämme, die unterbrochen werden konnten, mit dem Festland verbunden. So war Tenochtitlan praktisch uneinnehmbar und die Azteken verteidigten es zunächst auch sehr erfolgreich gegen die Konquistadoren.
Die Dämme dienten aber nicht nur der Verteidigung, vielleicht noch nicht einmal in erster Linie, sondern sie sicherten die Trinkwasserversorgung von Tenochtitlan und auch die Ernährung der Bevölkerung. Die Azteken grenzten mit den Dämmen das brackige, untrinkbare Wasser des Sees gegen Teile des Sees ab, die zur Regenzeit von am Boden des Gewässers befindlichen Süßwasserquellen gespeist wurden. So süsste das Wasser innerhalb des eingedämmten Bereiches aus und konnte als Trinkwasser genutzt werden. Bis heute erhalten sind die schwimmenden Dämme der Azteken, auf denen Nahrungspflanzen angebaut wurden. Auf Flößen wurde fruchtbarer Schlamm vom Seeboden – der See ist sehr flach, nur selten tiefer als 1 m – aufgeschichtet und die so gewonnene Anbaufläche sehr erfolgreich genutzt.
Nach dem Sieg der Konquistadoren wurden jedoch die Dämme eingerissen und das ausgeklügelte Kanalsystem der Azteken, das das zum Trinken zu salzige Wasser des Texcoco von süßem Trinkwasser aus den unterseeischem, Regenwasser führenden Zuflüssen des Sees trennte, aus kriegstaktischen Gründen teilweise zerstört.
Die Süßwasser-Areale des Texcoco waren aber die Lebensräume des Axolotl, es kam seit jeher nur in diesem Gebiet vor. Der Untergang der Axolotl wurde also bereits mit der spanischen Eroberung Mexikos eingeläutet. Heute gibt es nur noch einen kleinen Rest des einst riesigen Texcoco. Mit dem See verschwanden viele der nur dort vorkommenden, also endemischen Tier- und Pflanzenarten. Im Xochimilco, einem der beiden Restgewässersysteme des Texoco überlebten noch Reste der ursprünglichen Axolotl-Population. In dem anderen Restwasser, dem Chalco, sind sie hingegen wohl ausgestorben, als der Chalco in den 1990er Jahren viele Jahre nahezu trocken lag.
Wo einst Tenochtitlan war, ist heute Mexiko City, eine der größten Städte der Welt. Der Xochimilco ist ein Stadtbezirk von Mexiko City, der etwa 25 km südöstlich vom Zentrum gelegen ist. Er umfasst rund 119 km2, die von ca. 415.000 Menschen bewohnt werden. Die Bebauung und landschaftliche Veränderung hat bewirkt, dass die Frischwasserzufuhr des Xochimilco nicht mehr durch unter Wasser liegende, von Regenwasser gespeiste Quellen erfolgt, sondern ist im Wesentlichen eine Mischung aus gereinigten und ungereinigten Abwasser, was eine starke Verschlechterung der Wasserqualität zur Folge hat.
Man darf sich den Xochimilco nicht als See vorstellen, es handelt sich vielmehr um einen Gewässerverbund aus Kanälen und see-artigen Erweiterungen. Über 10 exotische Fischarten, darunter so destruktive Arten wie Karpfen und Tilapien, wurden in den Xochimilco verbracht. Die Gewässerverschmutzung und der Fressdruck durch die Fremdfische sind wohl die Hauptursachen für den in jüngster Zeit beobachteten dramatischen Rückgang der letzten wildlebenden Axolotl-Poplation, die aktuell auf der Internationalen Roten Liste der Vereinten Nationen (IUCN) als „Kritisch gefährdet“ eingestuft wird (https://www.iucnredlist.org/species/1095/53947343).
Wissenschaftlich gesicherte ktuelle Zahlen gibt es nicht, man schätzt die Gesamtpopulation auf irgend etwas zwischen 50 – 1.000 Individuen. Auf einem Workshop der IUCN 2019 teilte der an der Erforschung der Restbestände des Axolotls beteiligte Wissenschaftler A. Calzada den Teilnehmern mit, dass 2019 nur an einem einzigen Ort Axolotl nachgewiesen werden konnten, nämlich dem künstlichen, zementierten See Chapultepec in einem Park in der Stadt, wo Tiere ausgesetzt wurden und sich zu vermehren scheinen. Leider wird nicht angegeben, ob es sich bei den ausgesetzten Tieren um Wildfänge oder Aquarienstämme handelte.
