Manchmal ist eine Weichschildkröten-Art im Zoofachhandel anzutreffen, deren Babies eine leuchtend rote Bauchfärbung aufweisen. Im Alter verliert sich das und macht einer weißen Färbung Platz. Es handelt sich dabei um Jungtiere der Chinesischen Weichschildkröte, einer Art, die aufgrund ihrer Beliebtheit als Nahrungsmittel heutzutage in weiten Teil der Welt vorkommt.
Nicht alle Schildkröten besitzen einen festen Panzer aus Hornschildern. So haben z.B. die Weichschildkröten, die mit 30 Arten in den Süßgewässern von Asien, Afrika und Nordamerika vorkommen, einen weichen, lederartigen Panzer. Alle Weichschildkröten sind vorwiegend Fleischfresser und sehr räuberisch. Zudem sind sie gewöhnlich sehr bissig. In der Terraristik sind sie darum nicht sonderlich beliebt, denn ihr unverträgliches Wesen macht gewöhnlich eine Einzelhaltung nötig. Hinzu kommt, dass die meisten Arten sehr groß werden (über 30 cm Panzerlänge) und entsprechend große Aquarien fordern. Aber eine Art taucht dennoch regelmäßig im Zoofachhandel auf: die Chinesische Weichschildkröte, Pelodiscus sinensis (früher: Trionyx sinensis).
Klein und lecker
In Indien werden riesige Weichschildkröten in Tempelteichen gehalten und von den Gläubigen gefüttert. Diese Tiere sind sehr zahm und auch untereinander verträglich. Dabei handelt es sich z.B. um die über 90 cm lang werdende Art Aspideretes (früher: Trionyx) nigricans, die in der Natur sogar schon als ausgestorben gilt. Leider ist dieser friedfertige Umgang mit den Weichschildkröten aber die große Ausnahme. Überall werden sie ihres Fleisches wegen verfolgt und gegessen, zusätzlich gräbt man ihre Eier – ebenfalls zu Nahrungszwecken – aus. Viele Arten gelten darum heutzutage als hochgradig bedroht. Um es aber ganz klar zu sagen: der Lebendhandel zum Zwecke der Terrarien- bzw. Aquarienhaltung hat keinerlei spürbaren Einfluss auf die natürlichen Populationen, dafür ist die Nachfrage viel zu gering. Die Weichschildkröten-Art, um die es hier geht, nämlich die Chinesische Weichschildkröte, wird zudem kommerziell in Zuchtfarmen vermehrt. Mit 12 bis 20, selten bis 25 cm Panzerlänge handelt es sich um eine der kleinsten Arten der Weichschildkröten überhaupt. Auch diese Art wird in riesigen Mengen verspeist, doch ist sie gut in Aquakultur zu vermehren und der Bedarf lässt sich aus Nachzuchttieren decken. Ihre Bedeutung als Nahrungsmittel bei chinesisch-stämmigen Amerikanern kann man daran ermessen, dass die Art seit dem frühen 19. Jahrhundert bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges auf Hawaii und in Maryland gezüchtet wurde und dort heute noch verwildert vorkommt. Weitere auf den Menschen zurück zu führende Populationen gibt es auf Guam, in weiten Teilen von Südostasien und in Japan. Eine wahrscheinlich reproduzierende Population in Spanien soll auf ausgesetzte Terrarientiere zurückgehen, in Frankreich, Großbritannien und Madagaskar haben sich scheinbar noch keine fortpflanzungsfähigen Populationen gebildet, obwohl die Art auch dort gelegentlich nachgewiesen wird. Die ursprüngliche Verbreitung ist aus den genannten Gründen nicht ganz einfach zu rekonstruieren, doch nimmt man an, dass Pelodiscus sinensis ursprünglich in Südost-Russland, im östlichen China, Korea, Taiwan und Nord-Vietnam vorkam.
