Jetzt EU-weit verboten: die Muschelblume

Vor zwei Jahren wurde die Liste der als invasiv erachteten Tier- und Pflanzenarten, deren Handel, Pflege, Zucht und Transport EU-weit verboten sind, erneut erweitert. Die Verordnung ist jetzt (2. August 2024) in Kraft getreten. Details zur Verodnung und die vollständige Liste finden Sie hier: https://www.aqualog.de/blog/die-eu-erweitert-die-verbotsliste-invasiver-arten/

Das ist sehr zu bedauern, denn als Aquarienpflanze ist Pistia stratiotes – so der wissenschaftliche Name der Muschelblume – sehr nützlich und vielseitig einsetzbar. Unsere Aquarienfische leben in freier Natur nämlich nur sehr selten zwischen Unterwasserpflanzen. Die gibt es auch nicht so oft. Statt dessen besiedeln Kleinfische gewöhnlich entweder die Ufervegetation oder die Wurzelbärte von schwimmenden Wiesen. Die Muschelblume, Pistia stratiotes, ist der perfekte Biotopersatz dafür.

Ein Bestand großer Muschelblumen im Aquarium. Die Blätter dieser Wuchsform sind 15-20 cm lang.

Vor allem für Labyrinthfischfreunde sind Schwimmpflanzen absolut unentbehrlich. Dabei entwickelt jeder Aquarianer so seine persönliche Vorliebe. Wegen ihrer großen Wandlungsfähigkeit war die Muschelblume daher bisher mein persönlicher Favorit. Hinzu kommt, dass es sich um ausgesprochen prächtige Pflanzen handelt.

Es gibt weltweit nur eine Art der Muschelblumen: Pistia stratiotes L. Es existiert eine große Zahl von Synonymen und Benennungen von Wuchsformen, doch herrscht heute Einigkeit darüber, dass sie alle keine systematische Bedeutung haben. Die Muschelblume ist ein sehr alter Nebenzweig (= Tribus) der Aronstabgewächse (Araceae), zu denen z.B. auch die aquaristisch so bedeutsamen Wasserkelche (Cryprocoryne) und Speerblätter (Anubias) gehören. Der Tribus Pistieae enthält also nur eine Gattung; Pistia, und diese nur eine Art, P. stratiotes. Der Gattungsname leitet sich nach Engler (1920) vom altgriechischen pistos “trinkbar” ab, weil sich in den Blättern erwachsener Pflanzen große Mengen Wasser ansammeln; Stratiotes ist der Name der Krebsschere (Stratiotes alismoides), einer heimischen Schwimmpflanze, deren Name sich wiederum von der altgriechischen Bezeichnung eines Söldner/Soldatentyps ableitet, weil die Krebsschere oder Wasseraloe recht stachelig und wehrhaft ist und schwertförmige Blätter besitzt. Darum wird “Stratiotes” auch als “Wasser-Soldat” übersetzt.

Kleinblättrige Wuchsform der Muschelblume, Blattlänge 1-4 cm. Dabei handelt es sich um Nachkommen der gleichen Ausgangspflanzen wie die großblättrigen Individuen, die oben abgebildet sind. Man beachte die Wasserperlen auf den Blättern, die vom Schwitzwasser kommen, die Pflanze aber nicht benetzen können.

Im Gegensatz zur Krebsschere ist die Muschelblume ein samtig-weiches Gewächs ohne jede Bewaffnung. Sie ist von einer wunderbaren blau-grünen Färbung und sehr dicht behaart. Die Behaarung bewirkt, dass die Blätter auf der Oberseite nicht dauerhaft von Wasser benetzt werden können, Wasser also abperlt. Dabei handelt es sich aber nicht um den Lotos-Effekt, der auf anderen Prinzipien beruht.

Direkter Vergleich zwischen der groß- und der kleinblättrigen Form der Muschelblume in einem Gefäß der Bodenfläche ca. 40×25 cm. Die kleine Pflanze ist exakt das Individuum unten rechts auf dem Bild oben.

Pistia ist eine weltweit in den Tropen verbreitete Art, die mancherorts auch als invasive Landplage empfunden wird. In Florida z.B. sind der Handel mit und der Besitz dieser Pflanze verboten. Dieser US-Staat wendet jährlich rund 1 Million $ zu ihrer Bekämpfung auf (https://wiki.bugwood.org/Archive:BCIPEUS/Pistia_stratiotes).
Die genaue ursprüngliche Herkunft der Muschelblume ist nicht mit letzter Sicherheit geklärt. Manche nehmen an, sie stammt aus Südamerika. Andererseits war sie bereits den alten Ägyptern bekannt (Stoddart, 1989), die ja bekanntlich die Neue Welt nie bereisten. Vermutlich existierte die heute lebende Muschelblume bereits zur Zeit des Urkontinents Gondwana.

