Als Naturwissenschaftler kann man nur froh sein, dass die Dinosaurier ausgestorben sind. Denn in Zeiten, in denen die Menschen eine größere Bereitschaft zeigen, den Fantasien von Hollywood Glauben zu schenken als den realistischen, aber eben nicht einfachen Einsichten der Wissenschaft, gäbe es sicher unzählige Todesopfer aufgrund der Tatsache, dass in dem Film „Jurassic Park“ die pflanzenfressenden Saurier als friedliche Riesen dargestellt werden.
Dem liegt eine sehr häufig zu beobachtende sprachliche Unrichtigkeit zu Grunde. Fleischfresser im Tierreich werden ganz allgemein mit dem Attribut „aggressiv“, Pflanzenfresser mit dem Attribut „friedlich“ assoziiert. Dabei hat die Art der Ernährung rein gar nichts mit dem Aggressionspotenzial einer Tierart zu tun. Die afrikanische Großtierart, die die meisten Menschen durch aggressives Verhalten tötet, ist nicht etwa der Löwe, sondern das Flusspferd – ein exklusiver Vegetarier.
Fressverhalten ist nicht alles
Vermutlich kommt es zu dieser Fehleinschätzung tierischen Verhaltens, weil in der menschlichen Gesellschaft manche Menschen das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken als aggressives und moralisch zweifelhaftes Verhalten empfinden, während sie das Töten von Pflanzen zu Nahrungszwecken als friedliche und zu bevorzugende Alternative sehen. Aber diese Definition von aggressivem Verhalten beschreibt ausschließlich das Räuber-Beute-Verhalten, oder, um es etwas allgemeiner zu formulieren, das Fressverhalten. Andere Aspekte des Zusammenlebens, seien es nun das Zusammenleben mit Artgenossen oder mit artfremden Lebewesen, werden dabei nicht berücksichtigt. Viele Raubfische etwa sind sowohl gegen ihresgleichen wie auch gegen andere Fische völlig friedlich, wenn sie nicht als Nahrung in Frage kommen. Und etliche reine Pflanzenfresser sind wahre Tyrannen im Aquarium, die weder Artgenossen, noch andere Fische ähnlicher Lebensweise in ihrem Umfeld dulden. Beispiele für letztere sind etwa zahlreiche Doktorfische (Acanthurus) im Meerwasseraquarium oder im Süßwasseraquarium die schönen Maulbrüter der Gattung Tropheus aus dem Tanganjikasee in Afrika.
Tropheus
Obwohl einige Arten dieser Gattung zu den beliebtesten Buntbarschen aus dem großen afrikanischen Grabenbruchsee gehören und die eine oder andere Form fast immer im Zoofachhandel erhältlich ist, hat sich kein allgemein gebräuchlicher Populärname für diese Fische durchgesetzt. Ähnlich wie beim Platy (Xiphophorus maculatus), dessen Populärname sich von der Verballhornung eines älteren, ungültig gewordenen Gattungsnamens Platypoecilius ableitet, sprechen die Aquarianer, wenn sie sich über Tropheus-Buntbarsche unterhalten, von „Mooris“ (für Tropheus moorii) oder „Duboisis“ (für Tropheus duboisi). Es gibt wohl etwa 13 Arten von Tropheus im Tanganjikasee, die sich auf ca. 120 bekannte Unterarten oder Standortformen verteilen (Schupke, 2003). Es sind jedoch erst 6 Arten wissenschaftlich beschrieben worden (Tropheus annectens, T. brichardi, T. duboisi, T. kasabae, T. moorii und T.polli). Eine der schönsten ist zweifellos der Tropheus von Kasanga (ganz im Süden von Tansania), der keiner der bislang beschriebenen Arten angehört.
Garstige Zeitgenossen?
