Die Roten Cichliden gehören zu den schönsten Süßwasserfischen der Erde. Sie sind zudem sehr leicht zu pflegen und zu züchten. Ihre Artbestimmung jedoch gehört zu den schwierigsten Aufgaben der Fischkunde.
Bis zum Jahr 1979 machte man es sich in Aquaristik und Wissenschaft gleichermaßen einfach. Man unterschied lediglich zwei Arten von Buntbarschen in der Gattung Hemichromis, nämlich den Roten Cichliden, den man Hemichromis bimaculatus nannte, und den Fünffleckbuntbarsch, den man Hemichromis fasciatus nannte. Es wurden zwar auch vor 1979 schon einige weitere Arten beschrieben, die Komplexität der Merkmale bei Hemichromis, genauer gesagt: die hohe individuelle Farbvarianz und körperliche Veränderlichkeit in Abhängigkeit der Lebensumstände und dazu auch noch eine massive stimmungs- und altersabhängige Farbveränderlichkeit – führte jedoch immer wieder dazu, dass die in den Beschreibungen angegebenen Artmerkmale als nicht ausreichend angesehen wurden.
Die große Revision
Doch dann veröffentlichte PAUL V. LOISELLE eine Revision der Gattung Hemichromis, in der er drei Arten der Fünffleckbuntbarsche – nämlich Hemichromis fasciatus, H. elongatus und H. frempongi – und acht Arten der Roten Cichliden – H. bimaculatus, H. cristatus, H. paynei, H. guttatus, H. stellifer, H. cerasogaster, H. letourneauxi und H. lifalili – unterschied. Von diesem Zeitpunkt an schauten die Aquarianer etwas genauer hin und interpretierten die Revision (die leider Bildverwechslungen enthält) recht unterschiedlich. Es wurde immer wieder versucht, das folgende Durcheinander zu entwirren. So stellte FREYHOF (1995) einige grundlegende Dinge richtig, dem viele Autoren folgten, etwa LINKE & STAECK (2002) und LAMBOJ (2004). Dennoch halten sich einige Fehlbestimmungen hartnäckig, etwa die, dass eine (übrigens ziemlich aggressive) Zuchtform der Roten Cichliden, die es in freier Natur gar nicht gibt, als Hemichromis lifalili bezeichnet wird. Der „echte“ H. lifalili wird hingegen kaum im Aquarium gepflegt und findet sich nur bei wenigen Spezialisten.
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Hemichromis sp. „Fire Lips“
Diesen Hintergrund muss man kennen, um zu verstehen, warum die Bestimmung der Artzugehörigkeit Roter Cichliden so kniffelig ist. Aber ist das denn überhaupt so wichtig? Muss man denn wissen, wie ein Tier heißt, um sich daran zu erfreuen? Natürlich nicht. Unwichtig ist die Frage nach der Artzugehörigkeit aber auch nicht. Denn leider verschwinden immer mehr Tierarten von diesem Planeten für immer, ohne dass wir ihre Existenz überhaupt erfassen konnten. Da der Mensch für das Aussterben der meisten Tier- und Pflanzenarten verantwortlich ist, weil er – oft in Unwissenheit! – ihren Lebensraum so verändert, dass die Tiere und Pflanzen dort nicht mehr existieren können, liegt es in unserer Verantwortung, die Vielfalt der Lebensformen auf der Erde zu erfassen. Nur was wir kennen können wir schützen! Die Aquarienkunde ist dabei die wichtigste Hilfswissenschaft, um diese Aufgabe im Bereich der kleinen Fische zu bewältigen. Es kann in diesem Zusammenhang gar nicht oft genug betont werden, dass die Pflege und Zucht auch und gerade wildgefangener Fische im Aquarium aktiver Artenschutz ist! Ausgerottet wurde dadurch noch nie eine Tierart.
