Seit 1903 lebt die Prachtbarbe in unseren Aquarien. Nie ist sie verschwunden, selbst durch zwei furchtbare Weltkriege hindurch haben die Liebhaber sie unter erheblichen persönlichen Opfern erhalten und weiter gezüchtet. Die Prachtbarbe gehört ganz sicher in die Top 100 der beliebtesten Aquarienfische der Welt, ein Zoogeschäft ohne Prachtbarben ist undenkbar. Und dennoch umgeben diesen Fisch zahlreiche Geheimnisse…
Der schottische Arzt Francis Buchanan (1762 – 1829) diente von 1794 bis 1815 in Bengalen bei der East India Company, einer mächtigen Handelsgesellschaft, die z.B. die heutige Millionenmetropole Kalkutta (= Kolkata) in ihrer jetzigen Form gründete. In dieser Zeit katalogisierte und beschrieb der begnadete Naturforscher Buchanan u.a. Fische des Ganges. Er hatte einen hervorragenden Zeichner unter Vertrag, einen bengalischen Jugendlichen namens Haludar, dem er einen Gold-Mohur pro Monat bezahlte. Buchanan verließ sich vollständig auf die Zeichnungen, die Haludar anfertigte (und deren Genauigkeit bis heute begeistert). Eine Sammlung konservierter Tiere unterhielt Buchanan nicht. Als er 1815 Bengalen für immer verließ, nahm ihm sein Chef, der Generalgouverneur von Indien Marquis von Hastings (er nannte sich Earl of Moira zwischen 1793 und 1816), viele der Zeichnungen und auch einige Manuskripte ab. Wieder in England angekommen, nahm Buchanan den Geburtsnamen seiner Mutter – Hamilton – an, da er durch den Tod seiner älteren Brüder zum Oberhaupt des Hamilton-Clans wurde. Unter dem Namen Francis Hamilton publizierte er 1822 sein Buch über die Fische des Ganges, in dem 272 Arten wissenschaftlich beschrieben wurden, die meisten davon neu für die Wissenschaft. Doch nur von 98 Arten hatte Hamilton seine vollständigen Zeichungen und Notizen. So erklärt es sich, dass etliche der Artbeschreibungen schlecht ausfielen, darunter die der Prachtbarbe, der Hamilton mit Cyprinus (Puntius) conchonius ihren für alle Zeiten gültigen wissenschaftlichen Artnamen conchonius gab.
Heute wird die Prachtbarbe in der Gattung Pethia geführt, ihr vollständiger wissenschaftlicher Name lautet derzeit also: Pethia conchonius (Hamilton, 1822)
Von Anfang an babylonische Verwirrung
Die wissenschaftliche Bestimmung der ersten importierten Prachtbarben stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Zeitgleich wurde nämlich die Zweipunktbarbe, Pethia ticto, importiert. Beide Arten wurden zur Bestimmung an ein wissenschaftliches Institut gegeben, dort auch durchaus richtig bestimmt, aber die Arten beim Empfänger nachträglich verwechselt! Also segelte die Prachtbarbe zunächst unter Barbus (so nannte man damals die Gattung) ticto und die Zweipunktbarbe unter B. conchonius.
Man merkte aber bald, dass da etwas nicht stimmen konnte. 1905 entbrannte ein hochpolemischer Disput in den Fachzeitschriften über die richtige Benennung der Barbe. Die erneute Nachfrage bei Wissenschaftlern hatte nämlich ergeben, dass die Prachtbarbe oder auch Rote Barbe (Barbus bzw. Pethia ticto ist unscheinbar silbrig gefärbt) von Dr. Reh in Hamburg als Barbus conchonius, von Dr. Pappenheim in Berlin aber als B. pyrropterus bestimmt wurde.
Nach allerlei fröhlichen wechselseitigen Beschimpfungen einigte man sich schließlich darauf, dass B. conchonius und B. pyrropterus (die Schreibweise mit Doppel-R ist ein Tippfehler in der Originalbeschreibung und wurde im Corrigendum zu pyropterus geändert, was jedoch häufig übersehen wurde) lediglich Varianten ein und derselben Art seien. Da Varianten keine wissenschaftlichen Namen tragen dürfen, galt das Prinzip der Priorität: der Name B. conchonius als der ältere sei der gültige Name. Und seither wird überall auf der Welt sowohl in der aquaristischen wie auch in der wissenschaftlichen Literatur die Prachtbarbe als Barbus oder Puntius oder neuerdings Pethia conchonius bezeichnet.
Weltweit: kaiserliche Prachtbarben!
