Ansorges Flösselhecht (Polypterus ansorgii) – Versuche, einen Mythos zu entschleiern

Es gibt mythische, legendäre Tierarten. Manchmal weiß man gar nicht, ob sie existieren oder nur der Fantasie entsprungen sind, wie der Yeti oder das Monster von  Loch Ness. Mit der  Erforschung solcher Phänomene beschäftigen sich Kryptozoologen. Manchmal finden sie dann  neue Tierarten, deren Existenz niemand erwartet hätte, wie das Zwergflusspferd, das Okapi oder den Kongopfau.

Die Entdeckung des Kongopfaus (Afropavo congensis) im Jahr 1936 war eine Weltsensation.

Im Falle von Ansorges Flösselhecht, Polypterus ansorgii, liegen die Dinge etwas anders. Von ihm gab es immerhin drei konservierte Exemplare, die BOULENGER 1910 als Grundlage zur  Beschreibung der Art dienten. Alle drei Exemplare waren zusammen im Fluss Corbal bei  Tchitoli in Portugiesisch-Guinea (heute: Guinea Bissau) gefangen worden. Als ich 2004 mein Buch über Flösselhechte veröffentlichte, waren das die drei einzigen mir bekannten Exemplare. Sie liegen heute in den Museen von Wien (zwei Tiere) und London (ein Exemplar). Ich untersuchte sie im Zuge meiner Buchrecherche und hatte damals den leisen Verdacht, es könnte sich bei den drei Tieren um  Hybriden, also Kreuzungstiere anderer Arten, oder eine selten auftretende Farbmutante der Art Polypterus bichir handeln, weil seither keine weiteren Tiere gefunden werden konnten. Ein Mythos baute sich vor allem auch deshalb um Polypterus ansorgii auf, weil man glaubte, es handele sich um eine Zwergart, die nicht wesentlich länger als 20 cm würde.

Zwei der Typenexemplare von Polypterus ansorgii.

Während der Vorbereitung der Erstbeschreibung von Polypterus mokelembembe im Afrika-Museum in Tervueren (Belgien) fand ich zwei weitere Tiere, die C. B. POWELL 1991 in Nigeria gesammelt hatte (eines im Orashi River bei Odieke, eines im Isemu Lake) und die Guy TEUGELS als P. ansorgii bestimmt hatte; dieser Ansicht war ich auch! Aber in ihrer wissenschaftlichen Revision der Gattung Polypterus ordnen Moritz & Britz 2019 diese Tiere P. bichir zu. Die beiden nigerianischen Tiere waren – genau wie die der Typusserie – relativ klein, nur etwa 20 cm lang. Leider habe ich die Bilder, die ich von diesen Tieren machte, verlegt. Ich ordne gerade das Dia-Archiv neu und irgendwie sind sie dabei in einer falschen Ablage gelandet. Sollte sie wieder auftauchen, reiche ich sie nach. Soweit ich mich erinnere hatten diese nigerianischen Exemplare noch gut ausgebildete äußere Kiemen.

Importbemühungen
Ich bemühte mich nun wieder verstärkt darum, doch einmal lebende Exemplare dieser Art zu erhalten, um sie näher studieren zu können. Leider waren meine Bemühungen lange Zeit nicht von Erfolg gekrönt. Meist handelte es sich bei den als P. ansorgii angebotenen Fischen um P. bichir, einen engen Verwandten dieser Art.

Bis heute sind Polypterus ansorgii und P. bichir nur schwer auseinanderzuhalten. Ein ganz wesentlicher Unterscheidungspunkt war in der ichthyologischen Fachliteratur stets die Kieferanatomie. Es galt: bei P. ansorgii seien Ober- und Unterkiefer etwa gleich lang, bei P. bichir sei der Unterkiefer signifikant länger als der Oberkiefer. Moritz & Britz zeigten in ihrer Studie aus dem Jahr 2019, dass dieses Merkmal sich bei den Polypterus-Arten mit 13-15 Rückenflösseln (das sind außer P. ansorgii und P. bichir noch P. congicus und P. endlicherii, in P. laparadei sehen Moritz & Britz ein Synoym zu P. bichir) mit dem Alter ändert. Die beiden Autoren diagnostizieren P. ansorgii wie folgt: „Polypterus ansorgii differs from P. bichir by fewer scales in lateral series (54-56 vs. 55-70), fewer scales around body (43-45 vs. 43-54) and smaller adult size (maximum recorded size 313 mm SL vs. 750); in specimens between 150 and 200 mm SL, external gills usually completely reduced in P. ansorgii (vs. present in most specimens of P. bichir).“ Hier meine Übersetzung dieser Passage: „Polypterus ansorgii unterscheidet sich von P. bichir durch weniger Schuppen in den seitlichen Reihen (54-56 vs. 55-70), weniger Schuppen um den Körper (43-45 vs. 43-54) und eine geringere Größe der erwachsenen Tiere (maximale Größe 313 mm SL vs. 750); bei Exemplaren zwischen 150 und 200 mm SL sind die äußeren Kiemen bei P. ansorgii in der Regel vollständig reduziert (vs. vorhanden bei den meisten Exemplaren von P. bichir).“

