Quallen kennen die meisten Menschen nur aus dem Meer. Hier sind diese Tiere durchaus unbeliebt, denn manche Arten können mit ihren Fangfäden, an denen Nesselzellen sitzen, schwere Vergiftungen bis hin zum Tode verursachen. Kaum jemand weiß aber, dass es auch im Süßwasser Quallen gibt. Die sind allerdings vollkommen harmlos für den Menschen.
Erstmals erschien die Süßwasserqualle in Europa im Jahr 1880 im Regent´s Park in London. Hier tauchte das zarte, nur etwa 2 cm im Durchmesser erreichende Tier in einem Becken für tropische Seerosen auf. Zu dieser Zeit war das Interesse an Tieren viel größer als heute und die Süßwasserqualle machte weltweit Schlagzeilen. Noch im Jahr der Entdeckung wurde die bis dahin erste und einzige bekannte Süßwasserqualle wissenschaftlich beschrieben und zwar gleich zweimal: als Craspedacusta sowerbii Lankester, 1880 und als Limnocodium victoria Allmann, 1880. Der erste Name erschien jedoch etwas früher und hat darum Gültigkeit. Die Süßwasserqualle heißt also wissenschaftlich Craspedacusta sowerbii.
Detektivarbeit
Aber wo kam dieses Tier so plötzlich her? Es war schon damals bekannt, dass Quallen nur die der sexuellen Vermehrung dienende Erscheinungsform eines Polypen sind. Quallen gehören zu den Nesseltieren, ihre nächsten Verwandten sind die Seeanemonen und Korallen. Die eigentliche Erscheinungsform einer Qualle sieht darum wie eine kleine Seeanemone aus. Man kann das vielleicht am besten mit Pilzen vergleichen. Der eigentliche Pilz ist ein Geflecht von Fäden, die unterirdisch leben. Was wir oberirdisch sehen und zu leckeren Pilzgerichten verabeiten (wenn es sich nicht gerade um Giftpilze handelt) sind nur die Fruchtkörper, nicht die Pilze selbst.
Man vermutete also schon von Anfang an, dass die Qualle in der Polypenform, angeheftet an Seerosen, in das Gewächshaus gelangte. Da das Gewächshaus im Regent´s Park der Königin aller Seerosen, der Victoria regia aus Südamerika gewidmet war (darum auch der Name Limnocodium victoria), vermutete man die Urheimat der Süßwasserqualle in Südamerika. (Wer mehr über diese größte Seerose der Welt wissen möchte, erfährt das hier: https://www.aqualog.de/blog/die-groesste-und-die-kleinste-unter-einem-dach/)
Der Polyp wird entdeckt
Man suchte also nach einem unbekannten Polypen im Seerosenbecken des Regent´s Parks und wurde tatsächlich auch fündig. Ein winziger, nur 2 mm großer Polyp wurde entdeckt. Er sieht ein wenig wie ein Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Männchen mit Strubbelkopf aus. Manchmal vereinigen sich 2 bis 4 Polypen zu einer kleinen Kolonie, die dann 5-8 mm groß wird. Die Qualle entsteht, indem sich der Kopf des Polypen zu einer kleinen Kugel aufbaut, die, wenn sie sich vom Polypen ablöst, unten offen ist, also eine Glockenform aufweist. Im Laufe des Wachstums wird die Glocke zu einer immer flacheren Scheibe. Die fertige, ausgewachsene Qualle – ein anderes Wort dafür ist Meduse – ist schließlich ca. 2 cm breit. 1885 fand man den Polypen auch in Philadelphia, erkannte aber nicht, dass es sich um den Polypen von Craspedacusta sowerbii handelte und beschrieb ihn als neue Art, Microhydra ryderi. Die ersten Quallen wurden erst 12 Jahre später, im August 1897 in Philadephia gefunden.
Weltweite Verbreitung
Heutzutage findet man die Süßwasser-Meduse auf allen Kontinenten der Welt mit Ausnahme der Antarktis. Dabei ist nach wie vor unverstanden, wieso sich diese Art so massiv ausbreitet. Immerhin scheint das Rätsel um die ursprüngliche Herkunft geklärt. Das Tier stammt mit einiger Sicherheit aus dem Jangtse-Einzug in China. Dort leben auch 2-3 weitere Arten der Gattung Craspedacusta. Über die wirklich existierende Artenzahl von Süßwasser-Medusen herrscht Unklarheit. Wissenschaftlich beschrieben sind über 20 Arten von Süßwasserquallen, doch sind davon wohl nur 3-5 Arten Craspedacusta und 2-6 Arten Limnocnida gültig. Letztere Gattung kommt übrigens häufig im Tanganijkasee vor. Doch zurück zu Craspedacusta sowerbii. 1905 tauchte sie in Deutschland auf (bei München), 1969 in Schweden, 2002 in Litauen. Auffällig sind allerdings nur die Medusen, der winzige Polyp wird wohl fast immer übersehen.
Quallen nur bei Hitze
Man hat die Biologie der Süßwasser-Meduse inzwischen so intensiv studiert, dass man weiß, warum das Quallenstadium nur so selten und dann meist überraschend auftritt. Die Medusen entwickeln sich nämlich nur bei Wassertemperaturen ab 25°C. Das ist in unseren Breiten keineswegs jedes Jahr gegeben. Das Polypenstadium kann also schon viele Jahre in einem Gewässer gelebt haben, bevor es in einem warmen Sommer plötzlich zur Quallenbildung kommt. Das erklärt auch, warum sich Süßwasserquallen manchmal in Warmwasseraquarien ”aus dem Nichts heraus” entwickeln.