Fast auch eine Deutsche
In Deutschland untersuchte man bereits 1913 in Bayern, ob man diese Tiere hier heimisch machen könne, um sie, wie in Japan damals bereits üblich, zur Fleischgewinnung zu züchten. In der teichwirtschaftlichen Versuchsstation Wielenbach wurden Jungtiere in einen Teich eingesetzt, entwichen jedoch und verteilten sich in den Karpfenteichen der Umgebung. Hier überlebten sie nach Klingelhöffer (1959) immerhin bis mindestens 1923, wie Wiederfunde belegten. Aber da Weichschildkröten vermutlich doch niemals zum üblichen Speisezettel eines Deutschen gehören werden, stellte man derartige Versuche wieder ein. Heutzutage weiß man, dass der Versuch, ausländische Tierarten in fremden Gebieten heimisch zu machen, furchtbare Folgen für die ursprünglich heimische Fauna und Flora haben kann. Es ist daher – sehr zu recht – streng verboten, irgendwelche Tiere, die man zu Hause nicht mehr pflegen kann oder will, einfach auszusetzen. Die exotischen Populationen der Chinesischen Weichschildkröte in Nordamerika, Südostasien und Europa werden sehr skeptisch beobachtet; allerdings ist es kaum möglich, ein so anpassungsfähiges Tier wie die Chinesische Weichschildkröte in einem intakten Lebensraum wieder auszurotten.
Chinesische Weichschildkröten im Aquarium
Jungtiere der Chinesischen Weichschildkröte sind sehr niedlich. Es ist auch sehr spannend, ihr Verhalten zu beobachten. Die Nasenspitze einer Weichschildkröte ist zu einen rüsselartigen Organ ausgebildet. Sie wird besonders von den Jungtieren gerne wie ein Schnorchel benutzt. Wenn man ihnen die Möglichkeit dazu bietet, graben sich die Jungtiere dieser Schildkröten nämlich in möglichst feinen Sand ein. Ist der Wasserstand niedrig genug – also höchstens 5 cm – so müssen die Babies zum Luftholen ihr sicheres Bett im Sand nicht verlassen, sondern strecken nur ihren langen Hals aus, bis der Nasenschnorchel die Wasseroberfläche berührt und sie frische Luft tanken können. Denn selbstverständlich ist der Mensch nicht das einzige Raubtier, das in Weichschildkröten einen Leckerbissen sieht… Untereinander sind Chinesische Weichschildkröten bissig und unverträglich. Eine Einzelhaltung ist darum in vielen Fällen die beste Wahl. Dafür muss das Aquarium gar nicht besonders groß sein, für ein Einzeltier genügt bereits ein handelsübliches 60-cm-Becken, das wie zur Pflege von Fischen eingerichtet wird. Man muss aber darauf achten, kein zu starkes Pflanzen- oder Fadenalgenwachstum zuzulassen, denn Jungtiere können sich darin verheddern und ertrinken. Voll ausgewachsene Exemplare pflegt man entweder in einem ausbruchsicheren (!) Freilandterrarium oder einem großen Aquarium von vielleicht 120 cm Länge. Obwohl sich Weichschildkröten in der Natur manchmal sonnen, ist ein Landteil für die Pflege überflüssig. Eine Korkrinde, die man einfach auf die Wasseroberfläche legt, genügt vollkommen. Gewöhnlich werden Weichschildkröten diese Landgangmöglichkeit vor allem dann nutzen, wenn sie Hautprobleme haben. Der Bodengrund im Aquarium sollte aus einer ausreichend hohen Schicht feinen Sandes bestehen, damit die Schildkröten sich eingraben können. Damit beugt man Hautkrankheiten aller Art am besten vor. Die Filterung im Aquarium sollte über luftbetriebene Filter erfolgen, da der aufgewirbelte Sand bei einem Motorfilter früher oder später unweigerlich zu Defekten an der Welle führt. Eine Heizung des Wassers ist überflüssig, doch sollte das Aquarium mit einer handelsüblichen Aquarienabdeckung ausgestattet sein, in der die Beleuchtung des Aquariums untergebracht ist. Durch die Lampen wird der Luftraum über der Wasseroberfläche erwärmt, was den Schildkröten sehr gut tut. Eine UV-Bestrahlung, wie sie für viele andere Schildkrötenarten sinnvoll ist, ist bei der Weichschildkrötenhaltung zumindest nicht notwendig.