Der kritische Punkt für das Überleben des Axolotl im Xochimilco scheint die Überlebensrate von Laich und Larven zu sein. Wenn es nicht gelingt, den Fressdruck auf Laich und Larven durch Fremdfische und das Absterben des Laichs wegen der Wasserverschmutzung zu reduzieren, sieht es für das Axolotl in Freiheit düster aus.
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Dramatischer Rückgang
In der Wochenzeitung DIE WELT erschien Anfang des Jahres 2014 ein Artikel, in dem zu lesen war, dass durch die immer stärkere Umweltverschmutzung die Population des Axolotl im Xochimilco völlig zusammengebrochen sei. Der Bestand pro Quadratkilometer Seefläche soll 1998 noch 6.000 Tiere, 2003 1.000 Tiere und 2008 nur noch 100 Tiere betragen haben. Eine vier Monate dauernde, intensive Suche führte 2013 zu keinem Ergebnis: es konnte kein einziges Exemplar mehr gefunden werden! Das heißt nun noch nicht zwingend, dass der Axolotl in freier Natur wirklich ausgestorben ist, aber die Situation ist auf jeden Fall dramatisch.
Es droht auch der genetische Untergang!
Als Art wird der Axolotl aufgrund der vielen Millionen Tiere, die in Obhut des Menschen leben, wohl überleben. Aber es ist sehr zweifelhaft, ob diese Tiere noch viel mit dem wildlebenden Axolotl gemein haben. Denn der Axolotl wurde auch mit einer nahe verwandten Art, dem Tigersalamander (Ambystoma tigrinum), verpaart.
Hybrid-Axolotl zwischen dem ”echten” Axolotl (A. mexicanum) und dem Tigersalamander bezeichnet man auch als Humphrey-Axolotl. 1969 publizierte der Genetiker Rufus R. Humphrey (1892-1977), dass es ihm gelungen war, ein zufällig in freier Natur in Minnesota gefundenes weibliches Albino-Exemplar des Tigersalamanders mit einem weißen, männlichen leuzistischen Axolotl zu kreuzen. Man erinnere sich: bereits beim Erstimport 1863 war ein weißes Tier, eine Mutante, die allerdings – wenn auch selten – bereits in freier Natur auftritt, enthalten. Leuzistische Tiere haben – im Gegensatz zu Albinos – schwarze Augen.
Für die Kreuzung musste Humphrey einen großen Aufwand betreiben: Eier des Albino-Tigersalamanders wurden künstlich mit Axolotl-Sperma befruchtet, Zellen der wenigen sich entwickelnden Eier in normale Axolotl-Eier transplantiert und schließlich sich daraus entwickelnde Tiere gekreuzt.
Aus dieser Kreuzung gelang es über Rückkreuzung in der F3 schließlich Albino-Axolotl – also rein weiße Axolotl mit roten Augen – zu erzüchten. Diese Albinos gehören heute zu den beliebtesten Axolotls im Tierhandel überhaupt.
Seither wurden die Tiere züchterisch stets weiter bearbeitet, es entstanden alle möglichen weiteren Farbformen.
Es ist zu befürchten, dass es so gut wie gar keine reinblütigen, dem Wild-Axolotl auch genetisch entsprechenden Tiere mehr in menschlicher Obhut gibt. Ein Stamm, den ein Züchter in Frankfurt am Main über 40 Jahre lang ohne Einkreuzung fremder Tiere erhalten hat, wurde 2008 von engagierten Züchtern übernommen, gegenwärtig (2024) hat sich jedoch seine Spur leider verloren.
Rettung durch Tierhalter möglich?
