Franky Friday Urlaubsausgabe – Notizen aus Südfrankreich (2)

Schlangenwetter

Zoologen sind – das gebe ich unumwunden zu – manchmal merkwürdig. Ich freue mich, als gestern der Himmel stark bewölkt ist: Schlangenwetter! Die anderen – unsere Strandgängerfraktion – können diesem Wetter wenig abgewinnen. Schlangen kann man zwar im Prinzip immer und überall begegnen, aber die wichtigste Voraussetzung dafür ist, Angst vor ihnen zu haben oder sie zumindest ordentlich zu verabscheuen. Wenn man Schlangen mag und sie gezielt sucht, wissen sie sich exzellent unsichtbar zu machen. Die besten Chancen, Schlangen zu finden, wenn man sie finden will, hat man bei bedecktem Himmel.

Leider konnte ich dieses schöne Männchen der Treppennatter nur tot von der Straße abkratzen

Also fahre ich die alte Küstenstraße entlang, in prächtigen Serpentinen – welch wunderbares Wortspiel. Natürlich ist Schlangensuche aus dem Auto heraus suboptimal. Man muss aufpassen, dass man nicht abstürzt und allzu trödelig darf man auch nicht fahren, sonst entwickelt sich hinter einem eine Autoschlange, deren Fahrer tödlicher sind als es je ein Reptil sein könnte. Aber man kann nach geeignetem Gelände zum Stöbern Ausschau halten und das tue ich. Leider vergeblich. Denn in dem bergigen Land gibt es keine Wege, nur Zufahrten zu Privatgrundstücken. Und so ist meine einzige Schlangenbegegnung gestern eine traurige. Ich finde auf der Straße ein überfahrenes Tier, etwas über einen Meter lag. Es riecht noch kein bischen, das Blut am Kopf ist noch hellrot. Es kann höchstens 2-3 Stunden tot sein. Wie schade um das Tier! Es ist ein sehr hübsches Männchen der Treppennatter, Rhinechis (früher: Elaphe) scalaris. Wie gerne hätte ich es lebend beobachtet! So bleibt mir nur, das Tier zu fotografieren und das Biotop genauer anzusehen.

Hier fand die Treppennatter ihr Ende

Die Farbe der Schlange passt wunderbar zur Farbe des Bodens, einem warmen Ocker. Die Vegetation ist ein lichter Pinienwald mit ausgedehntem Gebüsch am Boden und eingestreuten Kork- und Kermeseichen. Die krautige Vegetation ist eher spärlich entwickelt und – der Jahreszeit entsprechend – im Begriff, auszutrocknen. Relativ große Flächen bestehen aus nacktem Boden, der hier sehr steinig ist. Es ist altes Siedlungsland, an vielen Stellen sind menschliche Aktivitäten festzustellen, z.B. an einem Hang, der offensichtlich erst vor wenigen Wochen oder Monaten von Feigenkakteen (Opuntien) gerodet wurde. Doch was so ein Kaktus ist, der gibt so schnell nicht auf. Allenthalben waren überlebende Teilstücke dabei, wieder auszutreiben.

Lebensraum der Treppennatter

Die Treppennatter ist wenig spezialisiert, was Nahrung angeht. Sie nimmt, was kommt, egal ob Vogel, Säuger oder Reptil, doch dürfte ihre Hauptnahrung aus Mäusen und Ratten bestehen. Entsprechend ist sie dem Menschen nicht abhold, denn wo Menschen sind, sind Abfallhaufen und dort gibt es Mäuse und Ratten. Zudem ist die – ungiftige! – Treppennatter ein Eierleger. Komposthaufen stellen ideale Brutmöglichkeiten für eierlegende Schlangen dar. Sofern also keine ungeschickten oder bösartigen Kraftfahrzeugführer dem Leben der Tiere ein vorzeitiges Ende machen, sollte eine Treppennatter-Population in anthropogen veränderter Landschaft erheblich größer sein als in von Menschen unbeeinflussten Regionen – soweit es so etwas überhaupt noch gibt.