Vergesellschaftung
Es wurde schon mehrfach erwähnt: untereinander sind die Tiere oft sehr bissig. Auch in die menschliche Hand beißen die Tiere ohne zu zögern, wenn sie sich bedroht fühlen. Das ist bei Babies noch nicht weiter schlimm und kneift nur (Schildkröten haben keine Zähne sondern scharfe, wie eine Schere arbeitende Hornleisten), doch bei etwas größeren Exemplaren gibt es blutende Wunden. Auch die scharfen Klauen – die Weichschildkröten haben je drei an ihren Füßen – können wirkungsvoll als Waffen eingesetzt werden. Natürlich gibt es individuelle Unterschiede in Hinsicht auf die Verträglichkeit. Wer sich jedoch für die Pflege von mehreren Exemplaren entschließt, muss die Tiere sehr gut im Auge behalten und gegebenenfalls frühzeitig eingreifen. Recht gut kann man einzelne Chinesische Weichschildkröten mit anderen Schildkröten-Arten vergesellschaften, wenn genügend Platz vorhanden ist. Fische leben in der Gesellschaft von Chinesischen Weichschildkröten immer gefährlich. Fischzüchter pflegen darum ganz gerne ein solches Tier, um deformierte Exemplare unter den Nachzuchten biologisch sinnvoll und ethisch einwandfrei verfüttern zu können. Amphibien dürfen niemals mit Pelodiscus sinensis gemeinsam gepflegt werden, sie werden früher oder später immer ein Opfer der Schildkröten.
Ernährung
Die Fütterung von Chinesischen Weichschildkröten ist problemlos möglich. Jungtiere sind mit pelletiertem Futter, wie es für Wasserschildkröten im Zoofachhandel angeboten wird, als Basisfutter gut und gesund zu ernähren. Zusätzlich kann man Frostfutter für Zierfische reichen, vor allem Rote Mückenlarven, Bachflohkrebse (Gammarus), Artemia und Mysis; wenn die Tiere etwas größer sind kann man ganze, gefrorene Stinte als Nahrungsgrundlage verwenden. Entgegen dem immer wieder zu lesenden Unfug von „Magenverkühlung“ braucht man Frostfutter nicht aufzutauen, damit sich die Tiere innerlich nicht erkälten (das ist physiologisch unmöglich), sondern man taut Frostfutter auf, um das Aquarienwasser nicht unnötig mit dem immer anfallendem Auftauwasser, das stark organisch belastet ist, zu verschmutzen. Darum ist die beste Auftaumethode, das Frostfutter unmittelbar vor dem Verfüttern in einem entsprechend feinmaschigen Netz unter kaltem, fließenden Wasser zu spülen. Wenn einzelne Futterpartikel noch nicht vollständig aufgetaut gefressen werden, macht das gar nichts. Regenwürmer stellen für Chinesische Weichschildkröten einen besondern Leckerbissen dar, auch kleine Süßwasserschnecken werden gerne gefressen. Von letzteren sollte man aber nur in Aquarien gezüchtete Exemplare verfüttern, da wildlebende Wasserschnecken eine Vielzahl von Parasiten übertragen können. In der Literatur findet man immer wieder den Hinweis, dass Chinesische Weichschildkröten auch pflanzliche Materialien zu sich nehmen. Im Aquarium tun sie das aber nur äußerst selten.