Blühende Muschelblumen

Das Gewächs ist überaus anpassungsfähig, stirbt aber, wenn die Temperaturen unter 12°C sinken. Trotzdem gibt es immer wieder Funde in künstlich erwärmten Gewässern auch in Deutschland, etwa in der Erft, die durch aus der Tiefe hochgepumptes Warmwasser tropische Wassertemperaturen hat. Es ist allerdings Blödsinn, aus solchen lokalen, auf rein künstlichen Bedingungen beruhenden Beobachtungen ein Invasionsszenario zu klöppeln und ein Handelsverbot für Pistia in der EU zu fordern, wie es jetzt in Kraft getreten ist. Wäre Pistia in der Lage, im EU-Raum zu überleben, wäre sie seit Jahrhunderten unausrottbar da, soviel ist sicher.

Blüte der Muschelblume. Die Spatha – typisch für Aronstabgewächse – ist bei Pistia gewimpert.

Auch wenn es völlig unbestritten ist, dass Muschelblumen sich gewaltig vermehren und Massenbestände bilden können, weiß man erstaunlich wenig darüber, wie sie sich eigentlich verbreitet. Der Hauptvermehrungsmodus der Muschelblume ist die Ausläuferbildung, die man auch im Aquarium wunderbar beobachten kann. Eine Verschleppung von Jungpflanzen durch Wassergeflügel ist allerdings eher unwahrscheinlich, dazu sind selbst junge Ableger schon zu groß. Auch die Verschleppung von Samen über Wassergeflügel erscheint kaum möglich, denn die Samen schwimmen nicht, sondern bilden große Lager am Gewässergrund, meist bedeckt von abgestorbenen Wasserwurzeln der erwachsenen Pflanzen. Bei Wassergeflügelverschleppungen bleiben Samen oder lebensfähige Pflanzenteile am Gefieder oder den Füßen des Geflügels hängen und werden so von Gewässer zu Gewässer transportiert, quasi per Luft-Taxi. Wahrscheinlicher erscheint da, dass die offenbar sogar gelegentlich interkontinental erfolgte Verbreitung von Pistia in Samenform im Darm der Vögel erfolgte, weil Samen beim Gründeln mit der Nahrung aufgenommen wurde und die Darmpassage überlebten. Bewiesen ist das allerdings nicht.

Zeichnung aus Engler (1920). A= adulte Pflanze mit Ausläufer, B = reifer Samen, C = keimender Samen, D = Jungpflanze, E = Längsschnitt durch die Blüte, F = Blütenorgane bei entfernter Spatha.

Die Kultur von Muschelblumen im Aquarium ist sehr einfach und gelingt eigentlich immer, wenn das Aquarium nur abgedeckt ist (bei mir jedenfalls sterben die Pflanzen im Zimmer in offenen Aquarien immer ab, die Luftfeuchtigkeit ist wohl nicht ausreichend) und nicht stark gefiltert wird. Weder die Lichtverhältnisse noch die Wasserzusammensetzung haben darauf wesentlichen Einfluss, auf die Wuchsform allerdings schon. Die gezeigte Zwergform wächst bei mir in weichem, sauren Wasser (pH um 5), beleuchtet nur mit einer 5-Watt Energiesparbirne, die große Form unter einem Dachschrägefenster (Westen) bei Tageslicht in hartem, stark belasteten Wasser. Die Lichtperiode darf nicht wesentlich unter 10 Stunden sinken, sonst geht die Pflanze ein. Manchmal gibt es Anpassungsschwierigkeiten bei großen Pflanzen aus dem Handel, die dann im Aquarium nach und nach verfaulen. Das führen viele Aquarianer auf Schwitzwasser zurück; nach meiner Erfahrung schadet Schwitzwasser aber bei der Kultur von Pistia keineswegs. Vor dem Handels-, Pflege- und Zuchtverbot galt: Wer niemanden kennt, von dem ein paar Jungpflänzchen bezogen werden können, sollte den Erwerb im Pflanzenhandel im Sommer durchführen. Dann bringt man die gekaufte Pflanze in einem schwarzen Eimer oder anderen schwarzen Kunststoffgefäß bei 15-20 cm Wasserstand an einem sonnigen Plätzchen im Freiland (Balkon, Garten, Fensterbank) unter. Dort wird der Neuerwerb bald Ausläufer produzieren, die, möglichst klein ins Aquarium gebracht, sich dort gut anpassen werden.

