Ihr letztes Stündlein hat geschlagen

Aquarianer sind die einzige Überlebenschance für viele Kleinfischarten

Ökologen auf der ganzen Welt sind sich einig: nur die Zerstörung ihrer Lebensräume ist für das weltweit zu beklagende massen­hafte Arten­sterben verantwortlich. Die unmittelbare Verfolgung, also Fang oder Tötung von Individuen durch den Menschen mag in manchen, besonders gelagerten Einzelfällen, vielleicht zum Rückgang oder gar zur Ausrottung einzelner Arten führen – insgesamt gesehen, sind diese Fälle jedoch vernachlässigbar. Bei den Aquarienfischen ist kein einziger Fall bekannt, dass eine Art durch den Fang ausgerottet worden wäre. Im Gegenteil: alle Versuche, eine Kleintierart durch Fang oder Besammeln auch nur wirkungsvoll im Bestand zu reduzieren, sind gescheitert. Weltweit gilt das für Ratten, Gambusen, Karpfen und Tilapien, in Australien z.B. für Kaninchen, in Deutschland für Waschbären, Nilgänse, Sonnenbarsche, Blaubandbärblinge oder Louisiana-Sumpfkrebse. Egal wie hoch der Verfolgungsdruck im Einzelnen lokal auch sein mag, einige Exemplare entgehen immer den Häschern und bauen binnen kurzer Zeit wieder große Populationen auf. Warum? Weil sie, obwohl geografisch gesehen, eigentlich Fremdlinge sind und, vom Standpunkt der Evolution gesehen, eigentlich in Konkurrenz mit hochangepassten, ursprünglich heimischen Arten hoffnungslos unterlegen sein müssten, von den Umweltveränderungen, die der Mensch verursacht, profitieren! Der Mensch schafft diesen Arten perfekte Umwelt- und Lebensbedingungen (wenn auch unfreiwillig). Darum sind sie so erfolgreich.


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Solange es Menschen und Kanalanlagen gibt, so lange wird es Ratten geben. Für die Bekämpfung der Wanderratte werden Millionen ausgegeben, ausrotten kann man sie nicht.
Das Kaninchen versuchte man in Australien durch die Myxomatose (eine fiese Krankheit) auszurotten. Es starben fast alle Tiere. Aber nur fast. Heute gibt es wieder Millionen von ihnen.
Den aus Nordamerika stammenden Waschären wäre man in Europa gerne los. Klappt nicht.
Die ebenso hübsche wie streitbare Nilgans wird in Städten sogar bejagt. Damit schafft man allerdings nur freie Reviere für neue Zuwanderer.
Gambusen gibt es überall auf der Welt, wo Menschen leben und es warm genug ist. Sie sind die Ratten der Gewässer.
Der Blaubandbärbling (Pseudorasbora parva) wurde in den 1960er Jahren versehentlich mit Speisefischen aus Osteuropa eingeführt. Man wäre ihn sehr gerne wieder los – aussichtslos!
Die Nazis schickten die Hitlerjugend aus, um den Sonnenbarsch aus Nordamerika in Deutschland auszurotten. Der Erfolg des Vernichtungskrieges: noch mehr Sonnenbarsche!
Louisiana-Sumpfkrebse (Procambarus clarkii) schmecken gut. Aber auch eine völlig uneingeschränkte Sammelerlaubnis kann die Bestände nicht verringern.

Ganz besonders hart trifft das Artensterben die Klein­­tiere. Sämtliche staatlichen Schutzmaßnahmen sind bei ihnen, wie die Bilanz der letzten 40 Jahre deutlich zeigt, wirkungslos. Denn jeder existierende gesetzliche Schutz hat immer nur das Indiviuum im Fokus, absurderweise sogar bei Gesetzen, die das Gegenteil behaupten, wie die FFH-Richtlinien (FFH steht für Fauna-Flora-Habitat). Das klappt – mit Einschränkungen – bei großen Tieren, wie Elefanten oder Tigern. Anders bei Kleintieren: Diese Tiere sind nicht in der Lage abzuwandern, wenn sich ihre Le­bens­be­dingungen verschlechtern. Sie leben und sterben mit ihrer Umgebung. Je spezialisierter eine Art ist und je kleiner ihr natürliches Vorkommens­ge­biet, desto höher ist ihr Gefährdungsgrad.

Der Europäische Hundsfisch (Umbra krameri) ist durch die FFH-Gesetze geschützt und darf nur mit Ausnahmegenehmigung gepflegt werden. Für den Arterhalt ist das kontraproduktiv.

Noch lange nicht alle Tiere, die auf der Erde leben, sind bekannt. Derzeit geht man von ca. 1,4 Millionen wissenschaftlich erfassten Arten aus. 1 Million davon sind Insekten. Die Fische er­scheinen dagegen fast arten­arm. Derzeit sind etwa 35.315 Fischarten bekannt, davon 50% (17.777) im Süßwasser (Stand Anfang 2020). Alle Süßwasservorkommen der Erde stellen nur ca. 3% der Wasservorkommen des Planeten. Zum Vergleich: es gibt ca. 2.100 Arten Korallenfische, das entspricht etwa 13% der Meeresfischarten. Jedoch schätzen alle Taxonomen (das sind Bio­lo­gen, die sich mit der Klassifizierung von Arten be­schäftigen), dass nur ein Bruch­teil der tatsächlich existierenden Arten be­reits wissenschaftlich erfasst ist.

Aphyosemion amieti ist eine von hunderten Kleinfischarten, über deren Existenz man ohne die Aquaristik nichts wüsste.

Die wissenschaftliche Erfassung der Arten ist die absolute Grundvoraussetzung für jede wie auch immer geartete Schutzmaßnahme. Man nur schützen, was man kennt! Hier kommt der Aquaristik eine wich­ti­ge Rolle zu: Kleinfische der Tropen werden in den meisten Fällen erst dank der detaillierten Be­ob­achtungen der Aquarianer als eigen­stän­dige Arten erkannt. Fangreisen von spe­zialisierten Aquarianern führen immer wieder zu Neuentdeckungen von Arten und auch über den Importhandel können viele taxonomische Probleme, die sich an Museumsexemplaren alleine nicht klären lassen, gelöst werden.


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Betta imbellis lagerte seit 1897 in Museen als Präparat; man hielt die Tiere für artgleich mit Betta splendens. Nur dank der Aquaristik wurde 1975 die Eigenständigkeit der Art erkannt.

Ambastaia (früher: Botia) sidthimunki, die Schachbrett­schmer­le, mag als Beispiel dienen. Sie wurde erst 1959 wissenschaftlich ent­deckt – dank eines Aquarienfisch-Imports. In den späten 1980er Jahren brachen die Wildbestände plötzlich zu­sam­men. Die Ursachen sind bis heute un­bekannt, doch wird im allgemeinen ein Staudamm, der die Wanderwege der Tiere versperrte, dafür verantwortlich ge­macht (die Art führt Laich­wan­derun­gen durch). Da die Art aquaristisch begehrt ist, wurden Erhaltungs­zucht­pogramme ge­­startet, die den Erfolg hatten, daß heute wieder große Stück­zahlen (mehrere 100.000 Exemplare pro Jahr) für das Hobby zur Verfügung stehen. Ohne die Aqua­ristik wäre die Art weder entdeckt worden, noch hätte man ihr Aussterben bemerkt! Gesetzlicher Schutz, wie Handels- oder Fangbeschränkungen oder gar Verbote würden das Aussterben der Spezies bedeuten!

Ambastaia sidthimunki steht heutzutage in jeder beliebigen Menge als Nachzucht zur Verfügung.

Grundsätzlich gilt, dass eine möglichst große Handelsrelevanz die größte Wahrscheinlichkeit bietet, dass eine bedrohte Art wenigstens in menschlicher Obhut erhalten bleibt, auch wenn das auf die freilebenden Bestände keinen Einfluss hat. Der Kardinalfisch (Tanichthys albonubes), der Rote von Rio (Hyphessobrycon flammeus) oder auch der Zebrawels (Hypancistrus zebra) und der Feuerschwanz (Epalzeorhynchus bicolor) werden niemals aussterben, so lange Berufszüchter Geld mit ihnen verdienen können. Gesetzliche Maßnahme, die den freien Handel und die Zucht solcher Arten erschweren oder einschränken, sind die gefährlichsten Bedrohungen solcher Arten und können sehr schnell zu ihrem völligen Aussterben führen.

Der Kardinalfisch (Tanichthys albonubes) ist eine bedrohte Art. Er wird zu Millionen gehandelt, dabei handelt es sich ausnahmslos um Nachzuchttiere.
Der Rote von Rio (Hyphessobrycon flammeus) wird seit gut 100 Jahren in Erhaltungszucht vermehrt.
Der Zebrawels (Hypancistrus zebra) stirbt in der Natur aus, weil die Stromschnellen, in denen er lebt, wegen des Belamonte-Staudamms am Rio Xingu aufhören zu existieren. Im Aquarium ist die Zucht mühselig, aber aussterben wird die Art dort nicht.

Nahezu alle hochgradig gefährdeten Klein­fische sind leider aquaristisch un­be­deu­tend. Damit ist gemeint, dass, wenn überhaupt, weniger als 20 Aquarianer oder Institutionen weltweit sich kontinuierlich mit ihrer Erhaltungszucht über Jahre hinweg erfolgreich befassen. Zwar wurde z.B. der seltenste und be­droh­teste aller Kampffische, Betta brownorum, von forschenden Aquarianern ent­deckt – die Hal­tung und Zucht der Art sind aber so auf­­wän­dig, daß nur wenige Spezia­listen sich mit ihr beschäftigen; für den allgemeinen Handel sind diese versteckt lebenden, im Verkaufsbecken unscheinbaren Tiere völlig uninteressant. Für Betta coccina (Population Malaiische Halb­insel), einem weiteren hoch­­gradig ge­fährdeten Kampffisch, der eng mit B. brownorum verwandt ist, wird ein inter­na­tionales Zuchtbuch ge­führt – eine Maß­nahme, die Hoffnung macht, aber es ist nicht einfach für „normale“ Aquarianer, sich an solchen Aktivitäten zu beteiligen, was ihren Erfolg sehr in Frage stellt. Andere stark bedrohte Arten, wie be­stimmte Lebendgebärende Zahn­karpfen (Poeciliidae), Hochland­kärpf­lin­ge (Goodeidae) oder Killifische (ver­schie­de­ne Familien), existieren bereits nur noch in Gefangenschaft. Da es meist un­schein­bar gefärbte Arten sind, besteht keine Nachfrage nach ihnen.

Betta brownorum, erwachsenes Männchen (Photo: Martin Hallmann)
Junges Wildfangmännchen von Betta brownorum. Leider ist das Auge unscharf fotografiert. Die Art ist jedoch so selten geworden, dass es sich für die Zierfischfänger nicht mehr lohnt, sie zu fangen, so dass ich mangels neuer Importe den Makel in meiner Fotosammlung wohl nicht mehr werde beheben können.

Ohne den Enthusiasmus begeisterter Aquaria­nerinnen und Aquarianer wären diese Ge­schöpfe bereits von unserem Erdball unwiederbringlich verschwunden. Guter Wille, Tierliebe und Opfer­be­reit­schaft alleine genügen nicht, um diese Arten zu erhalten. Auch das Handwerk Aquaristik und Fischzucht muß be­herrscht werden, damit Arterhaltungs­zuchten betrieben werden können. Somit wächst in jedem Neueinsteiger in das Hobby Aquaristik ein künftiger poten­tieller Artenschützer und Art­er­hal­ter heran. Es ist leider zu befürchten, dass wir in Zukunft noch sehr viele davon bitter nötig haben werden.

Xiphophorus andersi ist in der Natur wahrscheinlich ausgestorben. Der einzige Fluss, in dem er vorkam, existiert nicht mehr. Wenn die Aquarianer das unscheinbare Fischchen nicht mehr pflegen und züchten, verschwindet es für immer von der Erde.

Frank Schäfer

Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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