Algen sind in der Aquaristik ein Thema, das ungefähr so erschöpfend zu diskutieren ist wie das Wetter. Immer kann man sich darüber irgendwie auslassen und Wetter hat schließlich jeder. So ist das auch mit den Algen. Die eine oder andere Algenart wächst in jedem Aquarium. Viele Aquarianer stört das und sie suchen Fische, die diese Algen fressen. Mit der Siamesischen Rüsselbarbe und der Gestreiften Saugbarbe – beide kommen aus Thailand zu uns – haben viele Aquarianer gute Erfahrungen gesammelt.
Farblich ähneln sich die beiden Arten enorm und sie wurden und werden daher immer wieder miteinander verwechselt. Man kann sie aber an einigen Farbmerkmalen leicht auseinanderhalten. Bei der Siamesischen Rüsselbarbe reicht der schwarze Mittelstreifen bis weit in die Schwanzflosse hinein, bei der Gestreiften Saugbarbe hingegen endet dieses Längsband immer am Ansatz der Schwanzflosse. Die Rückenflosse ist bei der Siamesischen Rüsselbarbe immer vollkommen durchsichtig und farblos, bei der Gestreiften Saugbarbe hingegen (wenn auch ganz zart und pastellfarben) gestreift. Schließlich gibt es noch ein anatomisches Merkmal, das eine Unterscheidung ermöglicht: die Siamesische Rüsselbarbe hat nämlich zwei Paar gut entwickelte Barteln, ein Paar an der Nase und ein Paar in den Mundwinkeln, während die Gestreifte Saugbarbe nur ein paar Barteln in den Mundwinkeln besitzt, jedoch keines an der Nase.
Die wissenschaftlichen Namen
Wissenschaftliche Namen haben weltweite, universelle Gültigkeit. Jede Tierart trägt nur einen einzigen gültigen wissenschaftlichen Namen. Wurde eine Art – aus welchen Gründen auch immer – mehrfach beschrieben, so hat nur der älteste Name Gültigkeit, die anderen sind so genannte ungültige Synonyme. Einen deutschen Namen kann sich dagegen jeder selbst ausdenken, da gibt es keinerlei Regeln. Zudem hat jede Art viele verschiedene Populärnamen. Im englischen Sprachgebrauch heißt die Siamensische Rüsselbarbe z.B. „Flying Fox“, also „Fliegender Fuchs“ (der gleiche Name wird aber auch für Epalzeorhynchos kalopterum verwendet), die Gestreifte Saugbarbe hingegen „Stonelapper“, also „Steinablederer“. Die sehr unterschiedlichen Populärnamen führen immer wieder zu lustigen deutschen Synchronfassungen von ursprünglich englisch-sprachigen Naturfilmen, wenn die Synchron-Redakteure sich nicht mit Fischen auskennen. Daran, dass Welse im deutschen Fernsehen meist als „Katzenfische“ bezeichnet werden (weil sie auf Englisch „catfish“ heißen) hat man sich ja schon gewöhnt… Diese Probleme hat man mit wissenschaftlichen Namen nicht. Die Aussprache lateinischer oder griechischer Worte in fremden Ländern mag gewöhnungsbedürftig sein, aber über kurz oder lang gelingt eine Verständigung.
Siamesische Rüsselbarbe und Gestreifte Saugbarbe
Einer der bedeutendsten Erforscher der Fische von Thailand war Hugh McCormick SMITH (1865-1941). 1945 erschien sein Buch „The fresh-water fishes of Siam, or Thailand“, das bis heute eines der wichtigsten und wertvollsten Bestimmungsbücher für Süßwasserfische der Region ist. Darin werden die Gestreifte Saugbarbe als Garra taeniata und die Siamesische Rüsselbarbe (oder eine nahe verwandte Art, dazu gleich mehr) als Epalzeorhynchos siamensis bezeichnet. Beide Arten hatte SMITH selbst bereits 1931 als neue Arten beschrieben. Als die ersten Algenfresser um 1962 erstmals aus Thailand in Europa eingeführt wurden, bestimmte man sie folgerichtig nach SMITH. Leider hatte SMITH übersehen, dass seine Art Garra taeniata bereits 1884 von Gilbert TIRANT als Garra cambodgiensis beschrieben worden war. Da dieser Name eindeutig älter ist, hat er Gültigkeit über G. taeniata, einen Namen, der nicht mehr benutzt werden sollte. Doch leider findet man im Zoofachhandel oft immer noch die Gestreifte Saugbarbe unter der falschen Bezeichnung Garra taeniata, weil dieser Name in den meisten älteren Aquarienbüchern benutzt wurde.
