Schreckenerregende Schauergeschichten haben Jahrhunderte lang Reisende über die südamerikanischen Piranhas (wie sie in Brasilien heißen) oder Pirañas, Caribe oder Pirayas (so in den angrenzenden Ländern) verbreitet.
Im 19. Jahrhundert, der Zeit verschiedener großer Expeditionen, aber auch noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts „schönten“ Reisende ihre Berichte mit Gruselvergnügen, welche die Leser faszinieren sollten. Da war die Rede vom zentnerschweren, mehrere Meter großen Piraíba-Wels oder Filhote (Brachyplatystoma filamentosum), der angeblich badende kleine Kinder mit einem Schluck herunterspült oder vom „spannungsgeladenen“ Zitteraal, genannt Poraqué oder Peixe-elétrico (Electrophorus electricus), von dem man Tiere beinahe ähnlicher Größe angetroffen haben soll, und der mit seiner bis zu 600 Volt starken, selbst erzeugten Spannung sogar starke Kaimane lähmen kann.
Aufsehen und Schaudern erregte auch die Tatsache von der Existenz urinophiler (harnliebender) kleiner nadelförmiger Fische aus der Familie der Schmerlenwelse (Trichomycteridae [Vandeliinae]), die gelegentlich, dem Weg des Harns folgend, in die Harnwege ins Flußwasser urinierender Säugetiere (und so auch Menschen) eindringen, sich dort verhaken und nur durch einen operativen Eingriff wieder zu entfernen sind. Eigenmann (1918) ließ sich sogar dazu verleiten, eine gesonderte Gattung Urinophilus (= „Urinfreund“) aufzustellen, die später allerdings wieder als jüngeres Synonym von Vandellia eingestuft wurde.
Neben den gelegentlich aggressiven „Echten Piranhas“ der Gattung Pygocentrus (welcher derzeit nur drei Arten angehören) fürchten die südamerikanischen Fischer heute hauptsächlich die verschiedenen Arten des Raia oder Arraia: der Stachelrochen. Diese Tiere liegen ruhend am Boden, oft unter Laub verborgen. Tritt ein Mensch auf sie, so schnellt peitschenartig der mit einem großen Stachel besetzte Schwanz des Fisches empor. Diese Verteidigungswaffe des Fisches ist so kräftig, dass sie selbst Lederstiefel durchbohren und in den Beinknochen eindringen kann. Da die Fischer jedoch fast alle barfuß gehen, reißt der Stachel bei ihnen gefährliche Wunden, denn eine Drüse scheidet gleichzeitig neben einem Nervengift eine gewebezerstörende Substanz aus, deren Wirkung nur durch einen sofortigen Eingriff eines Arztes eingedämmt werden kann. Welcher der meist armen Fischer hat aber das Geld, einen Arzt hinzuziehen zu können — selbst, wenn einer in der Nähe wäre!?
Auch in neuerer Zeit sollen die fleischfressenden Piranhas nach den Wünschen einiger Horrorfilm-Produzenten die Betrachter von Fernsehfilmen und -berichten das Gruseln lehren. Bezeichnend für den Horror war Ende der 1990er Jahre ein Hollywood-Streifen zum Thema „Piranhas . . . “. Dabei sind „Piranha-Kunde“ und „Kunde vom Piranha“ (wie die Autoren solcher Medien-Spektakel sie auffassen) zweierlei. Deshalb folgt hier ein diesbezüglicher Auszug aus einem deutschen Wochenblatt der Regenbogenpresse:
Drama im Amazonas-Dschungel!
