Nur ein Frühlingsspaziergang…

Unsere Situation ändert sich täglich und kann jederzeit dramatisch werden. Im Zierfisch-Großhandel, konkret bei Aquarium Glaser, ist momentan die Aufrechterhaltung der Versorgung der Fische im Stock die Hauptsorge, denn wenn auch nur ein Mitarbeiter einer Schicht an Corona erkrankt, müssen alle in Quarantäne. Deswegen wird mit möglichst kleinen Gruppen gearbeitet, die einander nicht treffen dürfen. Importe von außerhalb der EU sind in dieser Woche nicht möglich, es fliegen einfach keine Flugzeuge. Letzte Woche haben wir noch etwas bekommen. Wie es sich mit internationalen Flügen in den nächsten Wochen entwickelt, muss man abwarten. Fische von deutschen und anderen Züchtern in der EU bekommen wir noch. Wir wissen nicht, wie und ob der Lebendverkauf von Fischen in Deutschland in Geschäften erlaubt bleibt, oder ob der Einzelhandel auf Online-Verkäufe ausweichen muss. Wie gesagt, die Gesunderhaltung unserer Tiere in unserer Anlage vor Ort ist für uns gerade das Wichtigste, wenn hier etwas passiert, wird es existenzbedrohend. Darum arbeiten z.B. ich und einige andere Büromitarbeiter im Homeoffice, damit wir, falls nötig, als Fischversorger einspringen können.

Indie steht nicht so sehr auf Stöckchen, mehr so auf Projekte.

Im Homeoffice bleibe ich, genau wie alle anderen, zuhause und gehe nur zum Lebensmitteleinkauf und mit dem Hund raus. Unser Labrador, Dr. Henry Jones jr. (Freunde dürfen Indie zu ihm sagen), muss schließlich bewegt werden und besteht auf Laubrascheln unter den Füßen, bevor die Darmperistaltik in Schwung kommt. Gestern habe ich die kleine Kamera mitgenommen, um ein paar Tümpel auf unserem Gassiweg zu dokumentieren; unsere Grasfrösche, Feuersalamander, Berg- und Teichmolche und die Gelbbauchunken haben in den letzten zwei Jahren sehr gelitten, weil die kleinen Ablaichtümpel (auch unsere lokale Salamanderpopulation setzt dort ihre Jungtiere ab) austrockneten, bevor die Metamorphose durch war. Die einzige Art unserer lokalen Amphibien, die nicht von diesem kompletten Fehlen zweier Jahrgänge Nachwuchs betroffen ist, ist die Erdkröte, die auf die größeren Fischteiche im Wald ausweichen kann. Dieses Jahr 2020 fing bezüglich Regens eigentlich ganz gut an und die Grasfrösche haben auf Teufel komm raus gelaicht, aber jetzt ist es schon wieder viel zu trocken…

Eines der unscheinbaren Laichgewässer des Grasfrosches.
Hier, im Birkenbruch, trocknen die Löcher auch im Sommer nicht aus. Der Grasfrosch laicht hier jedoch nicht, es gibt zu viele Fressfeinde für die Kaulquappen. Der Frühlings-Wasserstern (Callitriche palustris) hat jetzt schon die Wasseroberfläche erreicht.

Die Sonne scheint, der eisige Wind ist grade mal eingeschlafen, überall singen Vögel. Zuerst fotografiere ich nur meine Pfützen und Moorlöcher, aber die Buschwindröschen (Anemone nemorosa) sind einfach viel zu schön, um unbeachtet zu bleiben. Also erweitere ich meinen Plan. Ich will auch die Blümchen fotografieren. Da ist ja schon allerhand unterwegs, auch wenn die erste Blühwelle – Schneeglöckchen und Krokusse, die in den vielen offen gelassenen Gärten am Waldrand einen riesigen Blütenteppich gezaubert hatten – schon wieder durch ist. Aber die Buschwindröschen bieten den Blütenbesuchern, die so früh im Jahr schon unterwegs sind, reichlich Ersatz. Wir haben Massenbestände von ihnen – wie schön! Allerdings ist es wirklich nicht einfach, gemeinsam mit Indie botanisieren zu gehen. Der kommt nämlich, sobald ich meinen Luxusleib auf dem Waldboden ausbreite, um den Blümlein so nah wie möglich zu kommen, angetrabt, um zu schauen, was ich da treibe und belastet vorzugsweise die spezielle Blüte, die ich mir als Fotomodell ausgesucht habe, mit seinen stattlichen 45 kg Hundegewicht. Egal, der Weg ist das Ziel!


