Bio-Invasoren – sind die Aquarianer verantwortlich?

Wir stehen am Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts und erleben in vielen Teilen der Erde einen Rückfall der Menschheit in die Barbarei. Archaische, brutale Formen der Religionsausübung kommen ebenso wieder in Mode, wie ein rücksichtsloses Vorgehen gegen Kulturschaffende aller Art. Im Zuge dessen werden von machtgierigen, mit enormen Geldmitteln ausgestatteten Vereinigungen auch die Tierhalter verunglimpft. Mit allen Mitteln wird immer wieder versucht, die Aquaristik und die Terraristik, ja sogar jegliche Wildtierhaltung grundsätzlich zu verbieten.

Jungtiere des Rotfeuerfisches sind wirklich wunderschöne Aquarienfische.

Rotfeuerfische – hier ein erwachsener Pterois volitans – kommen ursprünglich nur im Indo-Pazifik vor. Im tropischen Atlantik sind sie invasive Arten. Es ist nicht bekannt, ob die Feuerfische von Aquarianern ausgesetzt wurden, oder ob sie als Larven mit Ballastwasser von Frachtschiffen in den Atlantik kamen. Aber starke Interessensverbände versuchen, das Auftreten dieser invasiven Art als Vorwand für drastische Handelsbeschränkungen tropischer Aquarienfische zu nutzen.

Tier- und Pflanzenhaltung sind art­spezifische, nur dem Menschen eigene, seinen evolutionären Erfolg maßgeblich beeinflussende Handlungen. Es ist sehr un­wahrscheinlich, dass es ohne die Fähig­keit, Tiere und Pflanzen zu pflegen und zu züchten, heute noch Menschen gäbe. Während das Interesse an der Haltung von Tieren und Pflanzen vielen Menschen angeboren ist, ist es die Fähigkeit, dies auch erfolgreich durchzuführen keineswegs. Ein Mensch muss im Gegenteil alles, was dazu er­for­derlich ist, von anderen Menschen erst erlernen. Ebenso wie bildende Künste, also z.B. das Malen oder das Musizieren, sind Tier- und Pflanzenhaltung darum höchste Kultur­güter des Menschen, jegliche Behinderung derselben ist ein Verbrechen an der Menschheit. Denn wenn das Wissen um die richtige Pflege von Tieren und Pflanzen erst einmal verloren gegangen ist, dauert es unter Umständen viele Generationen, bis es wieder erworben werden kann.

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr

Was hat das alles mit Aquaristik und Terraristik zu tun? Unser schönes Hobby ist und bleibt viel mehr als „nur“ eine zutiefst sinnvolle Freizeitbeschäftigung. Ausnahms­los alles, was wir heute über die freilebenden Fische, Amphibien und Reptilien wissen, verdanken wir letztendlich Aquarianern und Terrarianern. Dabei ist es völlig unerheblich, ob diese Forschungsarbeiten von Wissenschaftlern oder Laien geleistet wurden. Mir ist kein einziger Zoologe bekannt, der nicht schon als Kind ein großes Interesse an Tieren hatte und somit letztendlich über das Hobby zur Profession fand. Und hier liegt ein großer Gefahrenpunkt in der aktuellen politischen Meinungsbildung: in der Gesellschaft werden absurde Vor­stellungen gefördert, die häusliche Pflege von Fischen, Amphibien und Reptilien (und von Viehzeug aller Art), sei moralisch verwerflich und würde „für die Freiheit geborene“ Kreaturen zu einem tristen Dasein im Gefängnis verurteilen. Dadurch wird Kindern und Jugendlichen der Zugang zu Aquarien und Terrarien von den Eltern häufig unnötig erschwert. Es ist geradezu erschütternd, mit wie wenig Kenntnissen über kaltblütige Tiere heut­zutage Kinder und Jugendliche durch das Leben gehen. Dabei sind es gerade die Kinder in ihrem angeborenen Forscherdrang, die die Fundorte von Fröschen kennen, wissen, wo es Fische gibt und an welchen Stellen Eidechsen wohnen. Dieses Wissen muss man als Kind erwerben, um als Erwachsener ein Gefühl für Umwelt- und Artenschutz entwickeln zu können. Und ja: es müssen einige arme Viecher daran glauben, damit bei Kindern ein Bewusstsein für die Zerbrechlichkeit des Lebens und für die große Verantwortung entsteht, die damit einhergeht, Lebewesen in menschlicher Obhut zu pflegen.