Zucht
In Mitteleuropa wird Pelodiscus sinensis kaum gezüchtet, was hauptsächlich an der Unverträglichkeit liegt. Wenngleich man die Tiere – je nach Herkunft sogar ganzjährig – in Freilandanlagen pflegen kann, wo ja meist deutlich mehr Platz als in Innenanlagen zur Verfügung steht, nutzen die meisten Schildkrötenpfleger diesen Raum lieber zur Zucht von selteneren Arten. Alle im Zoofachhandel auftauchenden Babies der Chinesischen Weichschildkröte sind jedoch Nachzuchten aus Betrieben, die die Art als Nahrungsmittel oder als religiöse Devotionalien züchten. Das Aussetzen eines Weichschildkrötenbabies gilt gläubigen Hindus, ähnlich wie das Füttern der riesigen Tempelschildkröten, als verdienstvolle religiöse Handlung. Aus den Zuchtbetrieben weiß man, dass Chinesische Weichschildkröten unter tropischen Bedingungen sehr raschwüchsig sind und ganzjährig mehrmals jährlich große Gelege von 9-28 Eiern produzieren. Die Eier sind kugelrund und wiegen durchschnittlich 5 Gramm. Sie werden auf Sandbänken abgelegt, oft in mehreren Lagen übereinander, wobei die Oberfläche des am weitesten zur Sandoberfläche liegenden Eies mindestens 6 cm tief im Sand liegt. Die Inkubationsdauer beträgt (temperaturabhängig) 40-80 Tage. Man konnte an den Embryonen der Chinesischen Weichschildkröte übrigens nachweisen, dass sie sich sogar innerhalb des Eies so weit bewegen können, dass sie etwas wärmere Stellen erreichen, was ihre Entwicklung beschleunigt (Dua et al, 2011). Die Geschlechter der Chinesischen Weichschildkröte sind bei erwachsenen Tieren leicht an der Schwanzlänge zu erkennen, bei Babies ist die Geschlechterkennung unmöglich.
Fazit
Chinesische Weichschildkröten sind sehr interessante Pfleglinge, wenn auch mit Macken. Wer kein Problem mit der Bissigkeit dieser Tiere hat, sollte sie unbedingt einmal pflegen, denn Weichschildkröten sind clevere und anpassungsfähige Reptilien, deren Beobachtung viel Freude macht und zu Einsichten in die Schildkrötenseele führt, die man an anderen Arten nur schwer gewinnen kann.
Frank Schäfer
Literatur:
Klingelhöffer, W. (1959): Terrarienkunde, 4. Teil. Stuttgart
Wei-Guo Dua, Bo Zhaob, Ye Chenb, and Richard Shine (2011): Behavioral thermoregulation by turtle embryos. PNAS Early Edition
Somma, Louis A. (2013): Pelodiscus sinensis. USGS Nonindigenous Aquatic Species Database, Gainesville, FL. http://nas.er.usgs.gov/queries/FactSheet.aspx?speciesID=1278 Revision Date: 10/26/2011
Raffles Museum of Biodiversity Research (2013): Pelodiscus sinensis. http://rmbr.nus.edu.sg/dna/organisms/details/816
Jayaditya Purkayastha, Ahmed Mahmadul Hassan, Hasanul Islam, Jessica Das, Manoj Sarma, Mituseela Basumatary, Nilakshi Sarma, Nishant Chatterjee, Sachin Singha, Vishnupriya Nair, Arundhati Purkayastha, Jayashree Dutta, and Madhurima Das (2013): Turtles of the Temple Pond of Kamakhya, Assam, India. REPTILE RAP #15: 11-15
Sehr geehrter Herr Schäfer,
zunächst erst einmal vielen Dank für Ihre vielen tollen Beiträge! Da ich schon ein paar Jahre zur Koi-Historie recherchiere, kann ich zum aktuellen Thema noch eine kleine Randnotiz hinzufügen. Im Jahre 1904 reiste der deutsche Zoologe Franz Theodor Doflein nach Japan, um dort Untersuchungen zur Tiefseefauna durchzuführen. Diese Reise nutzte der bekannte „Fischdoktor“ Bruno Hofer aus München, um einen Tauschhandel mit dem Leiter des Kaiserlichen Fischereiinstituts in Tokio, Shinnosuke Matsubara, umzusetzen. Doflein sollte Aischgründer Karpfen (stammten aus Erlangen) und Edelkrebse in Japan abliefern. Die 20 Krebse starben bereits bei der Fahrt übers Mittelmeer, von den 40 Karpfen kamen 7 lebend in Tokio an und spielten später eine große Rolle bei der Koizucht. Doflein erhielt im Gegenzug „mehrere Körbe mit Japanischen Schnappschildkröten“, da Hofer sehr an diesem Wirtschaftszweig interessiert war und die Schildkrötenzucht auch in Deutschland etablieren wollte. Es ist aber nicht ganz klar, ob die 1913 in Wielenbach ausgesetzten Tiere direkte Nachkommen dieser Exemplare waren.
Mit besten Grüßen,
Manuel Thiele