Treppennattern-Biotop

So weit die Theorie. Trotz Schlangenwetters habe ich gestern nämlich leider keine weiteren Treppenattern gesehen.

Feigenkakteen (Opuntien) sind sehr zähe Gewächse.

The Sound of Provence

Ich habe nichts gegen Fremde; einige meiner besten Freunde sind Fremde. Aber diese Fremden sind nicht von hier! – Methusalix

Das typische Geräusch der Provence ist eigentlich nervtötend, das Wappentier der Provence, das es hervorbringt, alles andere als hübsch anzusehen. Es handelt sich um Zikaden, große, pflanzensaftsaugende Tiere, die als Vollinsekten in Bäumen leben und ein an Heuschschrecken-Gezirpe erinnerndes, schnarrendes und höllisch lautes Geräusch machen. Das ertönt Tag und Nacht. Wenn man direkt unter dem Baum steht, in dem der Musikant sitzt, ist der Sound ungefähr so beruhigend, wie das Quietschen von Kreide an der Schultafel, aber frei nach dem Motto im Datterich, des darmstädter Nationialepos „bevor ich mich aufrege, ist es mir lieber egal“ hat man beschlossen, die Zikaden romantisch zu finden, da man eh nichts gegen sie tun kann.

Pinienwäldchen, das an ein Weingut grenzt. Davor Spanisches Rohr (Arundo).

Das klassische Zikadenhabitat sind die großen, sonnenschirmartigen Pinien, Charakterbäume der Provence. Oft stehen die Pinien vereinzelt, aber es gibt auch Wäldchen und Wälder von ihnen. In einem solche Wäldchen ist es seltsam ruhig und ein wenig unheimlich. Den Boden bedeckt ein dicker Teppich alter Nadeln, die jedes Geräusch schlucken. Es ist sehr dämmerig und der Boden fast frei von Bewuchs. Schaut man von unten in die Pinie, sieht man nur dürres Geäst, denn Pinien verkahlen von unten heraus und nur außer herum, im Licht, sind sie grün. Es ist  außerordentlich schwierig, in so einer Pinie eine Zikade zu orten. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass ich mit zunehmendem Alter immer schlechter höre, aber selbst wenn ich den Sänger sehe, finde ich, dass das Geräusch aus anderen Richtungen kommt.

Schaut man von unten in eine Pinie, ist das ein eher trostloser Anblick.

Pinien sind trotzdem klasse und wunderschön, aber mein Lieblingsbaum der Provence ist die Korkeiche. Sie ist romantisch und nützlich zugleich. Als leidenschaftlicher Weintrinker muss ich die Korkeiche sowieso lieben, aber auch ihr knorriges Äußeres und der Flechtenbewuchs machen sie sehr anziehend. Statt Pinien und Korkeichen findet man aber auch häufiger Eukalyptushaine. Die australischen Bäume wurden in der Provence angepflanzt, weil sie gute Strategien gegen die häufigen Waldbrände in dieser Gegend haben. Die langfaserig abblätternde Rinde verzehrt sich z.B. in Strohfeuermanie aber die darunter liegenden, saftführenden, für das Leben des Baumes so wichtigen feuchten Schichten fangen nur schwer Feuer. Aber die Eukalyptusbäume sind Neophyten, manche würden sagen: garstige Bioinvasoren!