Goldsucher fielen Piranhas zum Opfer! (Amazonas/Brasilien) „Es war wie im Horrorfilm!“ erzählt Goldsucher Tony Miles (26). „Unser Boot prallte gegen einen Baumstamm. Jeff und Sam fielen in den Amazonas. Plötzlich kochte das Wasser. Hunderte Killer-Piranhas stürzten sich auf sie. Jeff und Sam hatten keine Chance. Die Piranhas fraßen sie in Sekunden auf. Ich sah nur noch weiße Knochen auf dem Fluss-Grund schwimmen.“ Der US-Abenteurer Tony Miles war mit seinen Freunden per Kanu in der Hölle des Amazonas (Brasilien) auf Goldsuche unterwegs. „Wir hatten im Fluss schon die ersten Gold-Nuggets gefunden“, sagt er. „Am nächsten Tag starben meine Freunde. In Panik bin ich zurückgepaddelt. Keine zehn Pferde kriegen mich zurück. Auch wenn da Gold für Millionen liegt!“
Geschichten wie diese sind, wenn ihnen überhaupt eine ähnliche Tatsache zugrunde liegt, von der Phantasie des Autors oder Redakteurs stark in Richtung „Horror“ verbessert: Da wird erzählt, dass „hunderte“ von Piranhas zwei „komplette“ Männer (das mögen rund 170 kg Lebendgewicht sein) innerhalb von Sekunden aufgefressen hätten, so dass nur noch die „weißen“ Knochen zu Boden gesunken wären. Sah der genannte Mr. Miles sie durch das Amazonas-Weißwasser (eine absolut lehmtrübe und somit undurchsichtige Brühe) dort liegen? Oder durch das ebenso undurchsichtige Schwarzwasser? Vorher hatten sie „im Fluss“ die ersten „Gold Nuggets“ gefunden. Nuggets? Wo um alles in der Welt findet man die im Río Amazonas? Warum wohl brauchen Goldsucher soviel Quecksilber, um die feinen Partikel des Goldes zu binden? Nuggets? Wohl zu viele Bücher vom Klondike gelesen?
Der Wahrheit näher, weil sachlicher, kommt da schon die Zeitschrift „Weltbild“ (Nr. 148, Heft 10/00), in der die Frage „Sind die Piranhas wirklich so gefährlich?“ wie folgt beantwortet wird: „Wenn zu viele Piranhas auf engstem Raum leben und die Nahrung knapp wird, können aggressive Arten auch dem Menschen gefährlich werden. Ansonsten aber gründet der üble Ruf der >Amazonas-Monster< auf einer Legende, ähnlich wie bei Wolf, Hyäne oder Weißem Hai. Piranhas sind Aasfresser und greifen lebende Beute nur an, wenn diese stark blutet.“
Wenn man das Wort „Aas“ liest, denkt man an Verwesendes und Stinkendes. Solch ein Fleisch schätzt ein Piranha sicher nicht. Da aber nach unsererem Sprachverständnis >tot< = >Aas< ist, muss man diese Bezeichnung wohl akzeptieren.
Piranha-Angeln hat sich in einigen hotelnahen Gebieten zu einem gewissen Sport entwickelt, wobei sich gelegentlich beim Hantieren durch Ungeübte zeigt, dass Piranhas dann kräftig zubeißen können, wenn sie vom Haken genommen werden sollen und der Angler dem schnappenden Maul des Fisches zunahe kommt. Da es sich meist aber nur um halberwachsene Tiere handelt, sind diese „Einmalbisse“ in den meisten Fällen nicht weiter gefährlich.
Goulding (1980) schildert einen Fall, wobei ein von einem Jäger verwundetes Capybara (Hydrochoerus capybara = ein so genanntes Wasserschwein, ein großer Nager, kein Schwein!) Zuflucht in einem Gewässer suchte, seine blutende Wunde von den Sensoren der Piranhas wahrgenommen und das Capybara innerhalb kurzer Zeit angegriffen wurde.