Die Agakröte (Bufo marinus) wurde 1935 zur Schädlingsbekämpfung nach Australien eingeführt. Seither verbreitet sie sich rasend schnell und ist eine ernsthafte Bedrohung für in Australien einheimische Arten geworden. Eine Eindämmung der Ausbreitung der Aga gelingt kaum. Es zeigt sich an ihrem Beispiel übrigens sehr deutlich, dass eine Kleintierart nicht durch Besammlung gefährdet werden kann, wenn der Lebensraum ansonsten günstig für die Art ist.

Keine falsche Romantik!

Selbst bei ansonsten vernünftigen Menschen findet man heutzutage oft die absurde Vorstellung, einem wildlebenden Tier gehe in der Natur gut. Das ist natürlich völliger Unsinn: es geht einem Tier in der Natur weder schlecht noch gut, es hat überhaupt keine Vorstellung von diesen Dingen! Ein Tier überlebt in seiner natür­lichen Umgebung oder es geht ein. Eine Wahlmöglichkeit hat es nicht. Und genau so ergeht es einem Fisch, Amphib oder Reptil im Aquarium oder Terrarium. Stimmen die Bedingungen nicht, so geht das Tier binnen kürzester Zeit ein. Stimmen die Beding­ungen, so erlebt das Tier aus seiner Subjek­tiven einen idealen Lebensraum. Vorstell­ungen von Freiheit und Unge­bunden­heit gibt es bei Tieren nicht, jeden­falls bei keinen Tieren, die jemals von einem Menschen im Aquarium oder Terrarium gepflegt wurden. Freilebende Tiere sind Unmengen von lebensbedrohenden Gefahren ausgesetzt. Tagtäglich erleben Kleintiere in freier Natur mehrfach Todesangst. Weit über 99% der Kleintiere, die in freier Natur geboren werden, sterben dort noch vor dem Erreichen der Geschlechts­reife. Und die Todesarten, die sie dabei erleiden, sind aus menschlicher Sicht so grässlich, dass man die Natur nach dem deutschen Tierschutzgesetz mit sofortiger Wirkung für alle Zeiten schließen müsste.

Das Indische Springkraut – Impatiens glandulifera – wurde 1839 aus Indien importiert und vielerorts als Zierpflanze und Bienenweide angepflanzt. Es ist eine wunderschöne, stark invasive Art.

Das Kleinblütige Springkraut (Impatiens parvi­flora) entwich 1835 aus botanischen Gärten in die freie Natur. Es gilt aber nicht als invasive Art, da es nicht in Konkurrenz zu heimischen Pflanzen tritt

Der Mensch ist das Maß aller Dinge!

Genauso falsch, wie die Forderung nach einer naturidentischen Unterbringung von Wildtieren in menschlicher Obhut, ist die Rechtfertigung von Wildtierthaltung durch das Scheinargument, den Tieren geht es in Gefangenschaft ja viel besser als in Freiheit. Beides ist Blödsinn. Eine erfolgreiche Tierhaltung ist bei einer naturidentischen Unterbringung gar nicht möglich, weil Tierhalter es sich nicht leisten können, so verschwenderisch mit Leben umzugehen, wie die Natur es tut. Und es wäre auch ethisch sehr fragwürdig, Tieren in mensch­licher Obhut bei einem aus menschlicher Sicht zumindest manchmal grausamen Über­lebens­kampf untätig zuzusehen. Der Grund für die Pflege und Zucht von Wildtieren in menschlicher Obhut ist es doch nicht, die Natur zu imitieren! Sinn und Zweck von Pflege und Zucht von Wildtieren in menschlicher Obhut ist es, Erkenntnisse zu gewinnen! Welche Erkenntnisse, ist von Pfleger zu Pfleger unterschiedlich, jeder hat seine eigenen Motivationen. Am Anfang steht sicherlich stets, dass das betreffende Tier schön oder irgendwie ansprechend aussieht und beim Menschen der Wunsch entsteht, dieses attraktive Wesen bei sich in seiner unmittelbaren Umgebung zu haben, um sich stets daran erfreuen zu können. Auf dieser Stufe bleibt wohl der größte Teil der Aquarien- und Terrarienbesitzer stehen und geht niemals die Treppe des Erkenntnis­gewinnes weiter nach oben. Dagegen ist auch überhaupt nichts einzuwenden, denn selbst für diese sehr einfache Form der Wildtierhaltung bedarf es einiger Grund­kennt­nisse, die das Verständnis für die freilebenden Arten weckt und somit einen aktiven Beitrag zum Umwelt- und Artenschutz darstellt. Für diese Menschen ist das Angebot von Standardarten im Zoofachhandel völlig ausreichend, ihnen genügen 300 Arten Zierfische und vielleicht 30 Arten Reptilien und Amphibien vollkommen. Doch einem gewissen Prozentsatz genügt das nicht. Es sind fast immer die vorhin erwähnten Menschen, die schon als Kinder eine starke Affinität zu den Kaltblütern zeigten. Sie wollen wirkliche Forschungs­arbeit leisten, die Lebensgeschichte einer Tierart erkunden, letztendlich verstehen – um es mit Goethe zu sagen – was die Welt im Innersten zusammen hält. Sie reizt es, neue Tierarten kennen zu lernen, sie zu züchten. Aus ihnen gehen Forscher hervor, die neue Arten entdecken und die in der Lage sind, Grundlagen­forschung zu leisten, die einen Artenschutz in der freien Natur erst möglich macht.