Die Hemichromis sp. „Fire Lips“ kamen als Nachzuchtexemplare zu Aquarium Glaser, über ihre Herkunft war nichts in Erfahrung zu bringen. Natürlich wurde ich als Betriebszoologe mit der Bestimmung beauftragt, musste aber passen: die Merkmalkombination passte einfach auf gar keine bislang bekannte Art von Hemichromis! Körperform und Verteilung der blauen Glanzpunkte (den so genannten Iriodophoren) passten am ehesten zu der Art Hemichromis guttatus, doch hat diese Art immer einen gut sichtbaren, längsovalen Fleck in der Körpermitte. Bei den „Fire Lips“ (es handelte sich um etwa 25 Exemplare) war aber keinerlei Seitenfleck erkennbar. Dafür sahen die Fische bereits im Fotografieraquarium so attraktiv aus, dass ich beschloss, mir ein Pärchen mit nach Hause zu nehmen, sie nachzuzüchten und einmal zu schauen, was bei der Nachzucht herauskommen würde.
Hemichromis guttatus
Dieser kleine Rote Cichlide – Männchen werden etwa 10 cm lang, Weibchen bleiben kleiner – ist die wohl am weitesten verbreitete Art der Gattung im Hobby. Auch bei der Entstehung der so genannten „lifalili“- Zuchtform dürften Kreuzungen von H. guttatus den größten Anteil haben. Denn dieser Buntbarsch weist bereits innerhalb ein und derselben Population eine große Bandbreite an Farbvarianten auf. Während die Körperform und die Form und Position des Seitenflecks innerhalb einer Population recht einheitlich ist, variiert die Färbung erheblich. So gibt es quietschrote, aber auch graugrüne Individuen, hinzukommen zahlreiche Übergänge und Zwischenformen. Das ist unabhängig vom Geschlecht. Ebenso variabel ist die Anzahl der Iriodophoren, also der blauen Glanzpunkte.
Es gibt Tiere mit sehr vielen, aber auch solche mit sehr wenigen Iriodophoren und zwar sowohl bei den roten wie auch bei den graugrünen Fischen. Der Sinn dieses Farbpolychromatismus – so der Fachausdruck für „Vielfarbigkeit“ – ist völlig unverstanden. Da wir Aquarianer immer mit den in unseren Augen schönsten Fischen weiterzüchten – also den möglichst roten mit vielen Iriodophoren – und sich diese Färbung augenscheinlich auch erblich fixieren lässt, erscheinen die Aquarienstämme im Vergleich zu Wildfängen sehr einheitlich. Nun hatten wir bei Aquarium Glaser aber auch gerade H. guttatus-Wildfänge aus Nigeria, die aus dem Benue-River stammten. Ich nahm mir zum Vergleich mit den „Fire Lips“ auch ein Pärchen dieser Fische mit nach Hause, wobei ich lediglich darauf achtete, ein Paar zu fangen, aber die Färbung bewusst ignorierte.
Rote Cichliden im Aquarium
Männchen und Weibchen lassen sich bei Roten Cichliden recht gut unterscheiden. Die Männchen sind größer, haben länger ausgezogene Bauchflossen und eine steilere Stirn. Ich habe es noch nie erlebt, dass ein willkürlich zusammen gesetztes Paar sich nicht vertragen hätte. Gewöhnlich sind zumindest die verschiedenen Wildformen von Hemichromis guttatus sehr friedliche Tiere, sowohl gegenüber Artgenossen wie auch gegenüber artfremden Fischen.
Natürlich muss man aufpassen, wenn die Tiere laichen und Junge führen, denn sie sind ausgezeichnete Eltern und verteidigen ihr Revier und den Nachwuchs nachhaltig. Rote Cichliden dieser Gruppe sind allesamt Offenlaicher mit Elternfamilie, d.h. sie laichen auf einem harten Substrat (einem Stein, einer Wurzel etc.), aber nicht in einer Höhle und beide Eltern bewachen und führen den Nachwuchs.