Es werden gelegentlich auch Geschichten erzählt, wie manche Leute mit der Piranha-Angst anderer Geld zu machen versuchen. So berichtet Sterling (1973): „Es war ein sehr heißer Nachmittag. Mein Führer stoppte das Boot und schlug vor, wir sollten ein wenig schwimmen. So beiläufig fragte ich, ob es Piranhas im Wasser gäbe. »Kein Grund zur Aufregung«, sagte er, »wenn der Fluss nicht gerade von Piranhas wimmelt, vor allem bei Hochwasser. Man muss nur in Bewegung bleiben — darf sich nicht treiben lassen, nicht faulenzen.« Dann erzählte er die Geschichte von dem Steuermann eines großen Ausflugbootes, der seine Passagiere von Manaus aus zum Piranhafang (ein Vogelherz ist ein guter Köder) zu einem nahegelegenen See fuhr und gewöhnlich einen Motorschaden inszenierte, wenn man die Heimfahrt antreten wollte. Sein Komplize, ein stämmiger Schiffsjunge, zog sich dann bis auf die Hose aus und sprang ins Wasser, um die verhakte Schraube oder den verstopften Wasserzufluss wieder freizumachen. Die Damen schluchzten vor Angst und Bewunderung, während ihre Ehemänner betroffen dreinschauten. War der tapfere Junge wohlbehalten wieder an Bord, wurde er mit fürstlichen Trinkgeldern überschüttet, die er bescheiden akzeptierte. Den größten Teil davon bekam der Steuermann — gut, Steuermann würde der Junge selbst eines Tages werden.“
Entsprechend dem mehr oder weniger aggressiven Verhalten der unterschiedlichen Piranha-Arten haben die indianischen Bewohner längst eigene Namen für die einen oder anderen Fischarten geschaffen. Einer dieser Namen lautet „Pirambeba“ und wird oft für harmlosere Arten verstanden. Der erwähnte Autor Goulding erklärt jedoch, dass der Name von den gewässernahen Bewohnern in diesem Zusammenhang kaum angewendet wird, wohl aber wurde er in die wissenschaftliche Klassifizierung übernommen.
Wer bei einem kurzen (Urlaubs-) Aufenthalt in Amazonien Bekanntschaft mit Piranhas macht, hat es meistens mit dem rotbäuchigen „Piranha cajú“ (Pygocentrus nattereri) zu tun, den man am häufigsten in größeren Gruppierungen (sog. Schulen) antrifft. Der auch aquaristisch bekannte amerikanische Ichthyologe und Publizist Dr. George S. Myers veröffentlichte in seinem „Piranha Book“ (1972) unter der Rubrik „Wahrheit und Dichtung“ (S. 66) eine Geschichte aus der Feder von Harald Schultz, der als Indianerforscher und Ichthyologe viele Jahre lang in Amazonien arbeitete: „Als mein Vater 15 Jahre alt war, floh er vor angreifenden Indianern in einem kleinen, wackeligen Kanu. Das Boot schlug um, und er musste schwimmend seine Flucht fortsetzen. Als er das Ufer erreichte, konnte er nur noch als Skelett aus dem Wasser klettern. Später ist ihm derartiges nie mehr passiert . . . .!“ Dieser wohl eher ironisch aufzufassenden Mär dürfte wohl nichts hinzuzufügen sein. Sie wird seither in vielen ichthyologischen wie auch aquaristischen Büchern und Schriften zitiert.
Soviel zum Mythos; Wahrheiten und Erkenntnisse im Bookazine #5!
Frank Schäfer
Anzeige
Pingback: Franky Friday: Schauerliche Piranha-Mythen - my-fish
Der Mythos wurde von Roosevelt,der 1913 im Amazonasgebiet war,entfacht. Um ihn zu beeindrucken,fingen Einheimische einen Haufen Piranhas,gaben ihnen mehrere Tage kein Futter und warfen,als Roosevelt eintraf,eine verletzte Kuh ins Wasser. Sie ließen die Piranhas frei und die frassen die Kuh in kürzester Zeit auf ! Der Hunger treibt rein 🤣🤣🤣