Man kann Pistia bei ganz flachem Wasserstand in den Boden einwurzeln lassen und durch die Verdunstung des Wassers als Land- oder Sumpfpflanze kultivieren.

Auch die Anzucht aus Samen ist möglich und wurde z.B. von Gülz (1950) ausführlich beschrieben. Die Samen (4-6 pro Frucht) keimen am besten bei Temperaturen über 30°C. Sobald das erste Blättchen erscheint, schwimmt die Pflanze auf. Wer die kleinen Blüten bestäubt, ist unerforscht. Bei mir kommen dafür Fruchtfliegen und Trauermücken in Frage, die im Tierzimmner immer irgendwo herumschwirren.

Übrigens: auch in Mitteleuropa wächst die Muschelblume bei Temperaturen über 15°C sehr gut im Freiland und kann in Kübeln oder dem Gartenteich sehr schmückend sein. Eine Verwilderung und dauerhafte Ansiedlung ist aber wegen der Temperaturempfindlichkeit nicht zu befürchten, auch wenn unter Laborbedingungen die Samen angeblich sogar leichten Frost unbeschadet überstanden haben sollen. Im Rahmen der Klimaerwärmung ist freilich damit zu rechnen, dass die Muschelblume, völlig unabhängig vom jetzt in Kraft getreten Haltungs- und Handelsverbot, auch in Teilen Europas dauerhaft zum Neophyten wird. Man darf ja nicht vergessen, dass sie bereits jetzt in Gebieten, die räumlich nahe zur EU liegen, vorkommt. Und in der tropischen Übersee-Dependanz Französich Guyana (gehört zu Frankreich) kommt sie natürlicherweise sowieso vor. Ich bin ja kein Jurist, aber ich frage mich schon, wie man mit einer EU-weit verbotenen Pflanzenart umgeht, die in Teilen der EU (in diesem Fall also dem südamerikanischen Teil) von Natur aus heimisch ist…

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Muschelblume eine wundervolle und nahezu universell einsetzbare Schwimmpflanze für das Aquarium war, wo auch immer Schwimmpflanzen gewünscht gewesen sind. Der einzige Nachteil dieser Pflanze waren die abgestorbenen Wurzeln, die sich am Boden ablagern und reinlichen Aquarianern ein Dorn im Auge waren. Mich hat das nie gestört und ich bin aufrichtig traurig darüber, dass sich hierzulande aufgrund für mich nicht nachvollziehbarer Bedenken künftig niemand mehr an Muschelblumen im Aquarium erfreuen darf.

Frank Schäfer

Zitierte Literatur:
Engler, A. (1920): Araceae – Pistioideae. – In: Engler, A. (ed.), Das Pflanzenreich; IV 23 F (Heft 73). Leipzig: Willhelm Engelmann: 250 – 262.
Gülz, H. (1950): Die Muschelblume, Pistia stratiotes. Deutsche Aquarien- und Terrarienzeitschift (DATZ) 7/1950
Stoddard, A. A. (1989): The phytogeography and paleofloristics of Pistia stratiotes L. Aquatics, 11(3), 21-4.

Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

Weiterlesen

3 Kommentare zu “Jetzt EU-weit verboten: die Muschelblume

  1. Michael Köhler

    Hallo Herr Schäfer, vielen Dank für dieses Plädoyer. Nur eine Anmerkung: Suriname gehört schon lange nicht mehr zu den Niederlanden, die sind seit 1975 unabhängig.

    Antworten
  2. Christian Splettstößer

    Französisch Guyana gehört zwar zur EU, gilt aber als Gebiet in äußerster Randlage. Für diese Regionen gibt es im EU-Recht entsprechende Ausnahmeklauseln, die das EU-Recht auf die dortigen Verhältnisse anpassbar machen. Für andere sogenannte Überseegebiete gilt das EU-Recht sogar nur in Grundzügen. Das Verbot der Muschelblume hierzulande dient nicht dazu etwaige Vermehrungen und dadurch bedingte Verschleppungen zu verhindern. Das wäre durch diverse dauerhafte Bestände schlicht sinnlos. Vielmehr geht es darum, die „Auswilderungen“ durch Halter zu verhindern. Leider kommt das jedes Jahr vor. Und leider nicht nur Pflanzen. Aber gerade bei den Muschelblumen ist es halt durch das starke Wachstum und die enorme Vermehrung immer wieder ein Problem in dem Sommer in dem sie ausgesetzt wurde, selbst wenn der Winter sie meist komplett vernichtet.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert