Die australische Fußball-Nationalmannschaft der Frauen hat gerade gegen die Engländerinnen verloren und ist somit aus dem Kampf um den WM-Titel ausgeschieden. Während aber im Sport jederzeit eine siegreiche Revanche möglich und denkbar ist, ist ein Sieg gegen eine Tierart nahezu ausgeschlossen. Denn Australien hat einen weiteren übermächtigen Gegner aus dem Tierreich: Tilapia. Nach dem Kaninchen (Oryctolagus cuniculus) und der Agakröte (Rhinella marina, früher Bufo marinus) zeigen nun Buntbarsche eindrucksvoll, dass der Mensch nur noch ohnmächtig zusehen kann, wenn er die Natur erst einmal entfesselt hat.
Als Aquarianer und Ökologe hat man zu Tilapien (Gattungen Tilapia, Coptodon, Oreochromis und Sarotherodon) schon immer ein gespaltenes Verhältnis. Einerseits sind die anpassungsfähigen und raschwüchsigen Fische ein Segen für die Menschen in Proteinmangelgebieten, denn die Fische können sich zur Not vegetarisch ernähren. Da sie ferner keinerlei Ansprüche an die Wasserzusammensetzung stellen, sogar mit Brackwasser kommen sie aus, und hohe organische Belastung tolerieren, kann man mit ihrer Aquakultur auch noch in Gebieten, in denen weder eine Viehhaltung möglich ist noch eine ausreichende Fischerei betrieben werden kann, den Eiweißbedarf der Bevölkerung decken.
Tilapia-Arten der Gattungen Oreochromis und Sarotherodon sind Maulbrüter im weiblichen Geschlecht. Dies ist O. niloticus.
Tilapien schmecken wirklich lecker. So lecker, dass man sie auch in Gebieten züchtet, wo das gar nicht nötig wäre – außer zu kulinarschen Zwecken. Entkommen Tilapien aus ihren Zuchtanlagen (und das tun sie früher oder später immer), dann zeigt sich ihr negativer Aspekt. Sie sind nämlich fremder Fischbrut gar nicht abgeneigt, auch alle möglichen anderen Kleintiere verschwinden in den großen Mäulern und die Fische vermehren sich dank ihrer hochentwickelten Brutpflege wie das schlechte Geld. Schon ganze Ökosysteme sind mit Tilapien verseucht, hunderte von Fischarten gelten wegen Tilapien als vom Aussterben bedroht.
Im Aquarium werden Tilapien so gut wie nie gepflegt. Es sind zwar schöne Tiere, aber die genannten Arten werden mit 30-50 cm Länge ziemlich groß und sie fressen sämtliche Wasserpflanzen. Kleine Fische auch. Es gibt zwar auch zwergige, bunte Tilapien, etwa in Kraterseen in Kamerun. Aber der negative Ruf, den Tilapien in der Aquaristik haben, verhindert stets, dass sie mehr als kurze Gastrollen im Hobby geben.
Was sind „Tilapien“?
In den 1950er Jahren begann man, verschiedene afrikanische Buntbarsche aus der Verwandtschaft der Gattung Tilapia auf ihre Eignung zur Aquakultur und zur Bekämpfung des Welthungers zu untersuchen. Die Buntbarsche der Tilapia-Verwandtschaft haben mehrere Eigenschaften, die sie dafür besonders gut geeignet erscheinen lassen:
- sie sind äußerst fruchtbar und gute Brutpfleger; so lässt sich aus wenigen Ausgangstieren rasch eine große Anzahl züchten.