Es gehört heute zum guten Ton jedes Ökologen, der politisch korrekt sein will, möglichst wenig anecken möchte und kein Problem damit hat, ordentlich Geld von politischen Organisationen und Verwaltungsapparaten anzunehmen, über die Schrecken und Gefahren von nicht bodenständigen Tier- und Pflanzenarten zu lamentieren. Neozoen und Neophyten, also Tier- und Pflanzenarten, die nach der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus in irgend einem Gebiet außerhalb ihres natürlichen Vorkommensbereiches heimisch wurden, werden heutzutage – übrigens wissenschaftlich falsch – selbst von Wissenschaftlern, die es doch eigentlich wirklich besser wissen müssten, gerne pauschal als „invasiv“ bezeichnet. Invasive Arten sind böse, das hat sich in Politikerkreisen herumgesprochen, auch wenn Politiker keine Biologen sind und eigentlich überhaupt keine Ahnung von der Materie haben. Aber handeln müssen sie trotzdem, vor allem dann, wenn die bösen invasiven Arten Schäden wirtschaftlicher Art verursachen oder gar giftig sind oder – noch schlimmer – einheimische Arten verdrängen, die einen hohen Sympathiewert in der Bevölkerung haben. Keine Frage, es gibt solche invasive Arten, deren Ausbreitung zum Schutze der Artenvielfalt mit allen zur Verfügung stehen Mitteln verhindert werden sollte. Sie kommen immer im Gefolge des Menschen und jedes Kind kennt ihre Namen: es sind Hund, Katze, Schwein, Ziege und Wanderratte. Auf ihr Konto gehen sicher 99% der Fälle von Aussterben wildlebender Landtierarten. Manchmal sind es auch lokal exotische („exotisch“ im Sinne von „ungewöhnlichen“) Arten, wie auf der Insel Guam, wo eine Art von Nachtbaumnattern (Boiga), die versehentlich in ganz wenigen Exemplaren (wenn es nicht sogar nur ein einziges befruchtetes Weibchen war) zwischen Bananen hierhin verschleppt wurde. Es gab auf Guam keinerlei natürliche Feinde für diese Schlange und die Vogelwelt von Guam hatte keinerlei Strategien gegen Schlangen entwickelt, weil es auf Guam keine vogelfressenden Schlangen vor der Ankunft der Nachtbaumnatter gab. So hat die Natter, von der vorher selbst Schlangenspezialisten unter den Biologen kaum mehr als den Namen wussten, in wenigen Jahrzehnten den Vogelbestand von Guam dramatisch reduziert.

Solche wirklichen invasiven Arten zeigen deutlich auf, warum Artenschutzkonzepte, die auf Fang- und Sammelverboten beruhen, nicht funktionieren können und auch noch niemals funktioniert haben: es ist nämlich schlichtweg unmöglich, durch sammeln und töten von Kleintieren den Bestand auszurotten. Ein paar werden immer übersehen und vermehren sich anschließend explosionsartig, wenn der Lebensraum ansonsten intakt bleibt. Man vergisst allzu leicht, dass selbst eine Tierart wie eine Schlange, die sich nun wirklich langsam vermehrt, ihren Bestand pro Jahr leicht verzwanzigfachen kann und ihre Vermehrung geht exponentiell vonstatten, nicht linear! An diesen grundlegenden Kenntnissen ändern auch eine wenige lokale Ausrottungserfolge, wie z.B. die Extermination von Ratten auf einigen kleinen Inseln vor Neuseeland, nichts.

Zurück in die Provence. Hier führt mich ein Spaziergang in einen Eukalyptushain. Es ist angenehm kühl im Schatten der Bäume, der Wind flüstert in ihren Ästen, am Boden wachsen weitere „invasive“ Arten – vor allem Palmen, wobei es intensiver Forschungsarbeit (statt oberflächliger Mometanbeobachtungen) bedarf, um herauszufinden, wie z.B. die ursprüglich im Mittelmeerraum heimische Zwergpalme (Chamaerops humilis), die allerdings, weil der Mensch Palmen mag, schon ewig und drei Tage auch von ihm agepflanzt wird und deren tatsächliches Wildvorkommen darum kaum noch feststellbar ist, mit der als „invasiv“ eingestuften, aus Asien stammenden, zumindest in Jugendstadien sehr ähnlichen Hanfpalme (Trachycarpus fortunei) interagiert. Ein schönes Fleckchen Erde. Das würde jeder finden, der nicht botanisch vorgebildet und ideologisch vorverblendet ist. Denn hier ist schließlich Kulturlandschaft, unmittelbarer Lebensraum der Spezies Homo sapiens. Wenn hier exotische („exotisch“ im Sinne von „aus einem anderen Land stammend“) Arten dominieren, so nur deshalb, weil sie dem Umfeld des Menschen besser angepasst sind als die Pflanzenarten, die vor der Ankunft des Menschen hier wuchsen. Neophyen und Neozoen sind nicht per se böse und zu bekämpfen. Das ist ideologischer Quatsch. Und das finden auch die Zikaden. Sie machen nämlich im Eukalyptus den gleichen Krawall wie in den Pinien – the sound of Provence!

