Raubfische spielen eine ungeheuer wichtige Rolle in der Ökologie der Gewässer. Sie sind die Gesundheitspolizei, die verhindert, dass sich auftretende Krankheiten zu Seuchen entwickeln.
Die Fantasie des Menschen wird seit altersher von den fleischfressenden Tieren angeregt. Diese Tiere werden zum Gegenstand von Mythen, sie werden glorifiziert oder verteufelt. Die moderne Naturwissenschaft hat viele dieser Mythen durch nüchterne Betrachtungsweisen ersetzt. Man hat bei den meisten Tieren die anthropozentrische Sichtweise, die den Menschen als den Mittelpunkt des Naturgeschehens sieht, aufgegeben. So ist z.B. aus dem Löwen, der noch vor hundert Jahren ausschließlich als blutrünstige Bestie gesehen wurde, die nichts anderes im Sinn hat, als arglose Menschen zu zerfleischen, heute ein respektiertes Mitglied der Erdengemeinschaft geworden. Unzählige Fernsehdokumentationen ließen die große Katze dem Kulturmenschen fast vertrauter werden, als die Tiere seiner unmittelbaren Umgebung, wie Hühner oder Schweine. Auch Haie haben ihren üblen Ruf weitgehend verloren und der Schwertwal oder Orca, das größte und mächtigste Raubtier der Erde, ist schon vom früheren Killerwal zum Gegenstand liebevoller Schutzbemühungen geworden. Nur bei einer „Art“ von Tieren, nämlich den Piranhas, herrscht bis heute eine dumpfe, von Aberglauben und Urängsten des Gefressenwerdens geprägte Furcht in der Betrachtungsweise dieser Fische vor.
Was sind Piranhas?
Piranhas sind kleine bis mittelgroße (20–50 cm) Fische aus der Verwandtschaft der Salmler, zu denen zum Beispiel auch der Neonfisch gehört. Dabei sind die Salmler im zoologischen System eine Ordnung. Ordnungen sind unterteilt in Familien und die Piranhas gehören zu der Familie der Sägesalmler (Serrasalmidae). Sägesalmler heißen so, weil sich an ihrem Bauchkiel Stachelschuppen befinden, die wie die Zähne einer Säge angeordnet sind. Diese Stachelschuppen sind am lebenden Tier nur schwer zu erkennen und stellen ein wichtiges Merkmal zur Unterscheidung der Arten dar.
Friedliche Pflanzenfresser und aggressive Fleischfresser?
Die Sägesalmler kann man in zwei ökologische Hauptgruppen aufteilen: Solche, die sich ausschließlich von Pflanzenkost ernähren. Diese nennt man Pacus und Scheibensalmler. Dann gibt es noch welche, die sich von Fleischkost ernähren: Die Piranhas und Pirambebas. Pflanzenfressern wird ganz allgemein gerne das Attribut „friedlich“ zugeschrieben, Fleischfresser gelten als „aggressiv“. Ist das wirklich so?
Man sollte da sehr vorsichtig sein. Selbstverständlich ist das Gefressenwerden aus der Sicht der Beute ein ziemlich aggressiver Akt. Doch über das Sozialverhalten der Fleischfresser untereinander oder das Verhalten gegenüber Tieren, die als Beute nicht in Frage kommen, sagt das gar nichts aus. Die aquaristische Praxis zeigt das immer wieder überdeutlich. Wer versucht, in einem Seewasseraquarium eine Anzahl der rein pflanzenfressenden Doktorfische gemeinsam zu halten, wird sehr viel mehr aggressives Verhalten beobachten, als wenn er echte Räuber, wie Feuerfische oder Muränen zu mehreren hält. Wie sieht das nun bei den Sägesalmlern aus?
Hochentwickelte Geschöpfe
Die Sägesalmler zeigen wohl das komplexeste und vielfältigste Sozialverhalten von allen Salmlern. Innerhalb der Schwärme und Trupps gibt es Rangordnungen, über deren Mechanismen noch sehr wenig bekannt ist. Doch irgendwie muß es den Fischen möglich sein, sich individuell zu erkennen, anders sind viele ihrer Verhaltensweisen nicht zu erklären.
