Was macht einen Fisch eigentlich zur Seltenheit?

Kürzlich wurden aus Peru ungewöhnlich schöne Panzerwelse importiert, die – technisch gesehen – zur Art „Metallpanzerwels“, Corydoras aeneus, gehören. In Wirklichkeit, das weiß man seit Jahrzehnten, verbergen sich hinter dem Begriff „Metallpanzerwels“ etliche Arten, die sich jedoch mit klassischen Methoden nicht voneinander trennen lassen. Der Aquarien-Metallpanzerwels ist die häufigste Panzerwelsart im Hobby. Sein genauer Ursprung ist nicht dokumentiert, es handelt sich vermutlich um eine Mischform aus Populationen aus dem südlichen Südamerika, vor allem wohl aus Paraguay. Er ist schön, anspruchslos, anpassungsfähig und züchtet äußerst produktiv. Es ist fast unmöglich, einen Metallpanzerwels falsch zu pflegen. Metallpanzerwelse werden von hiesigen Hobbyzüchtern ebenso vermehrt, wie von den Berufszüchtereien in Europa und Übersee. Und so ist der „Aquarien-Metallpanzerwels“ allgegenwärtig und für wenig Geld zu haben.

Typischer Aquarien-Metall-Panzerwels

Die Wildfangtiere-Tiere aus de Madre de Dios hingegen gibt es nur gelegentlich in kleinen Stückzahlen und sie kosten ein vielfaches von dem, was der Aquarien-Metallpanzerwels kostet. Aber warum? Was macht sie zur Seltenheit?

Wildfang-Metallpanzerwels aus dem Madre de Dios

Die Antwort lautet: weil nur ein kleiner Markt für sie vorhanden ist. Die überwältigende Mehrzahl der Aquarienbesitzer auf der Welt interessiert sich wenig bis gar nicht für die gewaltige Artenvielfalt, die gerade die Fische zu bieten haben. Die Kriterien, nach denen diese Aquarienbesitzer den Besatz für ihr Aquarium aussuchen, sind völlig andere, nämlich: sind die Tiere pflegeleicht? Sehen sie gut aus? Vertragen sie sich mit den anderen Fischen? Darum gibt es im Zoofachhandel ein so genanntes Standard-Sortiment, bestehend aus vielleicht 300 bis 400 Formen, die genau diese Kriterien, nach denen Aquarienbesitzer ihren Besatz aussuchen, erfüllen. Bezogen auf die gesamte Artenfülle der für die Pflege im Aquarium geeigneten Formen, das dürften etwa 20.000 – 30.000 sein (inklusive Zuchtformen, Unterarten, Farbvarianten, Standortformen, etc.), ist das nicht viel, rund 1-2%. Die anderen 98-99% der Arten werden immer Raritäten bleiben.


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Wildfang-Metallpanzerwels aus Paraguay. Solche Tiere waren wohl an der Entstehung des Aquarien-Metallpanzerwelses beteiligt

Nicht, weil sie in der Natur selten wären. Es gibt es kaum eine Kleinfischart, die so selten wäre,  dass nicht eine regelmäßige Nutzung der wildlebenden Bestände ohne Gefährdung der Art möglich wäre; und selbst in den wenigen Fällen, wo ein regelmäßiger Wildfang aus Artenschutzgründen nicht wünschenswert wäre, kann man sie doch, wie jede Kleinfischart, sehr leicht und in praktisch beliebiger Menge nachzüchten. Denn selbst die Arten, die nur wenige Jungtiere produzieren, vermehren sich, verglichen mit Säugetieren oder Vögeln, in ungeheuren Mengen. Zu den Arten mit der geringsten Produktivität in Sachen Nachwuchs gehören die Lebendgebärenden Zahnkarpfen, also Guppy, Platy, Schwertträger, Molly & Co.. Sie bringen pro Wurf nur 10-150 Jungtiere, je nach Größe, Alter und Ernährungszustand des Muttertieres. Verglichen mit Eierlegern ist das ein Witz, laichen doch selbst die winzigen Neonsalmler 50-100 Eier pro Laichgang und das alle 6 Tage, während zwischen der Würfen der Lebendgebärenden 8-12 Wochen liegen.

Xiphophorus meyeri, ein durch Umweltzerstörung gefährdeter Wildplaty aus Mexiko. Bei Bedarf könnte man ihn zu Millionen züchten, doch besteht keine Nachfrage.

Selbst wenn ein Guppy nur 10 Jungfische pro Wurf hat, die ihrerseits wieder nur 10 Jungfische pro Wurf produzieren und so weiter, so ergeben sich von einem einzigen Ausgangstier nach vier Generationen eine theoretische Nachkommenzahl von 19.450 Exemplaren in etwas mehr als einem Jahr! Dabei wird eine Generationsfolge von 12 Wochen zugrunde gelegt und davon ausgegangen, dass etwa 50% der Jungtiere Männchen und 50% Weibchen sind. Bei angenommenen 20 Jungtieren pro Wurf sind es schon 46.900 Nachkommen. Und bei 50 Jungtieren pro Wurf schwindelerregende 20.411.500. Wohlgemerkt, von einem einzigen Weibchen nach vier Generationen in etwas über einem Jahr. Die tatsächlichen Nachkommenzahlen bei Kleinfischen sind aber erheblich höher. Kurz und gut: einen seltenen Fisch bräuchte es eigentlich nicht zu geben, sie pflanzen sich reichlich fort. Doch wohin mit all den Fischen? Wer soll sie kaufen?

Chilatherina sentaniensis
Dieser wunderschöne Regenbogenfisch, der von innen heraus zu glühen scheint, ist in der Natur leider durch Umweltverschmutzung extrem vom Aussterben bedroht. Er lebt ausschließlich im Sentani-See auf Neu-Guinea und einigen Zuflüssen des Sees. Man könnte auch diese Rarität zu Millionen und Aber-Millionen züchten…

Niemand. Es gibt keinen Markt für 20.000 – 30.000 verschiedene Fischformen, wenn man sie ständig anbietet. Darum sind Raritäten letztendlich Raritäten, weil sie kaum jemanden interessieren. Aber diese „kaum jemand“ sind, in Zahlen ausgedrückt, doch immerhin einige hundert Menschlein. Und die haben ihre Freude an einem Metallpanzerwels, der anders als üblich aussieht, der ein Wildfang aus einer abgelegenen Region ist – in diesem Falle Puerto Maldonado, am Fluss Madre de Dios gelegen – und der zahllose Beobachtungsmöglichkeiten bietet, die man an der Haustierform des Metallpanzerwelses aus den verschiedensten Gründen nun einmal nicht machen kann.

Metall-Panzerwelse aus dem Madre de Dios sind eine Rarität und werden auch stets eine Rarität bleiben.

Darum werden solche Seltenheiten immer wieder einmal angeboten und finden dann – als vergleichsweise teure Rarität – auch ihre Käufer. Gut so!

Frank Schäfer

Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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2 Kommentare zu “Was macht einen Fisch eigentlich zur Seltenheit?

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