Die Gattungseinteilung bei den Haplochromis-artigen Buntbarschen des Malawisees war jahrzehntelang ein riesiges Problem. Eine Gattung soll eine natürliche phylogenetische Einheit darstellen, also vom Standpunkt des Evolutionsgeschehens ( = der Entwicklung von Arten) einerseits einen gemeinsamen Vorfahren haben, andererseits soll die Abspaltung vom gemeinsamen Vorfahren noch nicht so lange zurückliegen, dass die gegenwärtig lebenden Arten einander zu stark unähnlich sind. Jeder systematisch arbeitende Zoologe weiß, dass jede besonders gut definierte Art genug Merkmale aufweist, um darauf eine eigene Gattung zu begründen. Jedoch ist eine solche Vorgehensweise nicht zielführend; denn das zoologische System soll möglichst übersichtlich Verwandtschaftsverhältnisse darstellen. Dafür sind Massen monotypischer ( = nur eine einzige Art enthaltende) Gattungen ebenso wenig hilfreich wie riesige, hunderte von Arten enthaltende Sammelgattungen. Es bedarf also viel Erfahrung und einigen Fingerspitzengefühls, um hier einen gesunden, praktikablen und vor allem von möglichst vielen Zoologen akzeptierten Weg zu finden. Denn auch das darf man nicht vergessen: jeder einzelne Wissenschaftler (m/w/d), egal ob studierter Profi oder interessierte Laie, ist frei in der Entscheidung, ob eine vorgeschlagene Gattungseinteilung übernommen wird oder nicht. Es handelt sich dabei um einen echten basisdemokratischen Prozess.
Das Melanophorenmuster als Gattungskriterium
Die Anzahl der Arten, die man bis in die 1980er Jahre unter „Haplochromis“ zusammenfasste, war in die Hunderte gestiegen. Dabei war bereits damals durchaus klar, dass sie unterschiedliche Entwicklungslinien darstellten, man fand nur keine anatomischen Merkmale, die eine Aufteilung in verschiedene Gattungen nachvollziehbar gerechtfertigt hätten. Dann überprüften David Henry Eccles und Ethelwynn Trewavas eine These, die Jacques Voss 1977 für tilapiine Buntbarsche aufgestellt hatte, nämlich ob das Farbmuster der männlichen Buntbarsche nicht der treibende Motor der Artbildung sei und zur Gattungsunterscheidung tauge. Eccles und Trewavas fanden, dass die schwarzen Grundmuster (Melanophorenmuster), die gewöhnlich auch bei konservierten Exemplaren erhalten bleiben, neben einigen anatomischen Merkmalen gut bei den haplochrominen Buntbarschen des Malawisees als gattungstypische Kriterien herangezogen werden können, die nicht zu den Mbuna (Felscichliden, also die Pseudotropheus und Co.) gehören.
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Die Gattung Placidochromis
Dieser Gattung, die sich nach Eccles und Trewavas von anderen, ähnlichen Haplochrominen des Malawisees hauptsächlich durch das Fehlen waagerechter Melanophorenmuster unterscheidet, umfasste ursprünglich neben der Typusart (Haplochromis longimanus Trewavas, 1935) noch die Arten P. milomo, P. subocularis. P. johnstoni, P. stonemani, P. hennydaviesae und P. electra. Davon sind heute noch Placidochromis electra (Burgess, 1979), Placidochromis hennydaviesae (Burgess & Axelrod, 1973), Placidochromis johnstoni (Günther, 1894), Placidochromis milomo Oliver in Eccles & Trewavas, 1989 und Placidochromis subocularis (Günther, 1894) Mitglieder von Placidochromis, ausgegliedert wurde Aulonocara stonemani (Burgess & Axelrod, 1973), neu hinzugekommen sind Placidochromis polli (Burgess & Axelrod, 1973), den Eccles und Trewavas zu Lethrinops gestellt hatten, Placidochromis phenochilus (Trewavas, 1935), dessen Gattungszugehörigkeit Eccles & Trewavas für unsicher hielten, und 35 (!) neue Arten, die M. Hanssen 2004 beschrieb. diese Arten kommen alle in tieferen Bereichen des Sees (50 Meter und tiefer) vor und spielen aquaristisch keine Rolle. Aber wer denkt, damit sei das Ende der Fahnenstange erreicht, der irrt. Konings führt in der 5. Auflage seines „Malawi Cichlids in their natural habitat“ weitere Tiefenarten auf, die allesamt nur provisorische Namen habe und beziffert die Anzahl der Arten dieser Gruppe mit 47. Aber damit nicht genug. Trotzdem eine zweifelsfreie Zuordnung zu Placidochromis bei manchen felsenbewohnenden Arten nicht möglich ist, gehören nach Konings „blue otter“, „jalo“, „mbamba“ und „chinyankwazi“ zumindest in deren unmittelbare Nähe. Und dann gibt es noch weitere Arten, die P. electra nahestehen und solche, die man zu einer Artengruppe P. phenochilus zusammenfassen könnte.