Viele der bisher im Aquarium gepflegten Scheibensalmler und Pacus sind untereinander und gegenüber Fremdfischen ziemlich friedfertig, wenn genügend Tiere zusammen gepflegt werden. Weniger als 10 Exemplare sollten es niemals sein! Einzelgänger hingegen greifen oftmals alles an, was sich bewegt. Eine Ausnahme scheint der seltsame, erst Mitte 1998 erstmals für die Aquaristik importierte Scheibensalmler Utiaritichthys sennaebragai zu sein. Diese Fische waren untereinander ausgesprochen garstig. Auch Ossubtus xinguensis, der Adlerschnabel-Pacu aus dem Rio Xingu, ist ausgesprochen aggressiv zu Artgenossen. Teilweise wird die Aggression auch über das Raumangebot gesteuert. Relativ eng gehaltene Myleus-Arten mobben einander. Der Schwarm guckt sich einen Prügelknaben aus, der so drangsaliert wird, dass er abmagert. Greift der Pfleger nicht ein und isoliert das Tier, stirbt es. Wird es aus dem Schwarm genommen, kommt der nächste dran. In sehr großen Aquarien beobachtet man so etwas nicht. Offenbar handelt es sich um ein Verhalten, das in Notzeiten – etwa bei Niedrigwasser in der Trockenzeit – das Überleben der Stärksten sicherstellt.
In der Überschrift zu diesem Blog ziehe ich Vergleiche zu Säugern der afrikanischen Savanne. Die pflanzenfressenden Sägesalmler sind mit den Zebras, Gnus und Büffeln zu vergleichen. Es sind als Beute wichtige Tiere für die großen Fleischfresser, aber durchaus auch wehrhaft und in Einzelfällen auch mürrisch und einzelgängerisch. Manches ist artspezifisch, anderes eher individuell.
Und die Piranhas? Hier gilt: Piranha ist nicht gleich Piranha. Schon im allgemeinen Sprachgebrauch sagt man ja „Piranha“ meist dann, wenn man die dem Menschen gefährlich werdenden Arten meint, und Pirambeba, wenn es sich um harmlose Arten handelt.
Der bekannteste Piranha im engeren Sinne ist wohl Pygocentrus nattereri, der auch in großen Mengen nachgezüchtet wird. Er besitzt ein bulliges Kopfprofil mit einer ausgeprochen rund wirkenden Schnauzen-Nackenpartie. Für diesen Fisch gilt ähnliches, wie für die Scheibensalmler: Hält man sie in ausreichend großen Schwärmen von 10 Tieren aufwärts, 20 sind besser, hat man selten mit verbissenen Flossen oder gar Kannibalismus zu tun. Diese Fische werden mittelgroß (um 20-30 cm). Entsprechend braucht man für die Pflege eines solchen Schwarms ein Aquarium von mindestens 4, besser 6 m Länge. Hier kann man dann auch beobachten, dass bei dem Fressen immer das rangniederste Tier zuerst püfen muss, ob die Beute eventuell gefährlich ist.
Insgesamt kennt man vier Pygocentrus-Arten, die es auf dem gesamten südamerikanischen Kontinent gibt, soweit die Wassertemperaturen nicht unter 20°C sinken. Ganz im Norden, im Orinoko-Becken, lebt Pygocentrus cariba (= P. notatus), ein rotbrüstiger Piranha, der sich von P. nattereri durch den großen dunklen Schulterfleck unterscheidet. Im oberen Amazonas gibt es eine auffällig kleingepunktete Variante von P. nattereri, im zentralen Amazonasbecken hat diese Art größere Flecken. Allerdings zeigt P. nattereri die Fleckung nur in der Jugendzeichnung, erwachsene Exemplare beider Varianten sehen gleich aus. Endemisch (also nur dort vorkommend) im Rio Sao Francisco in Brasilien lebt „der“ Piranha, P. piraya. Ein bulliger Fisch, gleichzeitig die größte Piranha-Art im engeren Sinne (angeblich bis 50 cm), vor dem man schon Respekt haben kann. Und schließlich lebt im Paraguay-Becken eine offenbar wissenschaftlich noch unbeschriebene Pygocentrus-Art mit gelbem Bauch, die oft als P. ternetzi bezeichnet wird; bei P. ternetzi handelt es sich aber offenbar um ein Synonym zu P. nattereri.
In der Natur leben die Pygocentrus-Arten außerhalb der Fortpflanzungszeit in großen Rudeln, die in der Lage sind, alles anzugreifen, was im Wasser schwimmt. Doch muss man sich immer vor Augen halten, dass es für jedes Raubtier gefährlich ist, bei einem Angriff selbst verletzt zu werden. Daher sind große Tiere oder auch Menschen nur in seltenen Ausnahmefällen Gegenstand einer Attacke. Möchte man die Sägesalmler mit den Großsäugern der afrikanischen Savanne vergleichen, so wären die Pygocentrus-Arten die Löwen.