- sie sind schnellwüchsig und erreichen unter gewissen Umständen eine ordentliche Größe
- sie lassen sich gut mit Futtermitteln auf pflanzlicher Basis ernähren, verwandeln also in Eiweißmangel-Gebieten für den Menschen wertloses Grünzeug in kostbares Protein
- sie stellen nur sehr geringe Anforderungen an die Wasserqualität und zeigen eine hohe Toleranz gegen Versalzung
Hinter dem Sammelbegriff „Tilapia“ (Mehrzahl: Tilapien) verbergen sich, wie eingangs erwähnt, viele verschiedene Arten aus mehreren Gattungen. Die echten Tilapia-Arten und Coptodon sind offenbrütende Buntbarsche mit Elternfamilie. Das bedeutet, die Tiere legen ihre aus vielen hundert Eiern bestehenden Gelege auf festen Gegenständen (Wurzeln, Steinen etc.) ab und beide Eltern verteidigen den Laich und später die Jungfische aggressiv gegen potentielle Feinde. In Aquakultur sind aus dieser Gruppe hauptsächlich Tilapia mariae und Coptodon zillii, vor allem letztere Art besitzt eine sehr hohe Salztoleranz und kann sogar in reinem Meerwasser leben. Die Arten der Gattungen Oreochromis und Sarotherodon sind hingegen agame, maternale Maulbrüter, das bedeutet: die Männchen beteiligen sich nach dem Ablaichen nicht an der Laich- oder Jungfischpflege, sondern laichen mit zahlreichen Weibchen ab. Die Weibchen bebrüten die Eier im Maul bis zum Schlupf der Jungtiere und nehmen auch später noch eine Zeit lang die Jungen in Bedrohungs-Situationen zum Schutz ins Maul. Es sind weltweit vor allem Oreochromis aureus, O. niloticus, O. mossambicus, O. urolepis und etliche Hybriden in Aquakultur, aus der Gattung Sarotherodon ist es S. melanotheron – wiederum eine sehr salztolerante Art.
Coptodon zillii, ebenfalls eine offenbrütende Tilapie.
Fluch oder Segen?
Reisende Aquarianer hassen „Tilapien“, denn wo diese Buntbarsche im Netz zappeln, das lehrt die Erfahrung, nimmt die Vielfalt einheimischer Arten rapide ab. Unter Ökologen werden „Tilapien“ ebenfalls gerne als „Seuchen“ oder – englisch – „Pests“ bezeichnet. Ein Zusammenhang zwischen Biodiversitätsverlust und dem Auftreten von „Tilapien“ ist offensichtlich. Weit weniger offensichtlich ist allerdings, ob die „Tilapien“ tatsächlich für den Biodiversitätsverlust verantwortlich sind. Behaupten kann man so etwas nämlich leicht, es zu beweisen ist erheblich schwerer. Es kann genauso gut sein, dass die „Tilapien“ einfach nur besser mit den Gegebenheiten in vom Menschen gestörten Lebensräumen klarkommen als die ursprünglich heimischen Arten. Allerdings steht außer Frage, dass „Tilapien“ jede Nahrungsquelle nutzen, auch Jungfische anderer, einheimischer Arten, die daher mit einem zusätzlichen Predatorendruck (Predator = Freßfeind) klar kommen müssen.
Oreochromis urolepis hornorum
Alles Jammern nutzt aber nichts, denn es gibt zu den „Tilapien“ in vielen Ländern der Tropen einfach keine sinnvolle Alternative in der Aquakultur. Und so lange „Tilapien“ in Teichen gehalten werden, so lange werden auch Tiere in die freie Natur entkommen, sei es bei Hochwasserereignissen oder auf sonstigen Wegen. Und es steht außer Frage, dass „Tilapien“ lecker sind und schon Millionen von Menschen zu einer gesunden Portion Eiweiß und zu einem dauerhaften Einkommen verholfen haben, die sonst unter Mangelernährung und bitterer Armut hätten leiden müssen.
In Queensland in Australien ist der Besitz von „Tilapien“ seit Jahrzehnten verboten. Man darf sie nicht haben, weder lebend zur Aquarienhaltung, noch tot im Kühlschrank für´s Barbecue. Und doch sind inzwischen wohl alle größeren Flussysteme mit ihnen verseucht. Wenn sie noch nicht da sind, werden sie kommen. Woher stammen sie? Die Antwort der Verantwortlichen ist gemein: Aquarianer hätten die Tiere ausgesetzt. Gemein ist das deshalb, weil dieser Weg der Einbürgerung extrem unwahrscheinlich ist und es allmählich nicht mehr zu ertragen ist, wie sich Behörden auf private Tierhalter als Sündenböcke für alles und jedes Übel dieser Welt einschießen. „Tilapien“ waren – wie eingangs geschildert – nie in nennenswertem Umfang Aquarienfische und sie werden es auch nie werden, schon gleich gar nicht die großen Oreochromis, die in Queensland unterwegs sind (um welche Art es sich in Queensland genau handelt, ist der Presse nicht