Astacoides: Süßwasserkrebse aus Madagaskar

Das Vorkommen von Süßwasserkrebsen auf der Insel Madagaskar ist ein zoogeographisches Rätsel. Denn in Afrika fehlen Süßwasserkrebse vollkommen. Auch auf Madagaskar sind die sieben endemisch dort lebenden Arten nur in einem rund 60.000 km2 großen Gebiet im Südosten der Insel in Höhen zwischen 500 und 2.000 m verbreitet. Dieser Teil von Madagaskar ist einer gewaltigen Abholzung und damit einer enormen ökologischen Veränderung unterworfen.

Madagaskar – wenn im Hochland Regenwald durch diese Landschaft ersetzt wird, sterben viele Tier- und Pflanzenarten aus.

Alle sieben Arten der Madagaskar-Krebse werden der Gattung Astacoides zugeordnet. Bis in die 1980er Jahre glaubte man, es gäbe nur eine einzige Art mit mehreren Varietäten. Einen umfassenden Überblick über die Gattung lieferte dann Hobbs (1987), der sechs Arten unterschied, vor wenigen Jahren wurde eine zusätzliche Art wissenschaftlich beschrieben (Boyko et al., 2005). Astacoides gehört in die Verwandtschaft der Südkrebse (Parastacoidea), die wir aquaristisch vor allem in Form der von Neu-Guinea und aus Australien kommenden Gattung Cherax kennen. Die Arbeit von Hobbs kann hier kostenlos heruntergeladen werden: https://repository.si.edu/handle/10088/5543; darin befinden sich auch anatomische Zeichnungen aller sechs von ihm unterschiedenen Arten, anhand derer eine Bestimmung zumindest konservierter Exemplare möglich sein sollte. Die sieben bislang bekannten Arten heißen Astacoides madagascariensis (A. Milne Edwards & Audouin, 1839), A. caldwelli (Bate, 1865), A. betsileoensis Petit, 1923, A. granulimanus Monod & Petit, 1929, A. crosnieri Hobbs, 1987, A. petiti Hobbs, 1987 und A. hobbsi Boyko et al., 2005. Der zuletzt beschriebene A. hobbsi unterscheidet sich sehr einfach von den übrigen Arten durch seine Färbung, die einheitlich weiß ist.

Astacoides betsileonensis erkennet man an dem stark bestachelten Carapax

Die Zugehörigkeit der Madagaskar-Krebse zu den Südkrebsen wurde auf molekularer Basis bestätigt (Crandall et al. 2000, Rode & Babcock, 2003), die Parastacoidea sind monophyletisch (das heißt, alle ihr zugeordneten Gattungen und Arten haben einen gemeinsamen Vorfahren). Molekulare Berechnungen weisen darauf hin, dass die Artbildung bei den Südkrebsen vor etwa 161 Millionen Jahren begann (Breinholz et al., 2009), was sehr gut zu den aktuellen Vorstellungen der Kontinetaldrift passt, wonach die Nord- und Südkrebse durch das Auseinanderbrechen der Urkontinente Gondwana und Laurasia während der Kreidezeit voneinander isoliert wurden und anschließend auch evolutionär eigene Wege gingen. Warum allerdings in Afrika keine Süßwasserkrebse (mehr?) existieren, erklären auch diese neueren Forschungsergebnisse nicht.

Grüne Farbmophe von Astacoides betsileonensis

Vier Arten der Madagaskar-Süßwasserkrebse konnte Aquaristik Service Reuter im Oktober 2007 nach Deutschland importieren; dies war der bis dahin wohl erste kommerzielle Import für private Haltungszwecke überhaupt – und, soweit ich weiß, auch der einzige.

Astacoides betsileonensis, rote Morphe

Die spektakulärste der importierten Arten ist sicherlich A. betsileonensis, eine bis zu 18 cm Gesamtlänge erreichende Art mit mächtigen, bizzarren Dornen am Carapax, was sie unverwechselbar macht. Die Art ist zudem sehr attraktiv rot und blau gefärbt. Die zweite Art ist A. madagascarensis, die größte Art der Gattung. Bei ihr sind die Seiten des Carapax nur granuliert, nicht mit Dornen versehen. Schließlich befand sich noch A. granulimanus in der Sendung, eine rund 14 cm (Gesamtlänge) lang werdende Art. Die beiden letzteren haben wesentlich kleinere Augen als A. betsileonens, auch daran kann man sie erkennen. Schließlich war ein Exemplar einer A. granulimanus sehr ähnlich gefärbten Art vertreten, bei dem es sich um A. caldwelli handeln dürfte.

Prächtiges Exemplar von Astacoides betsileonensis

Wenngleich die Madagaskar-Krebse nicht die größte bekannte Süßwasserkrebsart stellen, können sie doch beachtliche Längen erreichen. Die größte Art der Gattung Astacoides ist A. madagascarensis. Sie kann fast 9 cm Carapaxlänge erreichen, was einer Gesamtlänge von 19-20 cm entspricht. Die kleinste Art ist A. crosnieri, mit 5.3 cm Carapaxlänge (also etwa 11-12 cm Gesamtlänge).

