

Im Herbst 2004 führte mich eine fischkundliche Exkursion nach Zentral-Thailand, genauer gesagt in das Gebiet des Khao Yai Nationalparks. Von der herrlichen Khao Yai Garden Lodge führte ich Tagestouren sowohl in den gebirgigen Teil des Nationalparks als auch in die wesentlich heißeren und tiefer gelegenen Gebiete in der näheren und weiteren Umgebung der Stadt Pak Chong. Dirk Brandis, ein befreundeter Wissenschaftler, der auf Krabben spezialisiert ist, hatte mich – noch in Deutschland – gebeten, auf dieser Exkursion auch ein wenig nach Süßwasserkrabben Ausschau zu halten, was ich selbstverständlich gerne tat.
Der Khao Yai Nationalpark ist der älteste Nationalpark Thailands. Fischkundlich erhoffte ich mir daher einiges von diesem Park und war sehr glücklich, als ich nach allerlei Anstrengungen dank der Vermittlung von Klaus Derwanz, der die Khao Yai Garden Lodge leitete, von der Nationalparkverwaltung die Genehmigung erhielten, die Gewässer des Parks zu untersuchen. Ein Aufseher der Parkverwaltung begleitete uns und passte auf, dass wir uns nicht an der Natur versündigten. Als geschätzte Reisebegleiter waren noch der Biologe Izaak den Daas und der hervorragende Aquarianer Georg Rossmann mit von der Partie. Eine Woche später stieß noch eine 10-köpfige Gruppe des darmstädter Aquarien- und Terrarienvereins Hottonia zu uns.
Auf die Fische des Parks möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen, aber wir fanden in dem Park und seiner Umgebung immerhin drei verschiedene Arten von Süßwasserkrabben und konnten auch von jeder Art Exemplare mit nach Deutschland bringen, wo sie Dirk Brandis übergeben wurden. Die Lebensräume dieser Krabben möchte ich an dieser Stelle etwas ausführlicher darstellen.
Die häufigste Art, sowohl bezüglich der Individuenzahl wie auch bezüglich der Fundpunkte, war Larnaudia beusekomae (Potamidae). Diese Art ist sogar anhand von Exemplaren, die im Khao Yai gesammelt wurden, erstbeschrieben worden. Ich dachte zuerst, mindestens drei verschiedene Arten gesammelt zu haben, denn je nach Lebensraum wandelt die Art äußerlich etwas ab.
Zunächst sammelten wir diese Krabbe in einem schlammigen Abfluss eines kleinen Teiches. Dieses Bächlein floß am Grunde einer etwa 20 m tiefen Schlucht. Für Fotos war es hier zu dunkel. Neben zahlreichen Jungkrabben fingen wir hier auch ein erwachsenes Pärchen von etwa 7 cm Panzerbreite. Diese Krabbe lebte hier stets an der Unterseite von Steinen und man erschreckte sich manchmal nicht schlecht, wenn man beim Steineumdrehen plötzlich solch ein etwas größeres, einer fetten Spinne im ersten Moment nicht unähnliches Geschöpf vor sich hatte. Die Krabben dieser Population waren tief Schokoladenbraun und hatten hübsche goldgelbe Scherenspitzen. Der Bach war an der breitesten Stelle etwa 80 cm breit und der freie Wasserstand lag um 25 oder 30 cm. Allerdings war der Boden sehr schlammig, so dass man mindestens noch einmal so tief in den Morast versank. Der pH-Wert des Wassers war hier ziemlich hoch (7,5), die Härte lag bei etwa 21°dGH, die Wassertemperatur betrug rund 23°C. Im Bächlein selbst gab es kaum Fische und keinerlei Unterwasserpflanzen. Allerdings wuchs in dem Teich, aus dem das Bächlein abfloss, Ottelia sp. in großen Exemplaren.
Der nächste Fundpunkt dieser Art war ein Flüßchen, das vom Khao Yai kommend, durch Pak Chong fliesst. Dieses Flüßchen hatte eine stellenweise sehr kräftige Strömung und kiesig-steinigen Bodengrund. Wir besammelten es an mehreren Stellen. Auch hier fand sich Larnaudia beusekomae vor allem unter Steinen. Die Art scheint nicht ungesellig zu sein, denn es war keine Seltenheit, mehrere Exemplare unter einem Stein zu finden. In diesem Flüßchen gab es nun aber reichlich Fischarten, wobei die Krabben vor allem in Raumkonkurrenz mit Bachschmerlen (Schistura sp.) und Gabelschwanzwelsen (Amblyceps sp.) standen, die sich ebenfalls unter Steinen vergleichbarer Größe (10-15 cm Durchmesser) aufhalten. Zusätzlich teilten sich den unmittelbaren Lebensraum mit Großarmgarnelen (Macrobrachium sp.). Die hier gemessenen Wasserwerte waren: pH 7,5, Härte >1°dGH, Temperatur 24°C.