Der Sonnenbarsch – Lepomis gibbosus – ist eine Art, die als Angelfisch 1877 aus Nordamerika nach Frankreich importiert wurde. Heutzutage gilt er in weiten Teilen Europas als ”Fischunkraut” und invasive Art.

Ein freier Tierhandel muss möglich bleiben!

Damit all dieses stattfinden kann, muss ein einigermaßen freier Handel mit Wildtieren möglich sein. Selbstverständlich müssen bei diesem Handel die Belange des Arten­schutzes und des Tierschutzes berücksichtigt werden, aber man muss auch ganz klar sagen, dass noch nie auch nur eine einzige Tierart ursächlich durch den Lebendhandel ausgerottet wurde, während konservative Schätzungen (Wilson, 1992) davon ausgehen, dass bereits seit Jahrzehnten jährlich etwa 17.500 Tier- und Pflanzenarten durch vom Menschen verursachte Umweltstörungen aussterben. Bei dieser Schätzung wird von fünf Millionen existierender Arten ausgegangen, ein Viertel davon sind Pflanzen. Die gegenwärtig wahrscheinlichsten Schätzungen gehen allerdings von fünf bis 30 Millionen existierender Arten aus, die Anzahl der jährlich aussterbenden Arten könnte also leicht sechs Mal so groß sein und über 100.000 Arten betragen. Der Tierschutz ist beim Tierhandel selbst­verständlich auch zu berücksichtigen, doch muss ganz allgemein festgehalten werden, dass schon aus rein wirtschaftlichen Über­legungen ein pfleglicher Umgang mit Tieren im Handel betrieben wird und betrieben werden muss, denn für tote oder todkranke Tiere wird niemand Geld ausgeben. Der größte Konflikt zwischen Tierschutz und Tierhandel beruht auf der Tatsache, dass der Fokus des Tierschutzes auf das Individuum gerichtet ist. Es ist sehr schwer, einen Kon­sens zwischen zwei Interessensgruppen zu finden, die sich beide im Recht fühlen: auf der einen Seite Tierschutzvereinigungen, die fordern, dass der Handel absolut sicherstellt, dass jedem einzelnen gehandelten Tier kein Unbill widerfährt und der Tierhandel auf der anderen Seite, der argumentiert, dass z.B. die Sterblichkeit unter den gehandelten Tieren weit unter der Sterblichkeitsrate einer vergleichbar großen Tiergruppe in freier Natur liegt. Dass ganz aktuell wieder einmal eine massive Einschränkung des internationalen Handels mit Tieren und Pflanzen gefordert wird, wird mit der Zunahme invasiver Arten begründet. Was sind invasive Arten?

Die Kanadische Wasserpest (Elodea cana­den­sis) ist eine Aquarienpflanze aus Nordamerika, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutsch­land derart massiv wucherte, dass die Binnen­schifffahrt fast zum Erliegen kam. Heute ist sie ein harmloser Neophyt. Warum manche Neobionten zur Plage werden und andere nicht, kann niemand voraussagen.