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Buschwindröschen

Die zweite teppichbildende Pflanze dieser Tage ist das Scharbockskraut, Ficaria verna. Heute kennen wir sie nur als Giftpflanze, aber früher hat man sie gegessen, da sie den tödlichen Skorbut oder Scharbock, eine Vitamin-C-Mangelkrankheit, bei der man elendiglich verreckt, aufhalten konnte. Scharbockskraut mag es feucht. Man kann es gut am Gartenteichufer ansiedeln, allerdings zieht es im Juni/Juli ein und überdauert den Rest des Jahres in Form von unterirdischen Knöllchen. Man muss also damit rechnen, dass dort, wo das Scharbockskraut wächst, im Sommer kahle Stellen entstehen.

Scharbockskraut

Wer als kulinarischer Selbstversorger in unserem Wald unterwegs ist, sollte lieber die Finger vom Scharbockskraut lassen; bezüglich der Blattform ähnlich, aber gesundheitlich unbedenklich ist die Knoblauchsrauke (Alliaria petiolata). Nur wegen des Fuchsbandwurms sollte man bei ihr vorsichtig sein. Die Knoblauchsrauke blüht jetzt noch nicht, aber überall sind die zarten und gerade jetzt besonders inhaltstoffreichen Quirle zu sehen. Knoblauchsrauke isst man roh, z.B. auf Butterbrot der in Salaten. Wer es mag, kann aus Brennesseln (Urtica dioica) und Giersch (Aegopodium podagraria) Wildgemüse machen; beides ist jetzt, im zeitigen Frühling, besonders gesund, vitamin- und mineralienreich. Die jungen Triebe sind zudem zart, später im Jahr werden beide Pflanzen rack und von unerfreulicher Haptik. Man sollte aber wirklich nur dann selbst sammeln, wenn man sich gut auskennt. Jetzt sind auch tödlich giftige Pflanzen unterwegs, etwa Roter Fingerhut (Digitalis purpurea) – also Vorsicht!

Knoblauchsrauke
Brennessel
Giersch
Finger weg vom Fingerhut, der ist tödlich giftig!

Daran dürfte der Förster Wilhelm Hoffmann, dessen Mausoleum mitten im Wald liegt, allerdings kaum gestorben sein, der kannte sich nämlich mit Pflanzen aus. Er propagierte die nordamerkanische Douglasie als Waldbaum in unserem Wald. Heute ist das nicht mehr erwünscht, Douglasien sind als standortfremde Pflanzen mit invasivem Charakter zu sehen. Immerhin passt die Grabbepflanzung mit Mahonie (Berberis aquifolium) zum Förster Hoffmann, denn die stammt auch aus Nordamerika und hat in unserem Wald eigentlich nichts zu suchen. Die Insekten interessiert das allerdings wenig…

Mahonie auf dem Förstergrab

Überall in unmittelbarer Nähe des Förstergrabes wächst Immergrün (Vinca major), für mich eine wirklich typische Friedhofspflanze, denn sie kommt auch auf dem darmstädter Waldfriedhof, wo unser Familiengrab liegt, allenthalben vor. Sie hat sehr hübsche Blüten, aber ich werde nicht so recht warm mit dieser Pflanze, vielleicht auch deshalb, weil sie zu den Hundsgiftgewächsen zählt und sehr, sehr giftig ist.


