Seit dem Zeichentrickfilm “Findet Nemo” kennt jedes Kind Anemonenfische. Doch selbst erfahrenen Seewasseraquarianern ist oft nicht bewusst, wie formenreich diese kleinen Riffbarsche sind!
Es ist noch gar nicht lange her: 1960 schätzte J. L. B. Smith, einer der bekanntesten Fischkundler der Welt, die Anemonenfische als eine der vom Standpunkt der Systematik schwierigsten Gruppen unter den Korallenfischen ein. Und bis heute ist es im Einzelfall gar nicht einfach, einen Anemonenfisch unbekannter Herkunft einer der derzeit 30 anerkannten Amphiprion-Arten zuzuordnen.
Variante, Ökotype, Unterart?
Die meisten Menschen denken nicht viel darüber nach, aber in der Zoologie ist die Frage, was denn eigentlich eine Art ist, heiß umstritten. Bei den Anemonenfischen gibt es eigentlich alles, was dem Fischkundler das Leben schwer machen kann: altersbedingte Umfärbungen, geschlechtsbedingte Umfärbungen, Geschlechtswechsel, geografisch fixierte Färbungen, Polychromatismus (das ist eine Vielfalt an individuellen Zeichnungsmustern innerhalb einer Fortpflanzungsgemeinschaft), Ökotypen (leben die Tiere mit bestimmten Anemonenarten zusammen, neigen sie zur Schwarzfärbung, während ihre Artgenossen, die mit anderen Anemonen zusammenleben, ganz normal aussehen) – kurz und knapp, komplizierter als bei den Anemonenfischen geht es kaum. Seit fast 50 Jahren beschäftigt sich der australische Fischkundler Gerald R. Allen mit den Anemonenfischen. Man kann wohl sagen, dass es niemanden gibt, der sich mit den Tieren so gut auskennt wie er. Erst im Jahr 2010 beschrieb er zusammen mit Kollegen eine neue Amphiprion-Art (A. pacificus). Seinen Einschätzungen, was bei Anemonenfischen eine Art ist, wird darum hier gefolgt.
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Obligatorischer Geschlechtswechsel
Die meisten Leser werden es wissen, doch es sei noch einmal kurz daran erinnert, dass alle Anemonenfische nach der freischwebend im Plankton verbrachten Larvenzeit ihr Sexualleben als funktionstüchtiges Männchen beginnen. Nur das ranghöchste Exemplar einer Gruppe verwandelt sich in ein funktionstüchtiges Weibchen – der Fachausdruck für Tiere, die beide Geschlechter in einem Tier ausbilden können und als Männchen beginnen, lautet “protandrische Zwitter”. Wer also zwei Jungtiere eines Anemonenfisches erwirbt, kauft immer zwei Männchen. Überleben beide Tiere, wird sich eines davon zum Weibchen umwandeln und man hat ein Pärchen.
Bei Arten wie dem sehr weit verbreiteten Amphiprion clarkii, bei dem Männchen und Weibchen unterschiedlich gefärbt sind, kommt es schon allein deshalb zwangsläufig im Laufe des Lebens zu individuellen Umfärbungen.
Individuelle Varianten
Anemonenfische kann man nachzüchten und so kann man bei ihnen ganz gut experimentell überprüfen, welche Zeichnungselemente erblich bedingt sind und welche spontan auftreten. Besonders die beliebteste Clownfisch-Art, Amphiprion ocellaris („Nemo“), neigt demnach sehr zur Ausbildung spontaner Farbabweichungen, z.B. was die Ausprägung der weißen Binden betrifft. Hier ist es also sicherlich sinnvoll, von Varianten zu sprechen, die keine taxonomische Bedeutung haben. Andererseits lässt sich die schwarze Form von A. ocellaris, die nach Allen in der Natur nur in der Region von Darwin in Nordaustralien vorkommt, reinerbig nachzüchten. Hier stellt sich also die Frage, ob es sich nicht doch um eine taxonomisch eigenständige Form handelt.
Geografische Varianten oder Unterarten?
Viele Anemonenfische kommen nur in geografisch eng begrenzten Gebieten vor, andere, wie Amphiprion clarkii, sind sehr weit verbreitet. Man kann bei weit verbreiteten Arten durchaus feststellen, dass bestimmte Farbmerkmale an das Vorkommen gebunden sind. Je nach Artkonzept werden solche Formen als geografische Varianten, Unterarten oder eigenständige Arten gesehen. Charakteristisch für Unterarten ist es, dass es dort, wo Unterartengebiete aneinandergrenzen, nicht eindeutig zuordenbare Mischformen gibt. Im Fall von A. clarkii lassen sich viele Tiere zwar einerseits gut nach Farbmerkmalen geografisch zuordnen, andererseits können aber auch in Importen aus dem gleichen Gebiet sehr unterschiedlich gefärbte Tiere enthalten sein. Es ist im Übrigen völlig ungeklärt, wie es Korallenfische, die ein planktisches Larvenstatdium haben und in dieser Zeit ja passiv mit den Meeres-Strömungen verdriftet werden, überhaupt lokal begrenzte Populationen aufbauen könne, so wie der schwarze A. ocellaris bei Darwin.
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Es gibt also noch viel bei diesen fantastischen Fischen zu erforschen und die Aquarianer können durch Nachzuchten dazu beitragen, noch ungeklärte Rätsel lösen zu helfen. Ich wünsche mir, dass man sich bei der Nachzucht mehr auf solche Fragestellungen konzentriert als auf die Erschaffung mehr oder weniger attraktiver Zuchtformen, die in der Natur gar nicht vorkommen. Aber das bleibt wohl leider Wunschdenken…
Frank Schäfer
Lexikon zu den erwähnten Anemonenfischen Amphiprion & Co.
Amphiprion: aus dem altgriechischen, bedeutet etwa “auf beiden Seiten gesägt”, was sich auf die Kiemendeckelränder bezieht.
Premnas: ein im antiken Griechenland benutzter Fischname.
percula: Verkleinerungsform des lateinischen Namens für den Flussbarsch (Perca fluviatilis), also “kleiner Barsch”.
biaculeatus: aus dem lateinischen, bedeutet “mit zwei Stacheln”, wegen der Unteraugendornen.
ocellaris: latein, bedeutet “mit Augenflecken”.
clarkii: Widmungsname zu Ehren von John Clark, der die wunderbaren Fischtafeln stach, die Bennetts Werk “Fishes found on the coast of Ceylon” illustrieren, in der die Art 1830 beschrieben wurde.
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