Pirambebas
Eine ganze Reihe von Piranha-Arten ist sprichwörtlich harmlos und wird von der lokalen Bevölkerung als Pirambeba bezeichnet. Hier kann man zwei Hauptgruppen unterscheiden. Da wären zunächst die vollkommen harmlosen Pygopristis denticulata zu nennen. Die bis etwa 20 cm lang werdenden Fische sind untereinander ziemlich friedfertig. Sie stellen einen Übergang zwischen den rein fleischfressenden (carivoren) Piranhas und den pflanzen- bzw. früchtefressenden (herbivoren) Scheibensalmlern dar. Im Säugervergleich könnte man sie vielleicht am besten mit Warzenschweinen vergleichen, durchaus wehrhaften Allesfressern, die jedoch nicht grundlos angreifen.
Dann gibt es die große Gruppe der Gattung Serrasalmus, die äußerst gefährlich aussieht und auch über mächtige Zähne verfügt, aber es gibt keinen einzigen Beleg für Angriffe auf Großtiere oder Menschen. Sie zeichnen sich zumindest als Jungtiere durch einen steilen Rücken und einen daher spitz wirkenen Kopf aus. Später gleicht sich die Gestalt dann den Pygocentrus-Arten an. Die echten Serrasalmus sind Flossenfresser. Das ist jedenfalls ihre Hauptnahrung. In der Natur findet man kaum einen großen Buntbarsch oder Wels, dessen Flossen nicht angefressen wären: das Werk von Serrasalmus. Diese Piranhas sind Einzelgänger und man kann sie gewöhnlich auch nur einzeln halten, weil sie auch Artgenossen an die Flossen gehen; nur in wirklich (!) großen Aquarien kann man eine Gruppenhaltung versuchen. Die Systematik der Serrasalmus-Arten ist nur unzureichend verstanden, es gibt sehr viele (über 20) einander teils sehr ähnliche Arten. Die größte unter ihnen ist der legendäre Schwarze Piranha (Serrasalmus rhombeus), der deutlich über 50 cm lang werden kann. Die meisten Arten erreichen aber nur 15-30 cm Länge. Manche Arten sind sehr gut zu erkennen, etwa der sehr langgestreckte S. elongatus aus Peru und Venezuela, S. geryi aus dem Becken des Rio Tocantins, der an seinem rotbraunen Nackenband erkenntlich ist oder auch der gelbbrüstige S. brandtii, ein Endemit des Rio Sao Francisco. Aber viele Arten sind sich wirklich – zumindest als Jungtiere – extrem ähnlich und kaum sicher bestimmbar.
Von manchen Pirambebas heißt es, dass sie in kleinen Rudeln den großen Piranha-Schwärmen folgen und sich hier an den Abfällen der echten Räuber laben. Um bei unserem Vergleich zu bleiben: Schakale halt. Und genau wie Schakale und Füchse unter den Säugetieren, so können auch die Pirambebas so ziemlich alles fressen, was sich anbietet, im Notfall auch Pflanzen. Leider ist es wegen der Schwierigkeiten in der Bestimmung kaum zu entscheiden, welche Pirambebas sich so verhalten. Rein nach Äußerlichkeiten beurteilt, könnte Serrasalmus spilopleura ein Kandidat dafür sein, denn er sieht „echten“ Pygocentrus ziemlich ähnlich. Die meisten Serrasalmus sind aber, wie gesagt, Flossenfresser, aber nicht zwingend auf diese Nahrung angewiesen. Sie fressen durchaus auch kleine Fische, wenn sie sie erbeuten können und ein ranker oder verletzter größerer Fisch ist auch nicht sicher vor ihnen. Serrasalmus sind sozusagen die Hyänen unter den Sägesalmlern.
Als fleischfressende Scheibensalmler könnte man die Arten der Gattung Pristobrycon bezeichnen, teils prachtvoll gezeichnete, sehr hochrückige Pirambebas. Sie sind unter Spezialsten gesuchte Pfleglinge, werden aber nur sehr selten importiert. Serrasalmus eigenmanni stellt eine Zwischenform zwischen den typischen, flossenfressenden Serrasalmus-Arten und Pristobrycon dar. Über das Verhalten dieser Fische gibt es keine gesicherten Untersuchungen und auch Aquarienberichte sind spärlich und teils widersprüchlich. Es werden einfach viel zu selten und von viel zu wenig Menschen solche Tiere gepflegt, darum ist das Wissen über sie gering. Ich denke, man kann sie ganz gut mit Schleichkatzen vergleichen, anpassungsfähigen Kleintierfressern, von denen es soziale Arten und auch einzelgängerische Spezies gibt.
Der ungewöhnlichste Piranha ist aber wohl der Wimpelpiranha, Catoprion mento. Er ernährt sich, wenn sich ihm die Gelegenheit dazu bietet, von den Schuppen anderer Fische, die er ihnen bei einer blitzschnellen Attacke von unten nach oben abraspelt. Im Aquarium sind die Tiere manchmal ausgesprochen schwer zu pflegen, da sehr sensibel in der Eingewöhnung; einmal erfolgreich eingewöhnt sollen sie aber gut haltbar sein. Leider werden sie so selten importiert, dass es kaum verlässliche Pflegeerfahrungen gibt. Auf Schuppennahrung sind sie im Aquarium nicht angewiesen. Ein passender Säugetiervergleich will mir zu Wimpelpiranhas nicht einfallen.