Zikade auf Eukalyptusast

Geckos im Urzustand

Ich tuckere mal wieder die alte Küstenstraße entlang und halte Ausschau nach vielversprechenden Biotopen. Da! Im Straßengraben liegt ein malerischer Ast einer abgestorbenen Korkeiche. Und genau gegenüber ist eine Nothaltebucht. Wenn ich religiös wäre, würde ich annehmen, das ist ein Zeichen des Himmels. Aber auch so halte ich an und lade dieses prächtige Dekorationsstück künftiger Terrarien in den Fond unseres Kraftfahrzeugs. Wie der Ast so da liegt schaue ich ihn versonnen an. Enthält er auch wirklich keine Krabbelviecher (Spinnen, Ameisen), die man lieber nicht als Freigänger im Auto hat? Und wie stimme ich mein geliebtes Weib gnädig, dass ich den Ast auch behalten darf? Während ich so versonnen ins Leere starre springt mein Spiderman-Radar an. Da links von mir, an der Böschung, da hat sich doch was bewegt!

Auf diesem kleinen Stück Felsen-Böschung leben mindestens 8 ausgewachsene Tarentola mauritanica

Detail des Mauergecko-Biotops

Glaubt es oder glaubt es nicht: ein Biologe auf Pirsch nimmt im Unterbewusstsein Dinge wahr, die einem gewöhnlichen Sterblichen entgehen. Sei es das Rascheln, das eine Eidechse im trockenen Laub des Bodens verursacht und das sich irgendwie anders anhört als der Wind oder eine Bewegung, die irgendwie anders als rein physikalischer Natur ist. Die Böschung besteht hier aus nacktem, bröckeligem Gestein. Was habe ich gesehen? Die Korkeichenastfrage wird nicht fortlaufen, also Kofferraum zu, Kamera raus und abgewartet. Es dauert nicht lange und Mauergeckos erscheinen. Mannomannn, wie viele! Es ist bedeckter Himmel, Schlangenwetter, aber in der besten Mittagszeit (ca. 14.00 Uhr). Und völlig ungeniert treiben sich hier auf vielleicht 3 Metern Böschung mindestens acht Tarentola herum. Ich sehe nur geschlechtsreife Tiere, nur ein sicheres Männchen (dicker Kopf, etwas dunkler als der Rest der Truppe). Es herrscht ein fröhliches Angegifte, Mauergeckos sind nun mal assi, und es ist eine Freude, die Tiere wie auf Luftkissen über das senkrechte Gestein gleiten zu sehen und wie sie in Spalten verschwinden, die viel zu eng für sie erscheinen. Die Kamera mögen sie nicht sonderlich, eine zu rasche Bewegung am Objektiv, und die ganz Bagage ist verschwunden. Aber sie kommen auch schnell wieder heraus. Beim Fotografieren merkt man aber immer wieder, dass die scheinbar völlig frei sitzenden Tiere doch immer in ganz leichter Deckung sind. Ich muss eine ganze Weile ausharren, bis mir ein Schuss ohne störendes Gras, Zweige oder dergleichen gelingt. Als ich den Schuss schließlich im Kasten habe und die Wand etwas genauer untersuche, sehe ich, dass die Geckos genau wie ihre Vetter daheim (ich habe derzeit Tarentola annularis aus Ägypten zu Gast in einem meiner Terrarien) Klos anlegen. Jedenfalls finde ich die Kotballen immer gehäuft an einer Stelle. Sicher werden sie bei den (seltenen) Regenereignissen weggewaschen, aber jetzt merke ich mir: wenn ich künftig nach Geckos suche, auf Kot achten!