Die chemische Wasserzusammensetzung bezüglich Härte und pH-Wert ist dabei unerheblich, solange sie sich innerhalb normaler Parameter bewegt, also pH möglichst nicht wesentlich unter 6 oder über 8,5 und Härte zwischen 3 und 25°GH. Die Wassertemperatur sollte zwischen 22 und 28°C liegen. Gefressen wird jegliches übliche Fischfutter, egal ob trocken, gefrostet oder lebend. Die Jungfische haben zunächst einen typischen schwarzen Längsstrich, sie erinnern ein wenig an Nannostomus-Arten. Man kann sie vom ersten Tag an mit Artemia– Nauplien füttern. Später verliert sich der Längsstreifen und damit auch der Schwarm-zusammenhalt der Jungfische.
Interessanterweise kann man die Jungen aber noch lange bei den Eltern lassen, sie werden auch mit 2-3 cm Länge, wenn sie schon wie Miniaturkopien der Eltern aussehen, nicht verfolgt. Die Geschlechtsreife tritt im Alter von etwa 4 Monaten ein, dann sind die männlichen Roten Cichliden etwa 5 cm lang. In der Größe von 6-7 cm sind sie für meinen Geschmack am schönsten, dann sind sie voll ausgefärbt, aber noch grazil. Später werden die Tiere (zumindest im Aquarium) sehr bullig, wirken wenig ästhetisch und die Farben wirken etwas verwaschen.
Die Einrichtung des Aquariums ist Roten Cichliden ziemlich egal. Es sollte nicht zu hell beleuchtet sein und einige Versteckmöglichkeiten aufweisen. Für einen Zuchtansatz reicht ein handelsübliches 60-cm-Aquarium völlig aus, dann sollten allerdings keine Beifische im Aquarium sein. Pflanzen werden von den Fischen gewöhnlich nicht behelligt.
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Des Rätsels Lösung
Beide mitgenommenen Paare machten ihrer Sippe alle Ehre und laichten bald ab und zwar ziemlich zeitgleich (im Abstand von nur zwei Tagen), so dass ich gute Vergleichsmöglichkeiten hatte. Bis auf den fehlenden Seitenfleck glichen dabei die „Fire Lips“ in allen Details den Hemichromis guttatus-Wildfängen. Beide Weibchen legten als Brutpflegefärbung ein atemberaubend schönes Farbkleid an, bei dem der Rücken bis etwas unter die Körpermitte leuchtend gelb, der Bauch hingegen brillant rot gefärbt war.
Beide Männchen färbten sich hingegen eher dezent ein, der Rücken war bis weit unterhalb der Körpermitte warmgelb, die Brust zartrot gefärbt. Die Augen waren bei den Weibchen strahlend gelb, bei den Männchen nur messingfarben. Als die „Fire Lips“ die Babystreifen verloren hat, kam die Stunde der Wahrheit. Fast alle Tiere entwickelten einen ganz normalen Hemichromis guttatus-Fleck! Lediglich acht von 134 Jungtieren, die ich aufzog, wiesen einen fehlenden oder stark reduzierten Seitenfleck auf. Somit kann ziemlich zweifelsfrei festgehalten werden, dass es sich bei Hemichromis sp. „Fire Lips“ um eine Auslese-Zuchtform von Hemichromis guttatus handelt. Was blieb, war die Frage, ob der Seitenfleck später bei allen Tieren verschwinden würde.
Ich züchtete diese Linie vier Generationen und alle Nachfahren hatten einen Seitenfleck. Dann ließ ich den Stamm aussterben. Leider ist es kaum möglich, diese Buntbarsche und ihre zahlreiche Nachkommenschaft unterzubringen. Aber ich bin mir sicher, früher oder später schwimmt wieder ein Pärchen Hemichromis guttatus in einem meiner Aquarien und begeistert mich mit ihrem interessanten Verhalten, ihren herrlichen Farben und der intensiven Brutpflege.
Frank Schäfer
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