Wissen Sie, wie viele Schlangenarten in Deutschland natürlich vorkommen? Richtig: es sind fünf Arten, vier ungiftige und eine giftige. Drei dieser Arten sind relativ häufig: die Ringelnatter, die Schlingnatter und die Kreuzotter. Eine Art, die früher sehr selten war, breitet sich aufgrund der Klimaerwärmung in jüngster Zeit aus: die Äskulapnatter. Doch die seltenste unserer einheimischen Schlangen, die Würfelnatter, ist in Deutschland extrem selten und bedroht.
Bevor wir uns dem eigentlichen Gegenstand des Interesses zuwenden, noch kurz ein paar Worte zu den anderen Schlangenarten. Die Ringelnatter (Natrix natrix), bei uns in zwei Unterarten vorkommend, mag feuchte Lebensbereiche und ernährt sich am liebsten von Fröschen. Außerdem frisst sie Molche, Fische und gelegentlich auch große Regenwürmer. Die Schlingnatter (Coronella austriaca) ist ein Bewohner trockener Böschungen. Sie frisst vorzugsweise Eidechsen, manche Populationen fressen aber auch nestjunge Mäuse oder Blindschleichen. Die Äskulapnatter (früher Elaphe longissima, jetzt Zamenis longissimus) ist ein Mäusefresser und mag warme Wälder, Obstgärten, Weinberge etc. Hier finden Sie einen ausführlichen Bericht über die schöne Schlange: https://www.aqualog.de/blog/zamenis-longissimus-europas-heilige-schlange/
Die Kreuzotter (Vipera berus) schließlich, unsere einzige Giftschlange, mag es feucht und relativ kühl. Sie ist die am weitesten nach Norden vordringende Schlangenart überhaupt. Sie frisst hauptsächlich Mäuse, manchmal auch Waldeidechsen (Zootoca vivipara).
Die Würfelnatter ist weit verbreitet
In Deutschland sind alle Reptilien- und Amphibienarten mehr oder weniger gefährdet. Die extrem dichte Besiedlung unseres Landes durch den Menschen lässt den meisten Arten einfach nicht genug Lebensraum. Schlangen haben es nochmal schwerer als die anderen Arten, denn viele Menschen fürchten sich vor ihnen. Auch wenn die Zeiten, in denen jede Schlange totgeschlagen wurde, glücklicherweise vorbei sein dürften, so bringen ihnen die meisten Menschen doch keine Sympathie entgegen. Betrachtet man jedoch das Gesamtareal der Würfelnatter, so stellt man fest: diese Schlange hat ein gewaltiges Verbreitungsgebiet! Es gibt sie in Deutschland, der Schweiz, Österreich, Kroatien (inklusive einiger adriatischen Inseln), Slowenien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Mazedonien, Serbien, Italien, Tschechien, Polen, der Slowakei, Russland, Albanien, Rumänien, Moldawien, Bulgarien, Ungarn, der Türkei, Griechenland (inklusive Kreta, Lesbos, Samos, Korfu, Kithira, Serifos, Euböa, Tinos), Zypern, Afghanistan, der Ukraine, Armenien, Georgien, Aserbeidschan, Kasachstan, Turmenistan, Tajikistan, Usbekistan, Kirgisistan, Pakistan, dem Iran, dem Irak, Syrien, Jordanien, dem Libanon, Ägypten, Israel und Nordwest-China. Auf der für die ganze Welt geltenden Roten Liste der bedrohten Tierarten wird die Art darum auch nur als ”least concern” (= kein Grund zur Sorge, also „nicht gefährdet“) geführt. Warum ist sie denn dann in Deutschland nur so selten?
