Aquarianer sind die einzige Überlebenschance für viele Kleinfischarten
Ökologen auf der ganzen Welt sind sich einig: nur die Zerstörung ihrer Lebensräume ist für das weltweit zu beklagende massenhafte Artensterben verantwortlich. Die unmittelbare Verfolgung, also Fang oder Tötung von Individuen durch den Menschen mag in manchen, besonders gelagerten Einzelfällen, vielleicht zum Rückgang oder gar zur Ausrottung einzelner Arten führen – insgesamt gesehen, sind diese Fälle jedoch vernachlässigbar. Bei den Aquarienfischen ist kein einziger Fall bekannt, dass eine Art durch den Fang ausgerottet worden wäre. Im Gegenteil: alle Versuche, eine Kleintierart durch Fang oder Besammeln auch nur wirkungsvoll im Bestand zu reduzieren, sind gescheitert. Weltweit gilt das für Ratten, Gambusen, Karpfen und Tilapien, in Australien z.B. für Kaninchen, in Deutschland für Waschbären, Nilgänse, Sonnenbarsche, Blaubandbärblinge oder Louisiana-Sumpfkrebse. Egal wie hoch der Verfolgungsdruck im Einzelnen lokal auch sein mag, einige Exemplare entgehen immer den Häschern und bauen binnen kurzer Zeit wieder große Populationen auf. Warum? Weil sie, obwohl geografisch gesehen, eigentlich Fremdlinge sind und, vom Standpunkt der Evolution gesehen, eigentlich in Konkurrenz mit hochangepassten, ursprünglich heimischen Arten hoffnungslos unterlegen sein müssten, von den Umweltveränderungen, die der Mensch verursacht, profitieren! Der Mensch schafft diesen Arten perfekte Umwelt- und Lebensbedingungen (wenn auch unfreiwillig). Darum sind sie so erfolgreich.
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Ganz besonders hart trifft das Artensterben die Kleintiere. Sämtliche staatlichen Schutzmaßnahmen sind bei ihnen, wie die Bilanz der letzten 40 Jahre deutlich zeigt, wirkungslos. Denn jeder existierende gesetzliche Schutz hat immer nur das Indiviuum im Fokus, absurderweise sogar bei Gesetzen, die das Gegenteil behaupten, wie die FFH-Richtlinien (FFH steht für Fauna-Flora-Habitat). Das klappt – mit Einschränkungen – bei großen Tieren, wie Elefanten oder Tigern. Anders bei Kleintieren: Diese Tiere sind nicht in der Lage abzuwandern, wenn sich ihre Lebensbedingungen verschlechtern. Sie leben und sterben mit ihrer Umgebung. Je spezialisierter eine Art ist und je kleiner ihr natürliches Vorkommensgebiet, desto höher ist ihr Gefährdungsgrad.
Noch lange nicht alle Tiere, die auf der Erde leben, sind bekannt. Derzeit geht man von ca. 1,4 Millionen wissenschaftlich erfassten Arten aus. 1 Million davon sind Insekten. Die Fische erscheinen dagegen fast artenarm. Derzeit sind etwa 35.315 Fischarten bekannt, davon 50% (17.777) im Süßwasser (Stand Anfang 2020). Alle Süßwasservorkommen der Erde stellen nur ca. 3% der Wasservorkommen des Planeten. Zum Vergleich: es gibt ca. 2.100 Arten Korallenfische, das entspricht etwa 13% der Meeresfischarten. Jedoch schätzen alle Taxonomen (das sind Biologen, die sich mit der Klassifizierung von Arten beschäftigen), dass nur ein Bruchteil der tatsächlich existierenden Arten bereits wissenschaftlich erfasst ist.
Die wissenschaftliche Erfassung der Arten ist die absolute Grundvoraussetzung für jede wie auch immer geartete Schutzmaßnahme. Man nur schützen, was man kennt! Hier kommt der Aquaristik eine wichtige Rolle zu: Kleinfische der Tropen werden in den meisten Fällen erst dank der detaillierten Beobachtungen der Aquarianer als eigenständige Arten erkannt. Fangreisen von spezialisierten Aquarianern führen immer wieder zu Neuentdeckungen von Arten und auch über den Importhandel können viele taxonomische Probleme, die sich an Museumsexemplaren alleine nicht klären lassen, gelöst werden.