Der dritte Fundort von Larnaudia beusekomae fand sich im Khao Yai selbst. Hier war ein Bachabschnitt als Zisterne ausgebaut, um in Trockenzeiten (wie sie zum Zeitpunkt unseres Besuches herrschte) dem Großwild als Tränke zu dienen. In dieser Zisterne, die tief im Halbdunkel des Dschungels lokalisiert war, lebten Unmengen von Kaulquappen, vermutlich der Gattungen Polypedobates und/oder Rhacophorus. Auch hier fingen wir braune Krabben, deren Carapaxrand jedoch wesentlich glatter war. Diese Krabben fingen wir im tiefbraunen Wasser an den rauhen Betonwänden der Zisterne, in diesem Milieu lebten sie also nicht unter Steinen. Ich dachte zunächst, es handele sich um eine weitere Art, doch Dirk Brandis bestimmte auch diese Krabbe, der ich den Arbeitsnamen „Glatte Waldkrabbe“ gab, als Larnaudia beusekomae.
Schließlich fanden wir noch eine Form dieser Art in einem kleinen, rasch fließenden Bach unterhalb einer wilden Müllkippe am Rande des Parks. Hier war der Carapaxrand der Krabben besonders stark gezackt, was mich eine weitere Art vermuten ließ, der ich diesmal den Arbeitstitel „Stachlige Bachkrabbe“ gab. Es handelte sich aber auch diesmal um Larnaudia beusekomae, die hier im überhängenden Gras der Uferböschung lebte.


Die zweite Art, die wir in der Umgebung des Parks fanden, war wesentlich spektakulärer. Der Fang des ersten Männchens entlockte Georg ein lautes Triumpfgebrüll, denn es handelte sich wahrhaft um ein prächtiges Tier. Hinzu kam, dass wir am Fangtag ziemlich niedergedrückter Stimmung waren, denn bezüglich Fischfunden war an diesem Tag nun wirklich nichts erwähnenswertes in unsere Netze gegangen. Der Biotop, in dem wir fischten, war ein lotosbestandener Tümpel, in dem massenhaft Apfelschnecken (Pila sp.) lebten. Überall an den Stengeln der Lotos klebten die auffälligen, rosafarbenen Gelege dieser Schnecken, die entfernt immer etwas an überdimensionale Himbeeren erinnern (die Gelege, nicht die Schnecken). An Fische gab es lediglich aus Nordamerika eingeführte Gambusen (Gambusia holbrooki).
Da war die prachtvolle, rotviolette Krabbe mit ihren gut 10 cm Carapaxbreite wirklich ein Highlight. Es handelte sich, wie gesagt, um ein Männchen, was man nicht nur am Pleon, sondern auch an der stark vergrößerten linken Schere erkennen konnte. In großer Populationsdichte kam diese Krabbe, die in Ufernähe im flachen Wasser saß und sich nur lose mit Schlick bedeckte, nicht vor. Der Grund wurde uns schnell klar, denn der unser Fahrer rieb sich beim Anblick der Krabbe den Magen und fuhr mit der Zunge über die Lippen. Offenbar gelten diese Krabben hier als Leckenbissen. Dirk Brandis bestimmte sie als Angehörige der Art Sayamia bangkokensis (Parathelphusidae), die ihre Typuslokalität im Khao Yai hat.
Später fanden wir diese Art in einem anderen Biotop, nämlich einem flachen Papyrussumpf vis a vis zu einem buddhistischen Tempel. Das Wasser war hier so warm, dass man es als unangenehm empfand, hineinzufassen. Auch hier saßen die Krabben relativ offen im flachen Wasser und waren nur ganz lose mit etwas Schlamm bedeckt. Obwohl sich auch in diesem Gewässer reichlich Apfelschnecken fanden, scheint Sayamia bangkokensis kein spezialisierter Schneckenfresser zu sein. Wir brachten einige Exemplare für weitere Beobachtungen mit nach Hause, wo sie sich vor allem als gewaltige Pflanzenzerstörer erwiesen. Dararat Somphongs, Inhaberin des traditionsreichen Somphongs Aquarium in Bangkok, schüttelte sich vor Lachen, als ich ihr stolz unsere Fänge zeigte. Sie kannte Sayamia bangkokensis auch, jedoch vom Speisemarkt. Daher dürfte es kein großes Problem sein, diese attraktiven Krabben bei Bedarf zu importieren.
Die dritte Art dieser Expedition fanden wir schließlich im Khao Yai selbst. Es handelte sich um einen wunderschönen Biotop mit Tufffelsen, auf denen eine seltsame, rotalgenartige Pflanze in großen Mengen wuchs. Hier fing – Ehre wem Ehre gebührt – Dieter Prinz von der Hottonia unter der gestrengen Aufsicht unseres Aufpassers von der Parkverwaltung ein Pärchen einer niedlichen, auffällig gepunkteten Krabbenart, die wir ausnahmsweise für wissenschaftliche Zwecke mitnehmen durften. Bisher konnte Dirk Brandis sie nur als Angehörige der Gattung Siamthelphusa (Parathelphusidae) bestimmen, die Artdiagnose steht noch aus.
Die gebrachten Beispiele zeigten schon sehr deutlich auf, warum die Pflege und erst recht die Zucht vieler Süßwasserkrabben im Aquarium bislang noch völliges Neuland sind, über das sich kaum allgemein verbindliche Aussagen machen lassen. Da wären zum einen die doch sehr unterschiedlichen Biotope. Und doch liegen sämtliche beschriebenen Biotope kaum 10 km Luftlinie voneinander entfernt! Nur mit dem Hinweis, eine neu importierte Krabbe käme aus diesem oder jenem Land, lassen sich noch keinerlei Rückschlüsse auf ihre Lebensansprüche oder ihren bevorzugten Lebensraum ziehen. Das Beispiel von Larnaudia beusekomae zeigte zudem, dass es durchaus euryöke Arten unter den Süßwasserkrabben gibt, die nahezu überall ihr Auskommen finden und ihre Lebensweise den jeweils herrschenden Umweltbedingungen anpassen können. Dabei verändern sich die Tiere sogar bezüglich ihrer optischen Erscheinung derart, dass man ohne entsprechende Unterstützung von Spezialisten schnell auf den Gedanken kommen kann, es handele sich um unterschiedliche Arten.
Frank Schäfer
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