Nicht dass Tarentola mauritanica hier selten wäre. Im ganzen Gegenteil. Der Mauergecko geht zwar nicht weit von der Küste weg, ist aber eine alltägliche Erscheinung an Gebäuden aller Art. Nur in so richtig freier Natur, unter Pre-Homo-Verhältnissen sozusagen, da habe ich die Tiere noch nicht gesehen. In den Strandbars und Altstädten (z.B. in Ramatuelle ud Gassin) ist der Mauergecko allerdings streng nachtaktiv, vor Sonnenuntergang habe dort noch keine Exemplare entdecken können (was allerdings angesichts meiner jeweils nur kurzen Beobachtungszeiten nicht überbewertet werden darf). Anders als letztes Jahr in Italien, in der Toskana. Dort sind auch die Kulturfolger-Geckos tagsüber unterwegs gewesen.

Rätselhafte Gambusen

Gambusenpärchen. Diese Aufnahme zeigt NICHT die Tiere aus Südfrankreich, es ist eine Archivaufnahme eines Stammes unbekannter Herkunft. Ich habe kein Fotobecken dabei und reiche ein Originalfoto nach.

Sie gehören zu den Top Ten der invasiven Tierarten der Erde: Moskitokärpflige oder Gambusen. Weltweit wurden die kleinen, ziemlich farblosen Lebendgebärenden Zahnkarpfen, Verwandte von Guppy und Co., zur biologischen Bekämpfung von Stechmücken ausgesetzt und haben sich als extrem anpassungsfähig erwiesen. Sie sind unausrottbarer Bestandteil der lokalen Fischfaunen geworden und zweifellos mit verantwortlich für das Seltenwerden oder gar Aussterben ursprünglich vorhandener Fisch- und Amphibienarten, von den Auswirkungen auf die kleinen Wirbellosen gar nicht zu reden. Aber warum das so ist, ist weitestgehend unverstanden. Wie kann ein Fremdorganismus so überaus erfolgreich mit der angestammten Flora und Fauna konkurrieren, die doch viel besser angepasst sein müsste? Wo liegt das Geheimnis dieses Erfolges? Wie schaffen es die Fremdorganismen die Probleme der genetischen Verarmung (stark vereinfacht ausgedrückt: der Inzucht) zu umgehen, waren doch die Gründerpopulationen oft nur winzig klein? Auf keine dieser Fragen gibt es bislang eine befriedigende Antwort. Das ist um so bedauerlicher, als dass in der Antwort auf diese Fragen auch der Schlüssel zur umgekehrten Problemlösung liegen dürfte, nämlich zum Artenschutz. Bislang versagt der Mensch ziemlich vollständig, wenn er kleine Tier- und Pflanzenarten, die vom Aussterben bedroht sind, erhalten möchte. Artenschutzerfolge gelingen bislang nur bei größeren Tier- und Pflanzenarten, deren Rarwerden auf übermäßiger Verfolgung oder Nutzung beruht. Die allermeisten – bestimmt weit über 90% der bedrohten Tier- und Pflanzenarten, wurden und werden aber in keinster Weise vom Menschen genutzt und sie lediglich nominell unter Artenschutz zu stellen bringt folgerichtig rein gar nichts.

Die Gambusen sind erst in relativ junger Zeit in den Fokus ernsthafter Forschung geraten. Viel wissen wir noch nicht über die Moskitokärpflinge und die Ursachen ihres Erfolges. Das, was ich in diesem Blog darüber referiere, beruht in erster Linie auf der Arbeit von Vidal, O., García-Berthou, E., Tedesco, P. A. & J.-L. García-Marín (2009): Origin and genetic diversity of mosquitofish (Gambusia holbrooki) introduced to Europe. Biological Invasions (2010) 12: 841-851 (die Arbeit wurde bereits 2009 online publiziert, die Print-Ausgabe erschien erst 2010). Erstaunlich genug: Fast alle Gambusen-Vorkommen in Europa beruhen auf einer einzigen Einführung, die 1921 nach Spanien erfolgte; diese 12 (!) Individuen wurden aus Nord-Carolina importiert (es gibt über die Herkunft der Tiere widersprüchliche Angaben, doch machen DNS-Analysen der europäischen Tiere die Herkunft aus Nord-Carolina am wahrscheinlichsten). 200 Nachkommen dieser ersten 12 Tiere wurden bereits 1922 nach Italien weitergegeben und anschließend über weite Teile Europas verteilt, wenn das Klima das zuliess. Soweit wir wissen stammen die meisten gegenwärtig existierenden Populationen in Europa von dieser ersten Einführung ab. Es gibt noch einen zweiten genetischen Typ in Europa, dessen Ursprung noch nicht bekannt ist, er ist jedoch insgesamt erheblich seltener. Die Literatur zu den Moskitokärpflingen ist nur schwer auszuwerten, da früher drei Arten unterschieden wurden: Gambusia patruelis, G. affinis und G. holbrooki und später, als G. patruelis als Synonym zu G. affinis gestellt wurde, man zwischen G. affinis und G. holbrooki nur noch als Unterarten unterschied, die man kaum erkennen konnte. Tatsächlich gibt es gegenwärtig keine Anzeichen dafür, dass G. affinis in Europa existiert, obwohl 1927 G. affinis bei Triest, kurze Zeit später bei Rovigno und Valle d´Istia (alle Orte liegen in Italien) ausgesetzt wurden. Diese Tiere stammten aus Carbondale, Illinois. Man hoffte, dass sich G. affinis noch besser zur Moskito-Bekämpfung als G. holbrooki eignen würde, weil G. affinis weniger kälteempfindlich ist. Die Existenz von Gambusia affinis in Europa kann also nicht ausgeschlossen werden, Beweise hierfür gibt es aber derzeit keine. In der Türkei und andernorts außerhalb Europas scheint aber Gambusia affinis durchaus erfolgreich ausgewildert worden zu sein. Hier, in Südfrankreich, kommt Gambusia in geeigneten Habitaten im Brackwasser massenhaft vor und hier, in Südfrankreich, gibt es auch den zweiten Haplotypen, also den von der 1921er Aussetzung abweichenden, genetisch identifizierbaren Typen.

De Gambusen aus Südfrankreich gehören zur Spezies Gambusia holbrooki

Meeräschen koexistieren friedlich mit Gambusen.

Mein Verhältnis zu diesen Gambusen ist ambivalent. Einerseits faszinieren mich die Tiere aus in der Einleitung geschilderten Gründen, andererseits wollte ich eigentlich den hier ursprünglich heimischen Mittelmeerkärpfling (Aphanius fasciatus), einen recht engen, eierlegenden Vetter der Gambusen, finden. Es gibt A. fasciatus hier, das weiß ich, denn ich habe mehrere Belegexemplare auf dem lokalen Wochenmarkt in Ramatuelle zwischen zum Frittieren angebotenen frischen Anchovis gefunden. Da Anchovis nicht ins Brackwasser gehen, müssen diese Mittelmeerkärpflinge im Meer gefangen worden sein. Ich suchte also nach fast vollständig Meeres-Salzgehalt aufweisenden Flachwassergebieten die Küste entlang und stieß so in der Nähe von Hyeres auf das Gambusen-Biotop. Anfangs war meine Enttäuschung darüber, keine Aphanius gefunden zu haben, viel zu groß, um mich über die Gambusen richtig freuen zu können. Aber natürlich nahm ich auch schon vor sechs Jahren, als ich den Fundort entdeckte, ein paar Tiere mit, drei Jahre später wieder. Aber es gelang mir nicht, daraus einen dauerhaften Stamm aufzubauen. Wie bei so vielen Lebendgebärenden-Wildformen war nach zwei Generationen Schluss.