zu entnehmen). Wie sie statt dessen nach Queensland kamen? Höchstwahrscheinlich als ungewollte Beimischung zu anderen Besatzfischen (zum Zweck der kommerziellen und hobbymäßigen Speisefischerei), die, wie in aller Welt, auch in Queensland ständig in riesigen Mengen ausgesetzt werden. Diese Praxis ist absolut verwerflich. Denn erstens ist sie der Hauptweg, auf dem sich invasive Arten verbreiten. Mit den Besatzfischen kommen auch Krankheitserreger, das ist absolut unvermeidlich. Und am allerschlimmsten ist es, wenn eigentlich heimische, ursprünglich im Biotop heimische Arten aus Aquakulturen ausgesetzt werden. So gut wie nie wird dabei nämlich darauf geachtet, dass es sich dabei um die genetisch passende, tatsächlich vor Ort vorkommende Population handelt. Die Folge ist eine unkontrollierte Gendrift, die im Extremfall zum völligen Erlöschen (sprich: Aussterben) der heimischen Art führt. Übrig bleibt eine Kulturhybride, ein Haustier. Mit Erhalt von Artenvielfalt oder gar Artenschutz, als welcher dieses Aussetzen von Nachzuchtfischen oft deklariert wird, hat das mal überhaupt nichts zu tun. Was das Ganze noch perverser macht: aufgrund der eingeschleppten Krankheiten sind Gewässer, in denen besetzt wird, oft deutlich weniger ertragreich als solche, in denen nicht besetzt wird! Dass dennoch auf der ganzen Welt in großem Maßstab Fischbesatz durchgeführt wird, hat seinen Grund darin, dass dies ein erheblicher Wirtschaftsfaktor ist, mit dem große Geldsummen verdient werden. Ich kann allen Fischereiverantwortlichen nur dringend raten, auf Besatzmaßnahmen – von sehr speziell gelagerten Ausnahmen vielleicht abgesehen – ganz zu verzichten. Ist das Gewässer für eine Fischart gut geeignet, wird sich diese Fischart auch ohne Zutun des Menschen reichlich vermehren. Ist das Gewässer ungeeignet, dann bringt die ganze Besetzerei auf lange Sicht auch keinen Erfolg, aber das Ökosystem kann in der Zwischenzeit gewaltigen Schaden nehmen.
Oreochromis mossambicus, die wohl häufigste „Tilapie“ in Aquakultur
Das Beispiel der „Tilapien“ in Queensland zeigt einmal mehr, dass staatliche Stellen komplett versagen, wenn es um die komplexen Zusammenhänge im Natur- und Artenschutz geht. Seit Jahrzehnten werden auf der ganzen Welt haufenweise Gesetze geschaffen, die entweder nur albern oder aber kontraproduktiv sind. Statt immer weitere nutzlose Haltungs- und Fangverbote auszusprechen muss endlich eine sinnvolle, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Aufklärung in Kindergärten und Schulen her. Man darf Kinder nicht daran hindern, Fische, Frösche und Vögel zu fangen und zuhause zu halten, sondern man muss sie darin bestärken, es zu tun. Nur was man kennt, kann man schützen! Nicht durch Schmetterlingssammler sterben die Falter aus, sondern dadurch, dass ohne Schmetterlingssammler niemand mehr ihr Verschwinden bemerkt. In Queensland sind „Tilapien“ verboten. Aber offenbar haben die Behörden nicht bedacht, dass Fische nicht lesen können und sich einen Dreck um Gesetze der Menschen scheren…
Oreochromis niloticus. Diese Art wird über 40 cm lang, aber bereits mit rund 5 cm Länge geschlechtsreif.
Die Original-Meldung können Sie hier nachlesen: http://www.abc.net.au/news/2016-08-12/tilapia-infestation-in-south-east-queensland/7690180
Übrigens: in Brasilien hat man eine neue Nutzungsart für die dort in Aquakultur (und leider auch verwildert) lebenden Tilapien gefunden: als Wundverband bei schweren Verbrennungen! Dazu wird die Fischhaut speziell vorbereitet und anschließend auf die Verbrennung aufgelegt. Diese Form der Behandlung ist noch im Experimentierstadium, aber die bisherigen Erfolge sind bemerkenswert.
Fazit: Tilapien sind, wie alle Tier- und Pflanzenarten weder gut noch böse. Dort, wo sie invasiv sind, sollten sie uns als warnendes Beispiel dafür dienen, was passieren kann, wenn unbedacht so getan wird, als könnten wir die Natur in ihrer Komplexität kontrollieren. Das können wir nämlich nicht. Aber – und auch das zeigt der Fall Tilapia – selbst eine ausufernde Verbotspolitik ist kein geeignetes Mittel, um invasive Arten einzudämmen. Dazu kann nur ein einziges Mittel dienen: Aufklärung.
Frank Schäfer
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