Haplochromis phenochilus
So richtig „offiziell“, also in einer speziell dafür angelegten Publikation, wurde H. phenochilus nie in die Gattung Placidochromis überführt. Eccles & Trewavas stuften ihn als „incertae sedis“ ein, also als ungewiss zuzuordnen. Leider lässt sich das Melanophorenmuster ausgerechnet bei dem 1935 beschriebenen Typusexemplar von Haplochromis phenochilus Trewavas nicht erkennen, so dass seine korrekte Gattungszugehörigkeit bis heute ungeklärt ist. Ad Konings plaziert die Art in Placidochromis mit dem Hinweis, dass die Übereinstimmungen mit P. electra nicht zu übersehen sind. Aktuell werden von Konings (2016, 5. Auflage von „Malawi Cichlids in their natural habitat“) folgende Arten zur engeren Verwandtschaftsgruppe des Placidochromis phenochilus gestellt: Der eigentliche P. phenochilus ist nach Konings auf den nördlichen Teil des Sees beschränkt; Mdoka, Chesese und Chirwa Island sind bekannte Fundorte. Die weißen Lippen sind arttypisch, Männchen ab 6 cm Länge sind bei Mdoka schon voll ausgefärbt. Der Anlass für diesen Blog, also P. cf. phenochilus „Tanzania“ kommt an der Ostküste des Malawisees zwischen Makonde und Lupingu vor, außerdem am gegenüberliegenden Ufer bei Kasinda. Dann gibt es noch den „phenochilus Gissel“, den Carsten Gissel an der Ostküste zwischen Gome und Ntekete entdeckte, wo er gemeinsam mit P. electra lebt. Und schließlich erwähnt Konings einen dunklen, phenochilus-artigen Cichliden, den George Turner bei einem Trawl bei Metangula (Mosambik) erbeutete, über den aber ansonsten nichts bekannt wurde.
Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania“
Zu den Besonderheiten des „Phenochilus Tanzania“ gehört es, dass die Männchen ab einem Alter von 1-2 Jahren damit beginnen, weiße Schuppen im Farbkleid auszubilden. Im Alter von ca. 4 Jahren sind die Tiere voll ausgewachsen und ihre Färbung abgeschlossen. Ähnlich wie Cyrtocara moorii, der Malawi-Beulenkopf, entwickeln die voll ausgewachsenen Männchen von Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania“ einen Stirnbuckel, der allerdings bei weitem nicht so imposant ist.
Die wunderschönen Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania“, die meist als deutsche Nachzuchten angeboten werden, gehören unzweifelhaft zu der Gattung Placidochromis und höchstwahrscheinlich zur Art phenochilus, doch sollte man bis zu der wissenschaftlichen Klärung dieser Frage lieber die in der Überschrift verwendete Schreibweise als Artbezeichnung benutzen. Dabei bedeutet das „cf.“ „confer“. Das ist Latein und bedeutet „vergleichen“. Damit sagt man, dass die mit cf. bezeichnete Art zwar zu der genannten Spezies sehr ähnlich ist, dass man aber nicht sicher ist, ob es sich wirklich darum handelt.
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Interessantes Verhalten
Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania“ gehört zu den friedlichsten Malawi-Buntbarschen. Er wird etwa 17 cm lang (Männchen, Weibchen bleiben kleiner). In der Natur betätigt er sich als „Verfolgerfisch“, das bedeutet, er schwimmt im Gefolge großer, den Boden durchwühlender Buntbarsche wie Fossorochromis oder Taeniolethrinops und schnappt sich aufgescheuchte Kleintiere und sonstige Nahrungspartikel, die für die großen Burschen nicht interessant sind. Da dieses Verhalten kein Revierverhalten erfordert, können Placidochromis cf. phenochilus “Tanzania“ es sich leisten, mit Artgenossen und fremden Fischen friedlich umzugehen.
Vergesellschaftung
Bereits Jungtiere dieser Art sind ausgesprochen schön gefärbt, wie den Bildern zu entnehmen ist. Gemäß ihres friedlichen Temperamentes darf man diese Fische nicht mit aggressiven Mbunas vergesellschaften. Andere Utakas (so nennt man die Buntbarsche des Malawisees, die nicht an den Felsenküsten vorkommen) oder Aulonocara-Arten sind die richtige Gesellschaft. Besonders interessant ist die gemeinsame Pflege mit den großen Buddlern, also Fossorochromis oder Taeniolethrinops. Dazu braucht man wirklich große Aquarien, die mit Sandflächen eingerichtet werden. Aber die herrlichen Fische sind diesen Aufwand zweifellos wert und die Beobachtung einer solchen Gesellschaft erst recht!
Frank Schäfer
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Stimmf haben sie selbst