Das natürliche Verbreitungsgebiet der Prachtbarbe wird mit Afghanistan, Bangladesch, Burma, Indien, Nepal und Pakistan angegeben – ein riesiges Areal! In den Handel kommen aber nahezu ausschließlich Nachzuchtexemplare, die in allen Fällen auf die ursprünglich einmal 1903 importierten Exemplare, deren genaue Herkunft unbekannt ist, zurückgehen. Auch wenn heutzutage die meisten Prachtbarben auf Sri Lanka, in Malaysia, Singapur und Thailand gezüchtet werden: auch diese Fische stammen, soweit man dergleichen überhaupt nachvollziehen kann, von ursprünglich im Deutschland der Kaiserzeit gezüchteten Tieren ab! Woher man das wissen kann? Nun, bis heute gibt es keinen einzigen Nachweis von Prachtbarben aus der Natur, die die rote Färbung der seit 1903 dokumentierten Fische aufweisen!
Wildfänge aus Bengalen
Die in jüngster Zeit aus Bengalen (Umgebung von Kalkutta) importierten Tiere sind die einzigen Wildfänge, die jemals nach 1903 importiert und dabei auch dokumentiert wurden. Und siehe da: sie sehen völlig anders aus als unsere Aquarienprachtbarben und deren zahlreiche Zuchtformen. Diese wilden Bengalen werden bei der Balz nämlich schwarz und nicht rot! Und auch in neutraler Färbung gibt es einen augenfälligen Unterschied: die Männchen der wilden Prachtbarbe haben niemals eine schwarze Rückenflossenspitze. Bezüglich der übrigen Morphologie sind allerdings die wilden Prachtbarben aus Bengalen und die alten Aquarienprachtbarben aus Kaiser Wilhelms Zeiten einander sehr ähnlich.
John McClelland
McClelland (1805–1883) war, wie Hamilton, Arzt und er diente, ebenfalls wie Hamilton, bei der East Indian Company, und er war, wie Hamilton, ichthyologisch interessiert. McClelland war 1835-36 mit einer Mission in Assam beauftragt und sammelte dort Arten, die Hamilton nicht beschrieben hatte. McClelland schrieb später ein sehr wichtiges Werk der Ichthyologie der indischen Fische, nämlich die „Indian Cyprinidae“. Im Zuge seiner Arbeit für dieses Werk gelang es ihm, die Zeichungen, die Lord Moira Hamilton weggenomme hatte, wiederzuentdecken. Die Karpfenfische davon publizierte McClelland in seinem Werk, so dass wir glücklicherweise wissen, was Hamilton mit seinem Cyprinus (Puntius) conchonius meinte. Diese Zeichnung zeigt einen Fisch, der unseren Aquarienprachtbarben nur sehr entfernt ähnelt. Vor allem sind die Schuppen erheblich viel größer. Neben dieser Rückbeschreibung der Art conchonius lieferte McClelland eine Originalbeschreibung einer ähnlichen Art ab, nämlich Systomus pyropterus. Und diese Barbe sieht unserer Aquarienprachtbarbe nun wirklich sehr, sehr ähnlich.
Was schwimmt nun im Aquarium?
Betrachtet man die wunderbaren Zeichnungen von P. conchonius und P. pyropterus, so kann überhaupt kein Zweifel daran aufkommen, dass die Aquarienstämme der Prachtbarbe eher zu der Art P. pyropterus als zu P. conchonius gehören. Die beiden Arten sind sicher kein Synonym zueinander! Es scheint mir unwahrscheinlich, dass Pethia conchonius (sensu Hamilton, 1822) überhaupt schon jemals im Aquarium gepflegt wurde. Vermutlich gibt es aber eine ganze Reihe von noch unerkannten, ähnlich aussehenden Arten, einen Artenkomplex. Zahlreiche Neubeschreibungen von Pethia-Arten aus Indien sind zudem in den letzten Jahren erfolgt, ohne dass die alten Arten hinreichend einer Revision unterzogen wurden. Das macht die Sache nicht einfacher.
Ich versuche seit Jahren, wilde Prachtbarben aus verschiedenen Teilen des Verbreitungsgebietes zu importieren, um die Systematik dieser Tiere endlich zu verstehen. Wird doch eigentlich auch Zeit, 200 Jahre nach der Erstbeschreibung und 119 Jahre nach dem Erstimport, oder? Aber die weltweite Corona-Krise macht das derzeit leider unmöglich und einfach so nach Indien fliegen und selbst nach Prachtbarben zu suchen ist aus dem gleichen Grund auch kaum zu realisieren.
Trotzdem: Es zeigt sich einmal mehr, wie wichtig Wildfänge in der Aquaristik sind, wenn es darum geht, die Artenvielfalt auf der Erde zu erforschen. Auch darum ist der Handel mit Wildfängen immer Artenschutz und sollte überall nach Kräften gefördert werden!
Frank Schäfer
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Wirklich netter Artikel mit reichlich Hintergrundwissen, das Lesen hat Spaß gemacht.
Ich mag so dankbare Tiere, das Etikett „Anfängerfisch“ ist für mich kein Makel.
Danke Frank!