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Ambastaia (früher: Botia) sidthimunki, die Schachbrettschmerle, mag als Beispiel dienen. Sie wurde erst 1959 wissenschaftlich entdeckt – dank eines Aquarienfisch-Imports. In den späten 1980er Jahren brachen die Wildbestände plötzlich zusammen. Die Ursachen sind bis heute unbekannt, doch wird im allgemeinen ein Staudamm, der die Wanderwege der Tiere versperrte, dafür verantwortlich gemacht (die Art führt Laichwanderungen durch). Da die Art aquaristisch begehrt ist, wurden Erhaltungszuchtpogramme gestartet, die den Erfolg hatten, daß heute wieder große Stückzahlen (mehrere 100.000 Exemplare pro Jahr) für das Hobby zur Verfügung stehen. Ohne die Aquaristik wäre die Art weder entdeckt worden, noch hätte man ihr Aussterben bemerkt! Gesetzlicher Schutz, wie Handels- oder Fangbeschränkungen oder gar Verbote würden das Aussterben der Spezies bedeuten!
Grundsätzlich gilt, dass eine möglichst große Handelsrelevanz die größte Wahrscheinlichkeit bietet, dass eine bedrohte Art wenigstens in menschlicher Obhut erhalten bleibt, auch wenn das auf die freilebenden Bestände keinen Einfluss hat. Der Kardinalfisch (Tanichthys albonubes), der Rote von Rio (Hyphessobrycon flammeus) oder auch der Zebrawels (Hypancistrus zebra) und der Feuerschwanz (Epalzeorhynchus bicolor) werden niemals aussterben, so lange Berufszüchter Geld mit ihnen verdienen können. Gesetzliche Maßnahme, die den freien Handel und die Zucht solcher Arten erschweren oder einschränken, sind die gefährlichsten Bedrohungen solcher Arten und können sehr schnell zu ihrem völligen Aussterben führen.
Nahezu alle hochgradig gefährdeten Kleinfische sind leider aquaristisch unbedeutend. Damit ist gemeint, dass, wenn überhaupt, weniger als 20 Aquarianer oder Institutionen weltweit sich kontinuierlich mit ihrer Erhaltungszucht über Jahre hinweg erfolgreich befassen. Zwar wurde z.B. der seltenste und bedrohteste aller Kampffische, Betta brownorum, von forschenden Aquarianern entdeckt – die Haltung und Zucht der Art sind aber so aufwändig, daß nur wenige Spezialisten sich mit ihr beschäftigen; für den allgemeinen Handel sind diese versteckt lebenden, im Verkaufsbecken unscheinbaren Tiere völlig uninteressant. Für Betta coccina (Population Malaiische Halbinsel), einem weiteren hochgradig gefährdeten Kampffisch, der eng mit B. brownorum verwandt ist, wird ein internationales Zuchtbuch geführt – eine Maßnahme, die Hoffnung macht, aber es ist nicht einfach für „normale“ Aquarianer, sich an solchen Aktivitäten zu beteiligen, was ihren Erfolg sehr in Frage stellt. Andere stark bedrohte Arten, wie bestimmte Lebendgebärende Zahnkarpfen (Poeciliidae), Hochlandkärpflinge (Goodeidae) oder Killifische (verschiedene Familien), existieren bereits nur noch in Gefangenschaft. Da es meist unscheinbar gefärbte Arten sind, besteht keine Nachfrage nach ihnen.
Ohne den Enthusiasmus begeisterter Aquarianerinnen und Aquarianer wären diese Geschöpfe bereits von unserem Erdball unwiederbringlich verschwunden. Guter Wille, Tierliebe und Opferbereitschaft alleine genügen nicht, um diese Arten zu erhalten. Auch das Handwerk Aquaristik und Fischzucht muß beherrscht werden, damit Arterhaltungszuchten betrieben werden können. Somit wächst in jedem Neueinsteiger in das Hobby Aquaristik ein künftiger potentieller Artenschützer und Arterhalter heran. Es ist leider zu befürchten, dass wir in Zukunft noch sehr viele davon bitter nötig haben werden.
Frank Schäfer