Nur Weibchen
Eigentlich dient das Medusen-Stadium der sexuellen Vermehrung. Männliche und weibliche Quallen geben ihre Geschlechtsprodukte frei ins Wasser ab. Befruchtete Eier setzen sich ab und aus ihnen entwickeln sich Polypen. Die Polypen vermehren sich durch Teilung. Seltsamerweise gibt es aber zumindest in Europa nur weibliche Tiere. Eine sexuelle Fortpflanzung ist damit ausgeschlossen und offenbar sind alle Süßwasserquallenvorkommen außerhalb Chinas Klone der 1880 im Regent´s Park erstmals aufgetretenen Tiere!
Im Aquarium Süßwasserquallen kann man leicht im Aquarium pflegen. Sie fressen Artemia Nauplien und leben etwa 2-3 Wochen. Vermehren kann man sie hierzulande aber nur über die Polypen. In China hingegen gibt es ein patentiertes Verfahren zur Süßwasserquallenzucht speziell für Aquarien! Exportiert werden sie aber nicht, denn als Meduse sind sie dafür zu empfindlich.
Frank Schäfer
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Hallo, ich habe ne Frage, wo kann man denn Süßwassermedusen kaufen? Könten sie mir diese besorgen?
Hallo Lukas,
man kann diese Tiere nicht käuflich erwerben.
Die Chancen, sie in diesem warmen Sommer draußen zu finden, sind aber sehr gut.
Viele Grüße
Redaktion
Hallo Hr. Schäfer,
wir haben Craspedacusta sowerbii in unserem Teich.
Aufgrund des heißen Wetters ist jedoch keine Zooplankton mehr vorhanden.
Ich würde gerne einige Tiere im Aquarium beobachten und habe gelesen, dass die Fütterung mit Artemia Nauplien möglich ist.
Sollte ich dabei etwas Besonderes beachten? Ich denke, dass ich aufpassen sollte, dass ich so wenig wie möglich Eihüllen der Artemia „mitfüttere“.
Gibt es besondere Ansprüche an das künstliche Habitat? Steine, Pflanzen etc? Was ist bitte zu vermeiden.
Ich weiß, dass der natürliche Lebenszyklus an das Zooplankton gebunden ist und dass die Medusen, als geschlechtliche Tiere, generell nur eine kurze Lebensdauer haben.
Haben Sie wieder C.s. beobachtet und könnten Sie mir bitte hilfreiche Tipps fürs Beobachten schreiben?
Das würde mich sehr freuen!
Herzlichen Dank und freundliche Grüße
Claudia Ries
Hallo Frau Ries,
die besondere Schwierigkeit bei der Quallenpflege liegt weniger in der Ernährung, da sind Artemia-Nauplien gut geeignet (sie sollten allerdings wirklich frisch geschlüpft sein, nicht älter als 4 Stunden, da sie sonst den Dottersack zu weit aufgebraucht haben und dramatisch an Nährwert verlieren), sondern darin, dass sie über keinerlei Möglichkeiten verfügen, Hindernissen auszuweichen. Jedes Anstoßen führt zu Mikroverletzungen und schließlich zum Tod. Darum bitte keinesfalls irgendwelche Einrichtung ins Quallenbecken. Wenn Sie ernsthaft diese Tiere pflegen wollen, kommen Sie wohl um einen Aufzuchtkreisel nicht herum (schauen Sie z.B. bei http://www.aquarienbastelei.de/?page_id=660). Ich selbst habe leider keine Zeit gehabt, mich nochmals näher mit diesen faszinierenden kleinen Tieren zu befassen. Ich freue mich, wenn Sie über Ihre Erfahrungen berichten!
Viele Grüße
—
Dipl. Biol. Frank Schäfer
– editor AQUALOG –
Liebigstr. 1
63110 Rodgau
GERMANY
Hallo Herr Schäfer,
vielen Dank für die hilfreichen Informationen.
Das Verhalten der C.s. zu beobachten, ist eine Bereicherung.
Sie faszinieren mich und ich hoffe, dass ich sie noch länger beobachten kann.
Ich habe einen Polypen entdeckt und hoffe, dass sich im nächsten heißen Sommer eine neue Population zeigt.
Herzlichen Dank und viele Grüße
Claudia R.
Hallo Hr. Schäfer,
haben Sie auch beobachtet, dass einige der C.s. eine schlauchähnliche Verlängerung am 4. (Gonaden-) Mundlappen haben, an dessen Ende sich eine Luftblase befindet? Könnte es sich dabei um eine Anomalie handeln? Diese Veränderung ist bereits bei den frisch eingefangenen Tieren mit freiem Auge erkennbar. Es handelt sich um keine Luftblase, die sich durch den Difuser im Schirm „verfangen“ hat.
Ich habe bei einer Population von 40 Tieren 8 C.s. mit dieser „Mundlappen-Veränderung“. Sie ist im Mikroskop als zusammenhängende Gewebschicht mit einer Luftblase zu erkennen.
Liebe Grüße
Claudia R.
Wäre schön wenn Sie den etwas „leeren“ Wikipedia Eintrag mit Ihrem Fachwissen anreichern würden. Speziell ein Absatz zur Haltung und Vermehrung im Aquarium wäre schön. Danke