Dieser ”Frankfurter Stamm” stellte möglicherweise die letzte (bekannte) Population des wilden Axolotl-Typs in Liebhaber-Hand dar; diese Annahme beruht auf der Tatsache, dass bei den Nachzuchten ausschließlich schwarze Tiere auftreten, keine weißen, also auch keine leuzistischen mit schwarzen Augen. Leider ist der Frankfurter Stamm ist bezüglich des Aussehens doch deutlich weniger attraktiv als die diversen Zuchtformen, so dass mit einer weiten Verbreitung im Handel leider nicht zu rechnen war. Ohnehin war und ist der Handel mit Axolotln seit den frühen 1980er Jahren durch eine dumme Gesetzgebung behindert, was den Fortbestand der Art zusätzlich bedroht. Da der Axolotl in freier Natur gefährdet ist, wurde er in das Washingtoner Artenschutzabkommen CITES aufgenommen. Leider sind Gesetzgeber aber keine Biologen, verstehen also wenig von der Materie und die mit der Umsetzung der oftmals unsinnigen Gesetze Beamten sind oft ebenfalls nicht vom Fach. Handels- und Haltungsbeschränkungen für gefährdete, besonders geschützte Arten bringen rein gar nichts für den Artenschutz, wenn der Handel nicht eine primäre Ursache für Bestandseinbrüche ist, sondern gefährden diese Arten im Gegenteil zusätzlich, da sich viele erfolgreiche Züchter nicht mit dem erheblichen bürokratischen Aufwand herumschlagen mögen, den der Gesetzgeber fordert. Immerhin: die sonst übliche amtliche Meldepflicht für Arten, die in dem Abkommen CITES, Anhang II (in diesem Schutzstatus befindet sich der Axolotl) aufgenommen wurden, wurde für Privatpersonen ausgesetzt. Wenigstens etwas …
Seit der ersten Version dieses Blogs sind nun einige Jahre vergangen; aktuell (2024) treten häufiger Axolotl im Handel und in Liebhaberbeständen auf, bei denen es sich um reinblütige Tiere zu handeln scheint, jedenfalls sind sie optisch nicht von solchen zu unterscheiden. Wirkliche Sicherheit kann in solchen Fällen zwar nur ein DNS-Test geben, aber es sieht zumindest nicht ganz so düster aus, wie es sich 2018 darstellte.
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Zusätzliche Gefährdung: die Molchpest
Seit einigen Jahren ist die Pflege und Zucht von Molchen und Salamandern ganz allgemein erheblich erschwert, weil eine neuartiger Stamm einer vor allem für europäische Feuersalamander fast immer tödlichen Pilzerkrankung aufgetreten ist. In Belgien ist der Feuersalamander bereits fast völlig ausgestorben, in den Niederlanden ist die Situation dramatisch und in Deutschland breitet sich die Salamander-Seuche (es handelt sich um den Pilz Batrachochytrium salamandrivorans, abgekürzt Bsal) sehr schnell aus. Während erkrankte Tiere unter natürlichen Bedingungen immer sterben, ist eine Heilung mit relativ einfachen Mitteln (Temperaturerhöhung) unter Terrarienbedingungen möglich. Es spricht vieles dafür, dass dieser Pilz bereits vor 100 Jahren in Deutschland aufgetreten ist und das es sich dabei um die Erkrankung handelt, die unter dem Begriff „Molchpest“ Angst und Schrecken unter Molchpflegern verbreitete. Jedenfalls will man seitens der Behörden die Ausbreitung des Pilzes verhindern und hat deshalb strenge Vorschriften für den Handel mit Schwanzlurchen erlassen. Davon sind auch die Axolotl betroffen, weshalb viele Händler die Art aus dem Sortiment genommen haben.
Es sieht leider gar nicht gut aus für diese faszinierenden Tiere…
Frank Schäfer
Literatur:
Contreras, V., Martínez-Meyer, E., Valiente, E., & Zambrano, L. (2009). Recent decline and potential distribution in the last remnant area of the microendemic Mexican axolotl (Ambystoma mexicanum). Biological conservation, 142(12), 2881-2885.
Herrmann, H.-J. (1994): Amphibien im Aquarium. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, 168 pp.
Humphrey, R.R. (1967): Albino axolotls from an albino tiger salamander through hybridization. Journal of Heredity 58:95-101.
Zambrano, L., Vega, E., Herrera M, L. G., Prado, E., & Reynoso, V. H. (2007). A population matrix model and population viability analysis to predict the fate of endangered species in highly managed water systems. Animal Conservation, 10(3), 297-303.
Der Artikel in der WELT ist online abrufbar:
http://www.welt.de/124337369