Invasive Arten

Als invasiv wird eine Tier- oder Pflanzenart immer dann bezeichnet, wenn sie sich in einem Gebiet in dem sie ursprünglich (als Stichdatum gilt das Jahr 1492) nicht vorkam, massiv ausbreitet und dabei der ur­sprüng­lich heimischen Tier- und Pflanzen­welt der Lebensraum streitig macht. Der Begriff ”invasiv” ist dabei bewusst militärisch ge­wählt. Es sollen durchaus Emotionen ge­schürt werden, die invasiven Arten als unerwünschte, schädliche Eindringlinge gebrand­­markt werden. Im englischen Sprachgebrauch geht man noch viel weiter. Hier spricht man von ”pests”, also Seuchen­organismen, die es zu bekämpfen gilt. Die Gefahren, die von solchen Fremd­orga­nis­men ausgehen, sind nicht zu unter­schätzen und führten schon in vielen Fällen zum Aussterben ursprünglich heimischer Arten.

Manchmal scheint das ein völlig natür­licher Prozess zu sein. So dringt seit ca. 1930 die Türkentaube (Streptopelia deca­octo) aus Kleinasien nach Mitteleuropa vor. Als Standvogel, die ganzjährig vor Ort bleibt, hat sie gegenüber der ursprünglich heim­ischen Turteltaube (S. turtur), die ein Zug­vogel ist, den Vorteil, die besten Brutplätze bereits besetzt zu haben, wenn die Turteltaube aus Afrika heimkehrt. Zusam­men mit verän­derten Ackerbaumethoden (die Turteltaube frisst besonders gerne Erdrauch, Fumaria sp., ein Ackerunkraut, dessen Bestände stark rückläufig sind) und dem größeren Jagd­druck, dem die Turteltaube auf ihrem Zug ausgesetzt ist, führte das dazu, dass die Bestände der Turteltaube in den letzten 25 Jahren um über 60% zurückgegangen sind.

Doch fast immer sind unbedachte Aussetzungen des Menschen der Grund, weshalb Tiere oder Pflanzen zu invasiven Arten werden. Bei Tieren sind diese Aussetzungen oft absichtlich. Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die späten 1970er Jahre wurden alle möglichen Fische und Krebsarten importiert und ausgesetzt, in der Hoffnung, wirtschaftlich nutzbare Arten auch in Gewässern erhalten zu können, in denen es keine einheimischen Nutzarten gibt. Dieser Schuss ging fast immer furchtbar nach hinten los. Die meisten Arten konnten sich glücklicherweise nicht halten und verschwanden wieder, andere (z.B. die Regenbogenforelle, Oncorhynchus mykiss, die aus Nordamerika stammt), können sich nur sehr lokal ohne Hilfe des Menschen fortpflanzen. Doch der Camberkrebs (Orconectes limosus) ist ein Beispiel für eine extrem erfolgreiche Einbürgerung einer gebietsfremden Art mit schrecklichen Folgen für die heimische Fauna. Denn dieser Krebs, den man als Speisekrebs in Gewässern nutzen wollte, in denen die ökologisch anspruchsvolleren heimischen Arten nicht überleben können, ist der Überträger einer tödlichen Seuche, der Krebspest, an der alle einheimischen Krebse sterben. Der Camberkrebs ist dagegen immun, er überträgt die Krankheit nur. Ein anderer Krebs, die Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis) kam um 1910 als Larve unab­sichtlich mit Ballastwasser von Fracht­schiffen nach Europa. Bis heute breitet sie sich extrem erfolgreich aus, frisst Fischer­netze leer und durchlöchert Deiche und Dämme.

Manchmal verwandeln sich invasive Arten ohne erkennbaren Grund wieder zu harm­losen Bestandteilen der Natur zurück. Ein gutes Beispiel hierfür ist die aus Nord­amerika stammende Wasserpest (Elodea canadensis), die Mitte des 19. Jahrhunderts sämtliche Wasserwege so zuwucherte, dass eine Binnenschifffahrt kaum noch möglich war. Heute wächst die Art als ganz normale, heimisch gewordene Wasserpflanze und richtet keinen Schaden mehr an.