Alle Tropheus ernähren sich von Aufwuchs. Das Wort „Aufwuchs“ beschreibt die vielfältige Mikroflora und -fauna, die sich auf der Oberfläche von Gegenständen – in der Natur gewöhnlich Steine, Holz oder Wasserpflanzen – befinden. Den größten Teil von Aufwuchs stellen im Lebensraum der Tropheus kleine Algen. Tropheus findet man an lichtdurchfluteten Felsküsten, wo sie gewöhnlich in größeren Gruppen beobachtet werden. Allerdings geht es in diesen Gruppen alles andere als friedlich zu. Ständig sind die Tiere in Rangeleien verwickelt oder sie zeigen Balzverhalten, wobei es auch nicht gerade zimperlich zugeht. Eine rationale Erklärung dieser hohen Aggressionsbereitschaft ist nicht leicht zu geben. Denn die Nahrung ist nicht nur knapp, sie ist auch ziemlich nährstoffarm. Eigentlich ist es nicht sehr sinnvoll, die mühsam aufgenommene Energie gleich wieder in ermüdende Kämpfe zu stecken. Aber die Natur funktioniert nicht so simpel. Da Tropheus häufige und überall im See anzutreffende Buntbarsche des Felslitorals sind, ist ihr Verhalten ganz offensichtlich eine erfolgreiche Überlebensstrategie – und allein darum geht es.
Schlimmer geht immer: Petrochromis
Eine mit Tropheus relativ nahe verwandte Gattung ist Petrochromis. Der Gattungsnane bedeutet “Felsenbarsch“. Wissenschaftlich werden acht Arten unterschieden, es gibt aber noch etliche unbeschriebene Spezies. Die Petrochromis-Arten werden deutlich größer als Tropheus, 15-20 cm. Typisch ist ihr viel größeres Maul, verglichen mit Tropheus. Auch Petrochromis sind reine Aufwuchsfresser. Unter einem Volumen von 1.000 Liter lassen sich Petrochromis nicht befriedigend pflegen. Sie sind wirklich hochgradig aggressiv! Ich erinnere mich, dass in den frühen 1980er Jahren ein Vereinsmitglied der Hottonia, des Darmstädter Aquarienvereins, ein 500-Liter-Aquarium mit Petrochromis trewavasae betrieb. Das Aquarium war voll mit jugoslawischen Lochgestein, das damals für die Einrichtung von Aquarien von Buntbarschen aus den großen Grabenseen en vogue war. Aber man sprach trotzdem spöttisch vom „Trümmer-Becken“. Das Aquarium war so voll, dass nur wenig Schwimmraum blieb, andernfalls hätte das Männchen den drei Weibchen wohl noch übler mitgespielt, als es das Tier ohnehin tat. Ich glaube, ich habe nie eines der Weibchen völlig unverletzt gesehen. Und doch hat die Gruppe über Jahre erfolgreich gezüchtet! Petrochromis sind nicht sehr fruchtbar, 5-10 Junge pro Weibchen waren ein gutes Ergebnis. Alle halbe Jahre, im Frühjahr und im Herbst, räumte der Pfleger das Aquarium aus, um die Jungtiere abzusammeln. Dabei wurden dann jedesmal hunderte von Kilo Gestein bewegt. Das geschah immer zur Börse, denn er war wohl der einzige Aquarianer damals weit und breit, der diese Fische wirklich erfolgreich züchtete. Kaufinteressenten kamen von Hamburg nach Darmstadt, um für unverschämtes Geld (so sah ich als Schüler das jedenfalls) ein paar Jungtiere dieser wüsten Raufbolde zu erwerben. Die spinnen, die Aquarianer!