Vertrackt: die Siamesischen Rüsselbarbe
Bei dieser Art (sie wird auch manchmal als Grünflossige Rüsselbarbe bezeichnet) sind die Dinge sogar noch etwas komplizierter. Sie wurde nämlich in eine andere Gattung überführt und hieß nun Crossocheilus siamensis. Solche Gattungswechsel sind den Aquarianern ein Greuel, sie kommen jedoch immer wieder einmal vor und sind, weil sie einen Erkenntniszugewinn repräsentieren, manchmal einfach unumgänglich. Im Jahr 2000 stellte der Fischkundler Maurice KOTTELAT zudem eine große Übereinstimmung von Crossocheilus siamensis mit einer Art fest, die bereits 1823, also über 100 Jahre vor C. siamensis, von Johan Coenraad van HASSELT als Crossocheilus oblongus beschrieben worden war und erklärte die beiden Arten als synonym zueinander. So wird derzeit die Siamesische Rüsselbarbe meist als Crossocheilus oblongus bezeichnet. Leider ist es aber nicht sehr wahrscheinlich, dass es lange so bleiben wird. In einer Studie über die Fische des Batang Hari Flusses auf Sumatra stellten TAN Heok Hui und Maurice KOTTELAT 2009 anlässlich der Beschreibung einer neuen Rüsselbarbe aus diesem Fluss (nämlich Crossocheilus obscurus) fest, dass es offenbar eine ganze Reihe unterschiedlicher Arten von Rüsselbarben gibt, die sich äußerlich sehr ähnlich sehen. Darunter ist auch Crossocheilus oblongus. Diese Art wurde ursprünglich von Java beschrieben. Leider weiß zur Zeit niemand, wie die Rüsselbarben von Java lebend aussehen, denn an den fast 200 Jahre alten Museumsexemplaren von C. oblongus lassen sich wichtige Details nicht mehr erkennen und für die Aquaristik werden keine Rüsselbarben von Java exportiert. Eines steht aber jetzt schon fest: SMITH schrieb, dass C. siamensis nur 1 Bartelpaar aufweist und untersuchte sein Exemplar diesbezüglich sogar sehr genau, weil die einzige weitere ihm 1931 bekannte Epalzeorhynchos-Art (E. kalopterum; Epalzeorhynchos ist neutrum, darum muss der Artname wenn er – wie in diesem Fall – ein Adjektiv ist, auf die lateinische Neutrum-Endung -um enden) nämlich über zwei Bartelpaare verfügt und dieses Merkmal sogar zur Gattungsdiagnose für Epalzeorhynchos herangezogen wurde. Die in unseren Aquarien gepflegten Siamesischen Rüsselbarben haben aber, wie man auf den Fotos klar erkennen kann, zwei Bartelpaare! Zumindest derzeit deutet vieles darauf hin, dass die Siamesischen Rüsselbarben, die zu hunderttausenden in den Aquarien aller Welt schwimmen, einer wissenschaftlich neuen, noch unbeschriebenen Art angehören!
Unwichtige Details?
Viele werden jetzt sagen, das sei doch Krümelleserei. Zwei oder vier Barteln, spielt das eine Rolle? Muss man deshalb Namen ändern und alles kompliziert machen? Nun, das ist ganz grundsätzlich eine Frage der Sichtweise. Tiger und Löwe unterscheiden sich in vergleichsweise viel weniger Merkmalen voneinander, nämlich nur in der Fellfarbe und dadurch, dass männliche Löwen eine Mähne entwickeln. Einen abgezogenen Tiger kann kein Mensch von einem abgezogenen Löwen unterscheiden, wenn man DNS-Analysen außen vor lässt. Und trotzdem wird niemand ernsthaft daran zweifeln, dass Löwe und Tiger zwei unterschiedliche Arten sind. Die Erforschung kleiner Süßwasserfische ist unendlich schwieriger als die von großen Säugetieren. Ohne die Aquaristik wüsste man von den meisten Fischarten gar nichts oder nur, dass es sie gibt. Leider sterben durch die vom Menschen verursachten Umweltveränderungen täglich Tier- und Pflanzenarten aus. Ihr Verlust ist gleichzusetzen mit der Zerstörung eines großen Kunstwerkes, etwa der Mona Lisa. Selbstverständlich gibt es von der Mona Lisa unzählige Reproduktionen; aber das originale Kunstwerk ist und bleibt einmalig. So verhält es sich auch mit Tierarten. Auch wenn sie äußerlich vielleicht unspektakulär auf uns wirken, sind es doch Meisterwerke der Natur und jede Art ist auf ihre besondere Weise ganz einzigartig. Die Artenvielfalt zu erforschen, bevor es zu spät ist, ist darum eines der wichtigsten Anliegen unserer Zeit. Soweit es die Süßwasserfische betrifft sind dabei Aquarienbeobachtungen nahezu unumgänglich.