Der Camberkrebs, Orconetes limosus, ist in Mitteleuropa eine invasive Art. Als Überträger der Krebspest richtet er erheblichen Schaden an. Nach Deutschland eingeführt und ausgesetzt wurde die Art 1890 – nicht von Aquarianern!

Vom Marmorkrebs gibt es nur Weibchen. Ein einziges Exemplar reicht darum aus, eine neue Population aufzubauen. Leider gibt es bereits Funde wildlebender Tiere in Deutschland.

Die Wollhandkrabbe (Eriocheir sinensis) kam um 1910 als Larve unab­sichtlich mit Ballastwasser von Fracht­schiffen nach Europa.

Solche Lebewesen nennt man Neobiota (also ”neue Lebewesen”), aufgeteilt in Neozoen (neue Tiere), Neophyten (neue Pflanzen) und Neomyceten (neue Pilze). Neobiota ist der Begriff, den man statt ”invasiver Arten” benutzen sollte, denn der weitaus größte Teil der Neobiota übt keinerlei erkennbaren schädlichen Einfluss aus und selbst solche Arten, die andere verdrängen und ausrotten, trifft ja keine moralische Schuld. Es ist weder gerechtfertigt noch ethisch vertretbar, ihnen mit Abscheu oder Fremdenfeindlichkeit gegenüber zu treten.

Die gegenwärtige politische Diskussion, die ein generelles Importverbot für alle potentiell invasiven Arten fordert, hat ihren Ursprung leider in einem tiefbraunen Sumpf. Es sollen generell Ängste gegenüber dem Fremden, Un­heim­lichen geschürt werden. Und Men­schen, die wie die ernsthaften Aquarianer und Terra­rianer dagegen aufklärend antreten, werden als Verräter und Nestbeschmutzer diffamiert – alles schon mal dagewesen.

Wir tragen Verantwortung!

Natürlich tragen auch wir Hobbyisten eine große Verantwortung. Niemals und unter keinen Umständen dürfen zu groß oder lästig gewor­dene Kaltwasserfische, Krebse, Muscheln, Schnecken, Garnelen oder Wasserpflanzen in die freie Natur ausgesetzt werden. Das gleiche gilt für Reptilien oder Amphibien. Es gibt bereits Importverbote für den Ochsen­frosch (Rana catesbeiana oder Lithobates ca­tes­beianus) oder die Rot­wangen-Schmuck­schildkröte (Trach­emys scripta elegans), weil diese Tiere von verantwor­tungs­losen Idioten ausgesetzt wurden und es so zu lokalen, wildlebenden Populationen kam. Wenn man Tiere, die man aus schwer­wiegenden Gründen nicht weiter pflegen, nicht weiter­geben, verfüttern oder selbst essen kann und wenn auch kein Tierheim bereit ist, sie aufzunehmen, so muss man sie leider ab­töten. Aussetzen ist keine akzeptable Alter­native! Im besten Falle stirbt das ausgesetzte Tier im ersten Winter, schlimmstenfalls bringt es aber Seuchen mit, die den wildlebenden Tieren einen qual­vollen Tod bringen. Das Tierschutzgesetz verbietet es, Tieren „ohne vernünftigen Grund“ Leid zuzufügen oder sie zu töten. Man muss also gut abwägen, ob ein solcher „vernünftiger Grund“ wirklich vorliegt. Eine Laune, ein Unlustgefühl oder Bequemlichkeit dürfen selbstverständlich kein Vorwand sein, ein gesundes Tier abzutöten!

Die Regenbogenforelle (Oncorhynchus mykiss) ist einer der wichtigsten Fische in der Aquakultur in Deutschland und gilt vielen als einheimische Art. In Wirklichkeit ist die Regenbogenforelle ein Neozoon und kann lokal sogar einheimische Arten bedrohen.

Keine Sippenhaft!