Die Fortpflanzung
Echte Piranhas (Pygocentrus) betreiben Brutpflege. Dabei stecken sie ein Revier ab und sondern sich paarweise vom Schwarm ab. Dabei ändert sich natürlich auch das Verhalten und viele der in der aquaristischen Literatur beschriebenen überraschenden Aggressionsausbrüche dürften darauf zurückzuführen sein, dass die Tiere in Brutstimmung kamen. Ausreichend große Aquarien sind der beste Schutz vor solchen bösen Überraschungen. Die Geschlechter kann man mit einiger Übung ganz gut an der Form der Afterflosse unterscheiden, die bei den Männchen meist stärker eingebuchtet ist als bei den Weibchen.
Bislang wurden nur ganz wenige andere Arten im Aquarium gezüchtet; von Serrasalmus heißt es, sie laichten in den Wurzeln von Schwimmpflanzen ab. Über Brutpflege wurde bei Serrasalmus meist nicht berichtet, eine Ausnahme ist S. maculatus, der – ähnlich wie die Pygocentrus-Arten – nach Freilandbeobachtungen Brutpflege betreiben soll (siehe unten). Das Fortpflanzungsverhalten der meisten Arten ist aber schlicht unbekannt. Ab und zu wird Serrasalmus geryi von privaten Aquarianern vermehrt.
So pflegt ein mir bekannter Piranha-Fan seit mehreren Jahren eine funktionierende Gruppe S. geryi, die nach und nach zusammengeführt wurde. Die acht Tiere schwammen zunächst ca. 2 Jahren zusammen in einem 1.000 Liter fassenden, sehr langgestreckt gebauten Aquarium. Schwarmverhalten war nicht zu beobachten. Die Tiere waren danach zwischen 17 und 24 (!) cm lang.
Zum Ablaichen kam es, als die Fische wegen eines Krankenhausaufenthaltes vier Wochen vorübergehend in ein deutlich kleineres Becken umgesetzt werden mussten, in dem über den Zeitraum von vier Wochen KEIN Wasserwechsel durchgeführt wurde. Offenbar laichen diese Piranhas in der Natur also unter Trockenzeit-Bedingungen. Am Ablaichen war nur ein Paar beteiligt (es waren keine äußeren Geschlechtsunterschiede erkennbar), Brutpflege wurde nicht ausgeübt, die Fische betätigten sich als Freilaicher.
Piranha und Mensch
In ihrer südamerikanischen Heimat sind Piranhas, auch die wenigen gefährlichen Arten, kaum gefürchtet. Sie sind im Gegenteil wegen ihres häufigen Auftretens wichtige Speisefische. Unfälle kommen meist mit gefangen Tieren vor. Auch die harmlosen Pirambebas können in Panik einen Finger abbeißen!
Zum Mythos um Piranhas siehe hier: https://www.aqualog.de/wp-admin/post.php?post=1138144&action=edit
Interessanterweise gibt es glaubhafte Angriffe in Brasilien ausgerechnet von einer der harmlosen Pirambebas, es soll sich dabei um Serrasalmus maculatus handeln. In manchen Stauseen sollen nestbewachende Exemplare dieser Spezies arglosen Badegästen heftig in die Zehen beissen, was zu fiesen und stark blutenden Wunden führt, die sogar ärztlicher Behandlung bedürfen (vor allem wegen der Infektionsgefahr, aber eventuell muss auch genäht werden, um eine gute Wundheilung zu gewährleisten).
Im Aquarium gehaltenen Tieren aller Arten muss man insofern mit Vorsicht begegnen, als dass sie, wenn sie eingewöhnt sind, alles, was ins Aquarium fällt, erst einmal als Futter betrachten. Das kann unangenehm werden, wenn man den Finger ins Aquarium steckt. Grundsätzlich sollten nur erfahrene Aquarianer, die ein echtes biologisches Interesse am Verhalten der Piranhas haben, solche Fische pflegen. Sensationslust oder Prahlerei sind die denkbar schlechtesten Motive zur Piranhapflege und hat für beide Seiten oft fatale Folgen. Ernsthafte Aquarianer können aber noch viele Rätsel lösen, die diese Fische der Wissenschaft bis heute stellen.
Frank Schäfer
Mehr Lesestoff zum Thema Piranhas finden Sie hier: https://www.tierverliebt.shop/search/?qs=piranha
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