Pflege und Zucht
Die Pflege der Siamesischen Rüsselbarbe und der Gestreiften Saugbarbe ist einfach. Beide Arten werden um 15 cm lang und sollten in Gruppen gepflegt werden. Die Wasserzusammensetzung (pH-Wert und Härte) ist von untergeordneter Bedeutung, die Fische sind diesbezüglich sehr anpassungsfähig. Als Algenfresser sind bei Garra cambodgiensis nur Jungtiere sehr fleißig, im Alter fressen die Tiere lieber „normales“ Fischfutter, während die Siamesische Rüsselbarbe zeitlebens ein fleißiger Algenvertilger ist. Da beide Arten eine Rangordnung ausbilden und damit ein sehr spannendes Sozialverhalten zeigen, kann ihre Pflege im Aquarium auch dann empfohlen werden, wenn es gar nicht so sehr um Algenbekämpfung geht. Hierzulande werden die Tiere nicht gezüchtet, es ist wirtschaftlicher und auch umweltschonender, sie aus Thailand zu importieren. Grundsätzlich haben sich Garra-Arten als relativ unkompliziert gezeigt, wenn es um die Zucht geht. Sie laichen nach Barben-Art über grobem Kies ab und betreiben keine Brutpflege. Crossocheilus-Arten wurden hingegen, wie auch die Vertreter der Gattung Epalzeorhynchos, bislang gezielt nur nach Hormoninjektionen, wie man sie bei Speisefischen (etwa Regenbogenforellen) anwendet, zur Nachzucht gebracht, da diese Tiere in der Natur vermutlich Laichwanderungen durchführen und im Aquarium daher nur schwer zum spontanen Laichen zu stimulieren sind. Es kommt aber im Aquarium immer wieder einmal zu zufälligen Ablaichereignissen. Eine Brutpflege üben auch diese Fische nicht aus. Bei Garra cambodgiensis unterscheiden sich Männchen und Weibchen durch die Kopfform, bei Crossocheilus oblongus bzw. der Siamesischen Rüsselbarbe sind die Weibchen nur an der etwas fülligeren Gestalt erkennbar (siehe Bilder).
Frank Schäfer
Literatur
Kottelat, M. (2000): Diagnoses of a new genus and 64 new species of fishes from Laos (Teleostei: Cyprinidae, Balitoridae, Bagridae, Syngnathidae, Chaudhuriidae and Tetraodontidae). Journal of South Asian Natural History v. 5 (no. 1): 37-82.
Smith, H. M. (1931): Descriptions of new genera and species of Siamese fishes. Proceedings of the United States National Museum v. 79 (no. 2873): 1-48, Pl. 1.
Smith, H. M. (1945): The fresh-water fishes of Siam, or Thailand. Bulletin of the United States National Museum No. 188: i-xi + 1-622, Pls. 1-9.
Tan, H. H. & M. Kottelat (2009): The fishes of the Batang Hari drainage, Sumatra, with description of six new species. Ichthyological Exploration of Freshwaters v. 20 (1): 13-69.
Lexikon
Crossocheilus: bedeutet „Fransenlipper“
oblongus: bedeutet „länglich“
Garra: nach einem in Bengalen üblichen Namen für eine der Arten
Epalzeorhynchos: bedeutet „mit kräftigem Rüssel“
taeniata: bedeutet „gestreift“
siamensis: bedeutet „aus Siam stammed“; Siam ist ein älterer Name für Thailand.
kalopterum: bedeutet „mit schönen Flossen“
cambodgiensis: bedeutet „aus Kambodscha stammend“.
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