Leider gehen manche Neobiota auf aus­ge­setzte Pfleglinge verantwortungsloser Aqua­rianer oder Terrarianer zurück. Das Aussetzen von Tieren und Pflanzen ist in Deutschland eine Straftat, keine Ordnungs­widrigkeit. Es drohen Geld- und Haftstrafen. Aber ist das ein Grund, eine ganze Personen­gruppe undifferenziert in Sippenhaft zu nehmen? Auf gar keinen Fall! Ein Straftäter bleibt immer ein Einzeltäter, auch wenn die Person Aquarianer oder Terrarianer ist. Fast alle Aquarianer und Terrarianer handeln verantwortungsbe­wusst und richtig. Sie darf man nicht durch Importverbote oder Hal­tungs­ein­schränk­ungen bestrafen. Auch so genannte Positiv­listen, also Listen von Arten, deren Handel aufgrund der Expertise von Gottweißwem erlaubt sein soll, sind strikt als Sippenhaft abzulehnen. Das Aussetzen von Tieren und Pflanzen ist verwerflich, daraus den Schluss zu ziehen, dass die Tier- und Pflanzenhaltung eingeschränkt werden muss, idiotisch. Niemand kommt auf den Gedanken, Hunde, Katzen, Kaninchen, Meerschweinchen und sonstige Tiere für die Haltung zu verbieten, nur weil sie immer wieder von irgendwelchen ver­brech­erischen Menschen ausgesetzt werden. Ein freiheitlicher Rechtsstaat, der nicht brutaler Überwachungsstaat sein will, muss es aushalten, dass es gewissenlose Men­schen gibt, die ein vermeintlich laxes Rechtssystem auszunutzen versuchen. Das gilt für ausnahmslos alle Bereiche mensch­lichen Zusammenlebens. Verantwortungs­volle Politiker lassen sich nicht vor den rechtspopulistischen Karren spannen und fordern nicht, die Tierhaltung allgemein und die Aquaristik und Terraristik im Speziellen zu kriminalisieren.

Der einheimische Bitterling (Rhodeus amarus) ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie dumm die emotionale Bewertung eines Neobionten ist. Bis vor wenigen Jahren galt er als schützenswerte, bedrohte Art nach der FFH-Richtlinie, sein Fang für die Aquarienhaltung stand unter schwerer Strafandrohung. Heute weiß man, dass er in Wirklichkeit eine invasive Art ist, die sich erst seit Ende des 18. Jahrhunderts als regionales Neozoon in großen Teilen Deutschlands ausbreitete und darum nach aktueller Gesetzeslage eigentlich bekämpft werden müsste.

Wehret den Anfängen!

Die stärkste Waffe des Rechtspopulismus, ob mit nationalistischem oder religiösen Hinter­grund, ist, dass ihn anfangs niemand ernst nimmt. Keine Rentnerin mit Schoßhund käme auf den Gedanken, dass die Tier­rechtler-Organisation, für die sie gerade spendet, um Tieren in Not zu helfen, nichts anderes will, als ihr ihren geliebten Hund weg­zu­nehmen, der in den Augen der Organi­sation eine geknechtete, unter­drückte Kreatur ist. Es gibt aus wissenschaftlicher Sicht keinen Grund, die bestehenden Artenschutzgesetze um irgendwelche Importeinschränkungen oder gar Haltungsverbote zu ergänzen. Gegen die unverantwortliche Aussetzung von ungewollten Heimtieren muss mit Auf­klärungskampagnen vorgegangen werden, nicht mit Gesetzen, die von denjenigen, die sie treffen sollen, ohnehin ignoriert werden. Es gibt in Deutschland (noch) eine große Vereinsstruktur von Aquarianern und Terra­rianern, die, wenn sie mit Geldmitteln und ideeller Unterstützung der öffentlichen Hand ausgestattet werden, in der Lage sind, die entsprechende Aufklärungsarbeit zu leisten. Leider überaltern die Vereine rasend schnell. Auch deshalb muss der Staat dringend dafür sorgen, dass seine Kultur­schaffenden – und dazu zählen die Aqua­ristik- und Terraristik-Verbände unbedingt! – in der Öffentlichkeit wieder an Ansehen gewinnen, damit der Nachwuchs nicht ausbleibt. Noch ist Zeit dafür!

Frank Schäfer

Literatur:

Wilson, E. O. (1992): The Diverisity of Life. Harvard University Press, Cambridge, MA. 464 pp.


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Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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5 Kommentare zu “Bio-Invasoren – sind die Aquarianer verantwortlich?

  1. Frank Zöller

    Das ist der beste Artikel, den ich in diesem Magazin und von diesem Autor gelesen habe (wobei ich weder alles aus dem Magazin noch alles von dem Autor gelesen habe….).
    Toll!

    Antworten
  2. Pingback: Franky Friday: Bio-Invasoren – sind die Aquarianer verantwortlich? - my-fish

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