Während die rund um das Mittelmeer verbreiteten Landschildkröten der Gattung Testudo sich ungebrochener Beliebtheit erfreuen und in großen Stückzahlen für die Terraristik nachgezüchtet werden, sind die im tropischen Afrika mit sechs Arten weit verbreiteten Gelenk-Landschildkröten der Gattung Kinixys als langweilig und schwierig verschrien. Ja, man rät geradezu von ihrer Pflege ab!
Dabei sind es eigentlich ideale Terrarien-Landschildkröten, denn sie sind vergleichsweise ruhig und bleiben klein, stellen also keine hohen Platzansprüche, ganz anders als die meisten anderen Landschildkröten. Hinzu kommen ihre wunderschönen, dunklen, mandelförmigen Augen – ein Traum!
Kinixys haben ein Gelenk im hinteren Rückenpanzerbereich, das es ihnen erlaubt den Rückenpanzen nach unten zu klappen, was den Hinterleib praktisch unangreifbar macht. Panzerscharniere haben eine ganz Menge Schildkröten entwickelt, die verwandtschaftlich einander nicht nahestehen. Aber bei den anderen “Dosenschildkröten” ist es der Bauchpanzer, der über Scharniere verfügt. Der ungewöhnliche Scharniermechanismus bei Kinixys erklärt sich, wenn man die Tiere im Terrarium beobachtet. Denn sie kriechen stets mit dem Kopf voran in ein Versteck. Der steil abfallende Rückenpanzer – ein weiteres gattungstypisches Merkmal – verschließt die Versteckhöhle des Tieres perfekt und das Zuklappen des Panzers schützt die verletzbaren Hinterbeine.
Die Notwendigkeit, rückwärts aus dem Versteck zu kriechen erklärt vielleicht auch, warum Kinixys einen so einzigartigen “Zehenspitzengang” entwickelt hat, der so ganz anders aussieht als das bei Landschildkröten Gewohnte.
Kinixys belliana kommt in einigen Unterarten – heutzutage werden sie auch oft als eigenständige Arten gesehen – in einem breiten Verbreitungsstreifen in Afrika vor, der sich von der Westküste bis zur Ostküste des Kontinents erstreckt. Ihr Lebensraum ist die wechselfeuchte Steppe mit lockeren Baum- und Buschbeständen. Aktiv ist K. belliana nur bei relativ hoher Luftfeuchtigkeit und Temperaturen von 25-30°C (unter dem Strahler bis 45°C). Im Terrarium muss man deshalb regelmäßig sprühen, sonst gehen die Tiere nicht ans Futter, sondern verstecken sich, wie sie es in der Natur bei Trockenheit auch täten.
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Wie die meisten Landschildkröten ist K. belliana, die Maximalgröße liegt übrigens bei etwa 22 cm Panzerlänge (Stockmaß), hauptsächlich Vegetarier, doch ist sie einem saftigen Regenwurm, etwas Aas oder dergleichen gelegentlich durchaus nicht abgeneigt – jedenfalls ist das die allgemeine Lehrmeinung. Neuere Feldforschungen ergeben jedoch ein anderes Bild. Demnach sind auch die steppenbewohnenden Kinixys-Arten hauptsächlich Pilz- und Insektenfresser mit einem hohen Anteil an Aas im Futter! Bislang dachte man, diese Nahrungsspezialisierung beschränke sich auf die Regenwaldarten (K. homeana, K. erosa), aber auch K. spekii (eine Art, die lange Zeit als Unterart von K. belliana galt) frönt ihr. Man glaubt, dass Kinixys als Spezialisierung Chitinase besitzen, ein Enzym, das in der Lage ist, Chitin zu spalten, woraus sämtliche Insektenpanzer bestehen. Das Fressen von Pilzen – auch sie sind schwer verdaulich – ist ebenfalls schwer erklärbar; wie unterscheiden die Schildkröten giftige von ungiftigen Pilzen? Oder sind sie immun gegen Pilzgifte? Man weiß nichts darüber, aber diese Nahrungsspezialisierung kann zumindest die bisherigen schlechten Pflegerfahrungen mit diesen Schildkröten erklären. Denn wer einen solchen Nahrungsspezialisten mit dem üblichen Grünzeug, das man Landschildkröten sonst reicht, füttert, wird eine Bauchlandung machen. Süßes, sehr reifes Obst, vor allem Bananen, sind von den vegetarischen Futtermitteln noch am ehesten zu empfehlen.
Wie fast alle Landschildkröten (eine berühmte Ausnahme sind die Riesenschildkröten der Galapagos-Inseln und der Seychellen) leben Kinixys belliana in der Natur einzeln und treffen nur zur Fortpflanzungszeit zusammen. Wie sie das machen, ist unbekannt, aber man hüte sich davor, mehrere geschlechtsreife Männchen im Terrarium zu vergesellschaften, das gibt Mord und Totschlag. Eine paarweise Haltung oder in Herden von einem Männchen und mehreren Weibchen ist aber möglich.
Hoffen wir, dass die neueren Erkenntnisse zur Ernährung von Kinixys-Arten dazu führen, dass diese wunderschönen Schildkröten bald genauso regelmäßig nachgezüchtet werden können, wie ihre europäischen Verwandten. Denn leider wird der Lebensraum in Afrika immer knapper und die Tiere werden werden außerdem in großen Mengen als „bushmeat“ für den Verzehr gesammelt.
Frank Schäfer
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