Eine erfolgreiche Art stößt an ihre Grenzen
Tatsächlich ist die Würfelnatter insgesamt als Art sehr erfolgreich und breitet sich auch ständig aus. In Deutschland hat sie – klimatisch bedingt – den absoluten Außenposten erreicht, in dem sie noch existieren kann. Sie war hier nie sehr häufig und kam immer nur in klimatisch besonders begünstigten Gebieten vor, die übrigens allesamt im heutigen Bundesland Rheinland-Pfalz liegen. Hier gibt es noch kleine Populationen in der Lahn und der Mosel, die meisten Tiere gibt es in der Nahe; im Rhein ist die Art wohl schon vor hundert Jahren ausgestorben. Es ist für den Fortbestand der Art in Deutschland besonders bedenklich, dass die vergleichsweise winzigen Vorkommen (nur wenige hundert Exemplare in Lahn und Mosel, mehrere hundert in der Nahe) auch noch voneinander isoliert sind, so dass ein genetischer Austausch nicht stattfinden kann bzw. eine Zuwanderung aus benachbarten Populationen nicht mehr möglich ist. Tritt in einem der Teilareale der Art eine größere Katastrophe auf (Chemieunfall, eine Seuche unter den Schlangen, ungünstige Witterung über mehrere Sommer), so kann das das Erlöschen der betreffenden Population zur Folge haben.
Kein Mist + keine Lohe = keine Würfelnattern
Früher, in den 1880er Jahren, wurden Würfelnattern auch gefangen und tot (als biologisches Anschauungsmaterial in Spiritus) oder lebendig (für 50 Pfennig bis 3 Mark, je nach Größe) in Zoohandlungen für die Terrarienhaltung verkauft. Das war für die auch damals kleinen natürlichen Bestände sicher nicht gut, doch so richtig schlecht ging es der Würfelnatter erst in den ”modernen”, aufgeräumten Zeiten. Bereits 1918-1923 wurde von den alten Terrarianern ein massiver Rückgang der Würfelnatter-Populationen durch Umweltzerstörung beklagt und ein Artenschutzgesetz gefordert. Die Legsteinmauern nahe warmer Quellen, einst perfekter Aufenthaltsort für die Schlangen, wurden verputzt. Das Gerbergewerbe, in dem zum Gerben des Leders so genannte Gerberlohe (das ist zerkleinerte Rinde von Eichen und Fichten, sowie Eichenlaub) verwendet wurde, gibt es heute praktisch nicht mehr. Die großen Haufen der Gerberlohe dienten den Würfelnattern aber als wichtiger Eiablageplatz. Überwintert haben die Tiere hier auch. Ein zweiter, sehr wichtiger Eiablageplatz für die Würfelnatter sind Pferdemisthaufen. In dem warmen, feuchten Mist entwickeln sich die Eier perfekt. Heute hat aber niemand mehr Pferdekarren, man fährt Auto. In Auspuffabgasen können sich Reptilieneier aber nicht entwickeln. Schließlich sind die Flussufer zu aufgeräumt. Die Schlangen, die das Wasser zur Überwinterung verlassen, müssen über offenes Gelände zu ihren Winterquartieren (wenn es diese Winterquartiere denn noch gibt) wandern, weil die ausgedehnten Schilfgebiete, die einst die Flussufer säumten, vernichtet wurden. Die gute Nachricht ist: durch umsichtigen Artenschutz, der vor allem die Anlage von Pferdemisthaufen an geeigneten Stellen beinhaltet, haben die Würfelnattern in Deutschland derzeit stabile Populationen.
Würfelnattern im Terrarium
Selbstverständlich darf man unter keinen Umständen Würfelnattern in Deutschland fangen und in das Terrarium setzen. Das wäre unverantwortlich und ist auch verboten. Da Würfelnattern leicht zu züchten sind, gibt es sie aber für wenig Geld als Nachzuchten zu kaufen. Man kann sie getrost als ideale Wassernattern für das Aqua-Terrarium bezeichnen. Würfelnattern werden nur 60-90 cm (extrem seltene Ausnahme: 130 cm) groß, sind ungiftig und kaum aggressiv und verlassen das Wasser nur zur Eiablage, zur Überwinterung und um sich zu sonnen. In der Natur jagen Würfelnattern am liebsten zwischen großen Kieseln. Man kann das Terrarium sehr schön nach dem Vorbild der Natur einrichten, indem man eine ruhige Flussbucht mit groben Kieselsteinboden nachstellt. In der Praxis kann der Landteil relativ klein ausfallen. Ein absolut trockenes Plätzchen sollte aber immer vorhanden sein. Zur Aufzucht von Jungtieren genügt schon eine schwimmende Insel aus dicker Korkrinde als Landteil. Über dem Landteil installiert man die Beleuchtung; an der wärmsten Stelle sollten 35°C erreicht werden. Hochträchtige Weibchen setzt man zur Eiablage besser in ein anderes Terrarium um (s.u.). Das entspricht den natürlichen Gegebenheiten, auch in der Natur müssen die Weibchen zu den Eiablageplätzen wandern. Der Versuch, im normalen Pflegeterrarium einen Landteil zu basteln, auf dem die Weibchen optimale Legebedingungen finden, endet meist im Desaster, weil entweder der Landteil versumpft oder der Wasserteil durch Erde, verrottendes Pflanzenmaterial etc. stark verschmutzt wird. Besser baut man den Landteil als Legesteinmauer, dann kann nichts passieren und eine solche Mauer sieht auch schön aus.
Nicht nur freitags Fisch
Würfelnattern fressen praktisch ausschließlich Fisch. Am günstigsten ist selbstverständlich das Verfüttern lebender Futterfische passender Größe. Das hält den Jagdtrieb wach und gleichzeitig erhalten die Schlangen alle lebensnotwendigen Nährstoffe, Vitamine, etc. Aber die Beschaffung lebender Futterfische kann problematisch sein, glücklicherweise fressen Würfelnattern auch Tiefkühlfisch. Ideal sind Stinte (Osmerus eperlanus), die als ganze Fische, also mit Innereien, als Tierfutter angeboten werden. Fischfilet sollte man nur im absoluten Notfall verfüttern. Dauerhaft damit gefütterte Schlangen werden krank. Gefüttert wird 2-3 mal pro Woche.
Zucht
Die Würfelnattern paaren sich im Terrarium gewöhnlich wenige Wochen nach der Winterruhe. Da diese Schlangenart vollkommen friedlich ist, kann man sie gut ganzjährig in Gruppen oder paarweise pflegen. Sind die Weibchen hochtragend und wollen legen, setzt man sie in ein gesondertes Eiablage-Terrarium um. Man wird im Allgemeinen weder Pferdemist noch Kompost im Zimmerterrarium als Eiablagesubstrat zur Verfügung stellen wollen, beides müffelt nämlich. Es geht aber auch ganz gewöhnliche Blumenerde (die gibt es auch in Bio), die man 15-20 cm hoch einfüllt. Das Terrarium stellt man auf eine Heizmatte, die man auf 30°C einstellt. Die Inkubationszeit der 5-25 Eier beträgt ca. 40-45 Tage bei 25-27°C, frisch geschlüpfte Jungschlangen sind etwa 23 cm lang.
Überwinterung
In Deutschland, wo die klimatische Verbreitungsgrenze der Art erreicht ist, sind die Würfelnattern oft nur Ende Mai bis Ende September aktiv. Der Rest des Jahres ist für sie zu kühl. In anderen Teilen ihrers riesigen Artareals sind Würfelnattern aber ganzjährig aktiv. Da die exakte Herkunft der Terrarienstämme meist nicht bekannt ist, genügt es, eine milde Winterruhe durchzuführen. Man schaltet dazu zunächst einfach die Beleuchtung aus, die ja im Terrarium gleichzeitig die Hauptwärmequelle dar stellt. Es ist wichtig, dass die Tiere jetzt Kurztagbedingungen (weniger als 12 Stunden Tageslicht) bekommen. Dann kann man sie nach ca. 1 Woche einwintern. Eine Überwinterungstemperatur zwischen 10 und 15°C genügt, wer keinen so kühlen Keller hat, kann die Schlangen aber auch im Kühlschrank überwintern.
Frank Schäfer
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