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Immergrün

Indie juckt das wenig, er frisst eh – wenn er denn Pflanzen frisst – nur Gras und schnüffelt und trampelt zu meinem Ärger in den Hundsveilchen (Viola canina) herum. Die heißen aber nicht so, weil Hunde sie so besonders gerne mögen, sondern weil sie im Gegensatz zum Duft- oder Märzen-Veilchen nicht duften, die hundsgemeinen Dinger. Ich mag sie trotzdem, lege mich davor und fotografiere. Schön zu sehen: der grüne Sporn an der Rückseite der Blüte, der die Art sicher vom Märzen-Veilchen (Viola odorata) unterscheidet, bei dem der Sporn die Blütenfarbe hat. Das einzige Märzen-Veilchen, das wir heute sehen, ist ein ziemlich zertrampeltes Exemplar mitten auf einem Weg. Indie war diesmal nicht der Übeltäter, sondern andere Homeoffice-Arbeiter. Das ist halt der Preis, den das Märzen-Veilchen zu zahlen hat. Denn es ist keine heimische Art, auch wenn es seit Jahrtausenden bei uns als Heil- und Kult-Pflanze kultiviert wird, sondern stammt ursprünglich aus dem Mittelmeer-Raum und dem Kaukasus. Es ist ein Kulturfolger und wo das Märzen-Veilchen wächst, sind menschliche Ansiedlungen nicht fern. Ich beschließe, einen der nächsten Gassi-Gänge am anderen Ende des Dorfes durchzuführen. Dort gibt es nämlich einen Massenbestand von Märzen-Veilchen in einem aufgegeben Garten, nicht nur violette, sondern auch viele weiße Varianten wachsen dort.

Hundsveilchen
Ein etwas mitgenommenes Exemplar des Märzen-Veilchens
Der Sporn der Märzenveilchenblüte ist blütenfarben, grünlich-weißlich beim Hundsveilchen.
Großer Bestand von lila Märzenveilchen (links) und der weißen Variante (rechts).

Oder gehe ich lieber in den westlichen Stadtwald und schaue nochmal nach dem Lerchensporn? So viel und so verschieden gefärbten Hohlen Lerchensporn (Corydalis cava), wie er in diesem Jahr vorkommt, habe ich bei uns noch nicht gesehen. Klar, er ist allgegenwärtig unter Gebüschen und ich mag ihn sehr. Als Knabe hielt ich ihn für eine Orchideenart (in Wirklichkeit ist er ein Vetter des gewöhnlichen Klatschmohns) und seine Standorte waren mein kostbares Geheimnis, in das ich nur wenige Auserwählte einweihte. Ich erinnere mich noch lebhaft – ich muss damals 8 oder 9 Jahre alt gewesen sein – wie enttäuscht ich war, als man mir die wahre Natur der Pflanze enthüllte. Das war so ähnlich, wie die Behauptung der anderen, dass es das Christkind und den Osterhasen nicht gäbe. Aber den Lerchensporn liebe ich immer noch, auch wenn er „nur“ ein Mohngewächs ist. Und Christkind und Osterhase gibt es nicht? Lächerlich!

Hohler Lerchensporn

Bis nächste Woche und bleiben Sie gesund!

Frank Schäfer

Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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3 Kommentare zu “Nur ein Frühlingsspaziergang…

  1. Helmut Treiber

    Vielen Dank für die Teilhabe an deinen Natureindrücken!
    Bleibt Gesund und Grüsse aus der Schweiz
    Helmut Treiber

    Antworten
  2. Mario Venter

    Obwohl der Bericht bis auf den Anfang nichts mit Tierhaltung an Hut hat (Indie mal außen vor gelassen) , habe ich ihn mir großen Interesse gelesen.
    Vielleicht auch deshalb, weil er aus dem üblichen Raster herausfällt und mich ebenfalls an meine Kindheit erinnert.

    Vielen Dank für das Teilen Ihres Spazierganges.

    Antworten

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