Grundsätzlich hat P. bichir also mehr Schuppen und wird größer, aber die zählbaren Werte überlappen und – was Moritz und Britz nicht wissen konnten – P. ansorgii kann tatsächlich größer als 35 cm werden, dazu weiter unten mehr. Ein anderes Autorenteam, Suzuki et al, untersuchte 2010 die Phylogenie der Polypteridae anhand mophologischer und mitochondrialer DNS-Untersuchungen. Ihre Tiere stammte alle aus dem Handel, da liegt ein großes Problem, denn die richtige Artbestimmung ist bei kommerziellen Importen keineswegs gesichert. Wie dem auch sei, für Polypterus ansorgii geben Suzuki et al. 57 Rückenwirbel, für P. bichir 60-67 Rückenwirbel an. Sowohl anatomische wie auch molekulare Befunde dieser Arbeitsgruppe legen nahe, dass es sich bei P. ansorgii um eine gute Art handelt, die sich von P. bichir unterscheiden lässt.

Bleibt die Färbung als Unterscheidungsfaktor. Das Dumme daran ist, dass P. bichir nach Moritz & Britz sehr farbvariabel ist …

Diese Flösselhechte aus Nigeria wurden lange Zeit als Unterart zu Polypterus bichir, nämlich P. b. lapradei gesehen. Heute gilt P. lapradei als Synonym zu P. bichir.

Doch eines Tages erhielt ich tatsächlich von dem Zulieferanten von Aquarium Glaser aus Guinea, Fouad Chaloub, vier Polypterus, bei denen es sich meines Erachtens unbedingt um P. ansorgii handelte. Die Tiere waren etwa 25 cm lang und ihr gesamtes Aussehen und auch die Färbung passten hervorragend zu dieser Art. Das war im Winter 2010. Die Tiere waren bis Februar 2014 auf etwa 40 cm Länge herangewachsen, dann musste ich sie leider wegen eines Umzugs abgeben.

Manche frisch importierte Individuen sind kaum bestimmbar. Farblich ähnelt dieser Fisch zwar P. ansorgii, körperliche Merkmale (sehr schlanker Körper, relativ lange Schnauze) sprechen m. E. eher für P. bichir. Solche Tiere muss man gewöhnlich lange Zeit pflegen, bevor man eine Artzuordnung vornehmen kann – wenn es überhaupt je gelingt.
Polypterus ansorgii, ca. 15 cm lang
Polypterus ansorgii, ca. 15 cm lang – oder doch eher ein P. bichir? Dieses und das darüber abgebildete Exemplar wurden zusammen gefangen.
Polypterus ansorgii, ca. 15 cm lang, Portrait

Polypterus ansorgii werden groß!
Die Ähnlichkeit von Ansorges Flösselhecht mit P. bichir ist enorm. Im Wesentlichen unterscheiden sich die Fische nur im Farbmuster. Während typisch gefärbte P. bichir ein Längsstreifenmuster zeigen, haben typisch gefärbte P. ansorgii eine Zeichnung aus rechteckigen Flecken (“Schachbrettmuster”) auf den Flanken. Bereits aus dieser offensichtlichen, engen Verwandtschaft heraus war zu erwarten, dass  P. ansorgii keine Zwergart ist, wie man wegen der geringen Größe der Typusexemplare jahrzehntelang annahm, sondern ähnlich groß wird wie P. bichir. Und der wird immerhin über 60 cm lang. Ein weiteres Indiz sprach dafür, dass P. ansorgii groß wird: meine Fische  waren trotz ihrer zuletzt gut 40 cm Länge noch nicht eindeutig  geschlechtlich differenziert; bei allen Polypterus-Arten kann man die geschlechtsreifen  Männchen an der stark vergrößerten Afterflosse erkennen. Dann konnte Fouad eine echte  Sensation vermelden. Er schickte uns ein Foto eines  86 cm langen P. ansorgii, den er und sein Team im Koliba-Fluss, einem Zufluss des Corbal-Flusses nahe einer Stadt namens Gaoual gefangen haben – also topotypisch zu den Typusexemplaren von Ansorges Flösselhecht. Leider kam das Tier bei einem Unfall ums Leben. Dennoch ist mit dem Exemplar der eindeutige Beweis erbracht worden, dass Polypterus ansorgii zu den großwüchsigsten Flösselhechten überhaupt gehört. Oder? Moritz und Britz halten die Koliba-Fische nämlich für P. bichir … Leider geben die Zählwerte des 86-cm-Brummers diesbezüglich nichts her, mit 56 Schuppen in der Längsreihe liegt er genau im Überlappungsfeld.