Ständig in Bewegung
In einem Aquarium mit Tropheus ist immer etwas los. Diese Fische sind hektische Schwimmer. Und dominante Männchen sind äußerst farbenprächtig. Jungtiere und Weibchen sind bei Tropheus sp. „Kasanga“ deutlich anders gefärbt als die Männchen. Während Jungtiere noch eine Art Welpenschutz genießen, machen die Weibchen untereinander eine Rangordnung aus. Dieses Bild der lebhaften, sehr bunten Gesellschaft, in der ständig etwas los ist, macht für viele Aquarianer den Reiz aus, sich mit der Pflege und Zucht von Tropheus im Aquarium zu beschäftigen. Es erklärt aber möglicherweise auch, warum sich das hohe Aggressionspotential bei Tropheus im Laufe der Entwicklungsgeschichte als günstig erwiesen hat. Denn Tropheus sind so genannte agame maternale Maulbrüter. Das bedeutet, dass Männchen und Weibchen keine dauerhafte Paarbindung eingehen und es dem Weibchen alleine obliegt, die Eier im Maul auszubrüten.
Erklärungsversuche
Ein buntes Männchen zeigt Dominanzverhalten. Es zeigt an „ich bin stark und unbsiegbar“. Jedes andere Männchen ist ein potentieller Rivale, den es zu vertreiben gilt. Unterlegene Männchen haben deutlich mattere Farben oder nehmen sogar Weibchen-Färbung an. Ein Weibchen ist also gut beraten, sich das bunteste Männchen zur Paarung zu suchen, denn das gibt gute Gene weiter. Nähert sich ein Weibchen einem solchen Alpha-Männchen, so interpretiert das Männchen das als Paarungsannäherung. Ist das Weibchen jedoch nicht paarungsbereit, sieht das Männchen im Weibchen nur einen Nahrungskonkurrenten, den es zu vertreiben gilt. Die Weibchen wiederum kämpfen untereinander um die besten Fressplätze, denn sie sind in der Zeit, in der sie Eier im Maul ausbrüten, beim Fressen behindert. Nur wer es vor der Paarung geschafft hat, sich einen guten Energievorrat anzufressen, wird die anstrengende Zeit der Maulbrutpflege überstehen.
Kasanga im Aquarium
Die hohe Aggressionsbereitschaft und der Bewegungsdrang von Tropheus fordert große Becken. Die sind zudem nötig, weil man Tropheus am besten in Gruppen von 10 Exemplaren aufwärts pflegt, damit sich die Dresche, die jedes Tier abbekommt, einigermaßen verteilt. Ganz wichtig ist eine ballaststoffreiche, nährstoffarme Ernährung, denn sonst stellen sich über kurz oder lang Erkrankungen des Darmes ein oder die Fische verfetten. Tropheus– und da macht T. sp. Kasanga keine Ausnahme – fordern ein möglichst wenig mit Stoffwechselprodukten belastetes, keimarmes Wasser, sonst zeigen sie keine schönen Farben. Dem muss die Filteranlage angepasst sein. Und der Tanganjikasee ist ziemlich warm. Man darf nicht an der Heizung sparen, 26-28°C sind am günstigsten. Wer diese Bedingungen erfüllen kann und will, der wird mit einem Aquarium, das mit Tropheus sp. Kasanga besetzt ist, sehr viel Freude haben und vielfältige, spannende Beobachtungen machen können. Übrigens: artfremde Fische interessieren Tropheus meist nicht sonderlich. Es ist trotzdem nicht sehr ratsam, andere Arten im Tropheus-Becken mitzupflegen, denn die ständige Hektik geht ruhigen Arten auf die Dauer ziemlich auf den Wecker. Kleintierfresser, wie etwa die Lamprologus-Verwandten, können zudem nur schwer gefüttert werden, denn die schnellen Tropheus sind sehr hinter dem für die Tropheus auch noch ungesunden Lamprologus-Futter her. Am besten eignen sich Tanganjika-Clowns (Gattungen Eretmodus, Spathodus und Tanganicodus) für eine mögliche Vergesellschaftung.
Frank Schäfer
Buchtipp
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ISBN 10: 3936027374
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Autor P. Schupke
192 Seiten, ca. 300 Farbfotos, ca. 150 farbige Zeichnungen, gebunden, hardcover + Falt-Poster DIN A1.
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