
Sechzig-Null: Das ist die Flurnummer des 0,25 ha großen Stückes Grünland, das ich kürzlich pachten konnte. Ein Traum wurde wahr. Sechzig-Null liegt genau in der Gegend, in der ich aufgewachsen bin. Dort streunte ich als Junge herum und fing und beobachtete alles mögliche und unmögliche Viehzeug: Frösche, Eidechsen, Kleinvögel, Spinnen, Heuschrecken, Schmetterlinge, Libellen, Käfer, Schnecken… Auch ein kleiner Bach durchfließt das Gelände. Gegenwärtig ist er kaum mehr als ein Schlammgerinne, verfüllt von jahrelangen Laubabwürfen der großen Schwarzpappeln, die für das Wiesental so charakteristisch sind. Ich liebe das Rauschen dieser Bäume…

Schwarzpappel-Gruppe auf Sechzig-Null
Auf Sechzig-Null gibt es leider nur noch einen Bruchteil der früher vorhandenen Arten. Seit Jahren wird das Land nicht mehr bewirtschaftet. Dadurch ging die Artenvielfalt enorm zurück. Das Land verwandelt sich in eine Hochstaudenflur, es kommen kaum noch Licht und Wärme in die bodennahen Bereiche. Reptilien verschwinden – wie immer – zuerst. Große Brennesseln und Indisches Springkraut dominieren neben Schilf auf den etwas feuchteren Böden und zeigen hohe Stickstoffwerte im Boden an. Auch die Kanadische Goldrute wuchert fröhlich vor sich hin, dazu kommen größere Bestände von Gemeinem Beifuß und eine Brombeerhecke, die das Märchen vom Dornröschen zur blutigen Realität werden lässt.

Das Grünland 60-0: es gibt viel zu tun.
Seltsamerweise haben sich bisher kaum Baumsämlinge angesiedelt. Ich vermute, dass die Rehe sie verbeißen. Wildschweine zeigen auch eine deutliche Presenz. Wo auch immer ich mit der Sense durchgehe, sieht es am nächsten Tag aus, wie auf dem Handgranaten-Wurfstand. Die Wildschweine durchwühlen das gesenste Gelände mit Wonne nach Regenwürmen und Engerlingen. Einerseits schätze ich diese Tätigkeit der Borstenkittel, denn auf den so offengelegten Böden können viele einjährige Pflanzen keimen, die jahrelang unter dem Filz alter Gräser und Brennesseln auf ihre Chance warteten, andererseits fürchte ich, dass Sus scrofa auch vor den von mir angelegten Pflanzungen, Freilandterrarien und vor allem den vielen geplanten kleinen Teichen nicht halt machen wird.

Zebra-oder Wespenspinne, Argiope bruennichi, im Netz. Gut zu erkennen: die Netzstabilimente auf 12 und 6 Uhr.
Nun ja. Man wird sehen, wie sich alles so entwickelt. Vieles kann, nichts muss. Auch jetzt gibt es auf Sechzig-Null ja tolle Tiere, darunter die Zebra- oder Wespenspinne (Argiope bruennichi), die ich schon als Knabe bestaunte (und vor der ich mich ein wenig gruselte). Damals, vor fast 50 Jahren, begann diese auffällige Spinne gerade damit, ihr Areal zu erweitern. Bei uns im Rhein-Main-Gebiet gab es sie schon immer, aber im Rest Deutschlands war sie eine Rarität. Gegenwärtig gibt es sie in Deutschland fast flächendeckend, außerdem im gesamten südlichen und gemäßigten Europa und in Nordafrika. Warum diese Spinne so expandiert ist unbekannt. Meist wird das in Bezug zur Klimaerwärmung gesetzt, bewiesen ist aber nichts dergleichen; zudem erklärt die Klimaerwärmung nicht die Expansion der Art in, auch in den letzten Jahrhunderten schon ohnehin warmen, Gebieten.

Die Männchen der Wespenspinne überleben die Paarung in aller Regel nicht.
Im September/Oktober, findet man bei uns nur noch alte Weiber der Zebraspinne. Sie ist gewöhnlich einjährig, überwintert als frisch geschlüpfte Jungspinne in Geschwistergruppen in den auffälligen glöckchenartigen Kokons. Die Männchen mussten schon früher dran glauben. Sie sterben fast immer bei der Paarung; kaum eine Spinne ist so kannibalisch wie die Wespenspinne. Die männlichen Wespenspinnen haben zudem eine Form der Selbstverstümmelung entwickelt, die Homo-sapiens-Männchen den Angstschweiß auf die Stirn treibt: noch während der Paarung reißen sie ihr Geschlechtsorgan ab (bei Spinnen ist das ein Kiefertaster). Sie verstopfen so den Genitaltrakt des Weibchens, wodurch eine Bepaarung durch ein weiteres Männchen unmöglich wird.

Weibchen der Wespenspinne mit einem Kohlweißling als Beute. Die Hauptbeute der Wespenspinne stellen Heuschrecken dar.
Argiope hat ein sehr auffälliges Netz, in das ein so genanntes Stabiliment eingewebt ist. Daran erkennt man sofort das Netz der Zebraspinne, selbst wenn die Achtbeinerin gerade nicht in der Netzmitte sitzt, wo sie sich allerdings üblicherweise aufhält. Hauptnahrung der Wespenspinne sind Heuschrecken. Verwechslungsarten gibt es in Deutschland nicht. Der Biss der Wespenspinne ist für Menschen völlig harmlos (höchstens Allergiker könnten ein Problem damit bekommen, aber darüber wurde noch nie berichtet), gewöhnlich durchdringen die Klauen die menschliche Haut erst gar nicht, die Spinne ist auch nicht aggressiv.
Man kann Argiope bruennichi, genau wie andere Radnetzspinnen, am besten in einem Rahmenterrarium pflegen. Aus handbreiten Latten baut man ein Rechteck von vielleicht 60 x 60 cm. Je nach Spinnenart kann man in den Rahmen Bauhilfen (Äste, Gräser etc.) einbringen; bei der Zebraspinne, die ihr Netz zwischen Gräsern relativ bodennah baut, ist es wichtig, für ausreichende Luftfeuchte zu sorgen. Am einfachsten geht das, indem man ordentlich feuchte Erde am Boden einbringt. Als Futter dienen Heuschrecken oder Heimchen. Am besten fängt man sich ein Weibchen im Spätsommer, das dann sicher befruchtet ist. So kann man schön den Bau des Kokons – ein Weibchen kann bis zu drei davon bauen – beobachten. Wieder aussetzen braucht man das Mädel nicht, sie stirbt ohnehin im Winter, aber es ist schon sinnvoll, den oder die Kokons am Fundort auszubringen, denn die Aufzucht der Jungtiere ist ein mühseliges Geschäft, das man sich wohl nur antut, wenn man speziellen Fragestellungen nachgehen will.
Frank Schäfer
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