Die gestreiften Beifang-Fische im Anchovis-Angebot dieses Fischhändlers in Ramatuelle sind Mittelmeerkärpflinge (Aphanius fasciatus)

Ungeachtet ihrer invasiven Fähigkeiten sind Gambusen im Zimmeraquarium heikle Pfleglinge, deren Zucht nicht einfach ist. Oft nehmen die Weibchen nicht gut auf, verwerfen oder gebären gar keine Junge, zudem sind sie arg kannibalisch und die im Aquarium geborenen Jungtiere sind oft schwächlich. Ich habe jetzt neue Ideen dazu. Erstens glaube ich, dass UV-Licht ein wichtiger Faktor ist, der bei der Zimmerhaltung fehlt und zweitens gehört meines Erachtens zu einer gut funktionieren Zuchtgruppe bei Lebendgebärenden – jedenfalls wenn man sie langfristig betreiben möchte und nicht nur über zwei, drei Generationen – die Pflege im Schwarm mit unterschiedlich alten Tieren. Trotz des im Aquarium zu beobachtenden teils extremen Kannibalismus stellen die Tiere Jungtieren im Biotop nämlich kaum nach. Erwachsene, halbwüchsige und kleine Jungtiere sind zwar in getrennten Schulen, aber in unmittelbarer Nähe zueinander zu finden. Nun habe ich einfach mal statt nur ein paar besonders fetten Damen einen größeren Trupp (rund 100 Exemplare) aller drei Altersstufen und beiderlei Geschlechts gesammelt (das hat übrigens keine 5 Minuten gedauert). Sie wohnen gerade in einem 200 x 80 cm großen aufblasbaren Planschbecken, das wir eigentlich für Indie mitgenommen haben, der das aber doof findet. Ich bin gespannt, wie sich die Gambusen diesmal zuhause machen werden. Und wenn´s wieder in die Büchse geht: dies war bestimmt nicht unser letzter Urlaub im süßen Frankreich!

Frank Schäfer


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Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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3 Kommentare zu “Franky Friday Urlaubsausgabe – Notizen aus Südfrankreich (2)

  1. Egbert W Gerlich

    FrankyFriday ist mein liebster Blog; die heutige Plauderei – so leicht dahin und doch voller Wissenswertem – ist besonders erfreulich! Da muss ich einfach einmal Lob und besonders Dank aussprechen.
    Äußerst erfreulich!

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  2. Nik

    Hallo,
    vielen Dank für den schönen Bericht.
    Nach drei Jahren sind wir natürlich gespannt darauf zu erfahren: Was ist aus den 100 Gambusen im Planschbecken geworden? Hat sich in Aquarien / Freilandbottichen eine stabile Population halten können?

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    1. Frank Schäfer Beitragsautor

      Hallo,

      es freut mich, dass der Bericht gefällt! Leider endete das Gambusen-Experiment auch diesmal in der Buchs und zwar bereits im Hitzesommer 2019. Bei uns sind 2019 (übrigens auch 2020) sämtliche Laichgewässer der Grasfrösche mit den darin lebenden Kaulquappen ausgetrocknet. Der Nahrungsmangel hat die Ringelnattern in die Gärten mit ihren Gartenteichen und (in meinem Fall) Bottichen und Planschis getrieben, wo sie ordentlich aufräumten. Bei den Gambusen und einigen anderen Arten kam es zum Totalverlust. Was mich natürlich nun auf den Gedanken bringt, einmal zu untersuchen, ob das massenhafte Auftreten dieser Kleinfische ein positiven Einfluss auf die Populationen von Ringel-, Würfel- und Vipernattern hat. Fest steht: sie finden sie sehr lecker…

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