Dieses 86 cm lange Exemplar von Polypterus ansorgii beweist, dass die Art zu den größten Polypterus-Arten gehört.

Ansorges Flösselhecht im Aquarium
Die Pflege von Polypterus ansorgii im Aquarium ist leicht. Es handelt sich um sehr ruhige, etwas scheue und sehr friedliche Raubfische. Wie alle Flösselhechte sind es eher dämmerungsaktive Fische, die jedoch nach der Eingewöhnung auch tagsüber zum Fressen erscheinen. Die Ernährung erfolgt am besten mit ganzen, tiefgefrorenen Fischen von etwa 6-8 cm Länge (Stinten).

Gegen Artgenossen und artfremde Fische sind Ansorges Flösselhechte meist indifferent. Lediglich zur Fütterungszeit knuffen sie sich auch einmal gegenseitig, aber das scheint bei den  geruchsorientierten Tieren, bei denen der Gesichtssinnn nur eine untergeordnete Rolle spielt, eher aus Versehen zu passieren. Ich pflegte die Tiere zusammen mit Hechtsalmlern (Hepsetus odoe), einem Westafrikanischen Lungenfisch (Protopterus annectens) und einigen Welsen. Ein ursprünglich als Futterfisch eingesetzter Roter Cichlide (Hemichromis sp.) tyrannisierte die  Flösselhechte derartig, dass sie über einige Wochen nicht mehr fraßen, bis der kleine  Stänkerer von kaum 8 cm Länge endlich gefangen und entfernt werden konnte. Man muss bei der Vergesellschaftung dieser sanften Großfische also etwas vorsichtig sein.

Die Systematik der großen Flösselhechte (Polypterus bichir, P. congicus, P. ansorgii, P. lapradei, P. endlicheri) ist nach wie vor nur unbefriedigend erforscht. Moritz und Britz sind sehr sorgfältige Arbeiter und haben sich durch Berge von konservierten Polypterus gekämpft, bis sie zu dem Schluss kamen, dass P. ansorgii eine gute Art und P. lapradei ein Synonym zu P. bichir sei. Aber die Vielzahl der unterschiedlich gefärbten Tiere erklärt sich dadurch nur ungenügend.

Alle Flösselhechte können stimmungsabhängig stark verblassen, dann wird eine Bestimmung noch schwieriger, als sie es ohnehin schon ist. Auch dieses Bild zeigt P. ansorgii.
Flösselhechte mögen es dämmerig, mit weichem Boden und versteckreich. Da macht P. ansorgii keine Ausnahme.

Nachzuchten
Viele Flösselhechte werden heutzutage in Indonesien kommerziell gezüchtet. Von den großen Arten sind es P. endlicherii und P. ansorgii. Diese Nachzuchttiere sind erheblich billiger als die Importfische, denn bei den Importen macht bekanntlich die teure Fracht bei größeren Fischen den Haupt-Kostenfaktor aus. Dank der Nachzuchten sind jetzt sehr viele Aquarianer in die Lage gesetzt, eigene Beobachtungen an diesen faszinierenden Urzeitfischen zu machen. Hoffen wir, das viele von dieser Möglichkeit Gebrauch machen und ihre Beobachtungen auch publizieren. So könnten künftige Aquarianergenerationen vielleicht das alte Rätsel um Polypterus ansorgii lösen.

Frank Schäfer

zitierte Literatur:

Moritz, T. & R. Britz (2019): Revision of the extant Polypteridae (Actinopterygii: Cladistia). Ichthyological Exploration of Freshwaters (art. IEF-1094): 1-96.

Suzuki, D., M. C. Brandley & M. Tokita (2010): The mitochrondrial phylogeny of an ancient lineage of ray-finned fishes (Polypteridae) with implications fo rthe evolution of body elongation, pelvic fin loss, and craniofacial morphology in Osteichthyes. BMC Evolutionary Biology v. 10 (no. 21): 1-12.


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Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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2 Kommentare zu “Ansorges Flösselhecht (Polypterus ansorgii) – Versuche, einen Mythos zu entschleiern

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