Astacoides madagascariensis

Männchen und Weibchen unterscheiden sich äußerlich kaum bei Astacoides. Zur Geschlechtsunterscheidung muss man die Tiere auf den Rücken drehen. Die Männchen haben ihre Geschlechtsöffnungen (Gonoporen) an der Basis des fünften Schreitbeinpaares, die Weibchen an der Basis des dritten. Bei Tieren gleicher Größe haben die Weibchen etwas flacher gebaute Hinterleibssegmente, doch das ist bei lebenden Tieren schwer zu sehen, zumal Astacoides dazu neigen, den Hinterleib untergeschlagen zu tragen. Die Fortpflanzung dieser Krebse ist bislang nicht detailliert beschrieben worden, doch kann man davon ausgehen, dass sie in groben Zügen der der aquaristisch gut bekannten Cherax-Arten gleicht.

Bereits 1929 wurde auf die starke Bedrohung der Bestände durch künstlich eingeführte Forellen und die Abholzung hingewiesen (Monod & Petit, 1929). Dass das in der Zwischenzeit nicht besser geworden ist, bedarf wohl kaum der Erwähnung; jetzt ist noch eine weitere Bedrohung hinzugekommen, nämlich eingeführte Marmorkrebse (Procambarus virginalis). Diese parthenogenetische Art (es gibt ausschließlich Weibchen, die sich durch Klonen fortpflanzen) kommt mit den veränderten Umweltbedingungen offenbar erheblich besser zurecht als die Astacoides und vermehren sich massenhaft (Gutekunst et al., 2018). Dadurch treten sie selbstverständlich in Konkurrenz mit den verbliebenen Restbeständen der bodenständigen Formen, die vielleicht gerade noch so, allen Widrigkeiten zum Trotz überlebt haben. Diese invasiven Massenauftreten fremdländischer Arten in vom Menschen gestörten Lebensräumen ist ein weltweit zu beobachtendes Phänomen, auf das von Politikerseite meist mit völlig ungeeigneten Maßnahmen reagiert wird. 1929 appellierten die Forscher, Grundeigner mögen auf ihren Geländen Krebszucht propagieren, um den drohenden Niedergang der Arten aufzuhalten; tatsächlich wäre das ein guter Weg, der z.B. bei vielen bedrohten Krokodilarten bereits zu beachtlichen Bestandszunahmen geführt hat. Überall, wo Krokodile in Farmen zur Leder- und Fleischgewinnung gezüchtet werden dürfen, also einen gewissen wirtschaftlichen Wert darstellen, da wachsen auch die wildlebenden Bestände, da weder ein pekuniärer Anreiz besteht, ihnen weiter nachzustellen, noch die Notwendigkeit, unliebsame Mitfresser bei der Fischerei loszuwerden – man arbeitet bequemer und lukrativer in den Krokdil-Farmen als auf dem Fischerboot. Wo jedoch die Krokodile unter strikten Schutz gestellt werden, Haltung, Zucht und Vermarktung von Krokodilprodukten restriktiver behördlicher Aufsicht oder gar totalen Verboten unterliegt, dort blüht der Schwarzmarkt mit illegal gejagten Wildkrokodilen und die Bestände brechen zusammen und verschwinden.

Bei diesem Astacoides handelt es sich höchstwahrscheinlich um A. granulimanus.

Kommerzielle Nutzung, das hat sich schon oft gezeigt, ist – vorausgesetzt sie wird intelligent betrieben – die wirksamste aller Artenschutzmaßmahmen, die man derzeit kennt. Dabei ist es unerheblich, ob diese kommerzielle Nutzung direkt (also durch Verzehr, Ledergewinnung etc.) oder indirekt (durch Öko-Tourismus bei ausreichend attraktiven Arten) geschieht. Dabei darf man auch nicht vergessen, dass eine solche Schutzmaßnahme sich auch immer positiv auf die Bestände zahlreicher unattraktiver, aber nichts desto Trotz ebenso bedrohter Tierarten auswirkt.

In Bezug auf die Madagaskar-Krebse bleibt die Hoffnung auf Artenrettung durch Aquakultur allerdings wohl Wunschdenken. Man ist das 1929 nicht angegangen und auch heute besteht scheinbar keinerlei Interesse bei der lokalen Bevölkerung, so etwas zu tun (Jones, Andriahajaina & Hockley, 2007).

Dieser Astacoides caldwelli zeigt, dass Astacoides dazu neigen, den Hinterleib untergeschlagen zu tragen

Über die Lebensweise der Madagaskar-Krebse in freier Natur ist kaum etwas bekannt. Man weiß, dass die Arten A. betsileonensis, A. caldwelli, A. hobbsi, A granulimanus und A. madagscarensis typischerweise in Fließgewässern mit gerölligem Boden leben, doch kommen die Arten A. crosnieri und A. petiti aus sumpfigen Gebieten. Eine neuere Studie (Jones et al., 2007)  liefert die genauesten zur Zeit zur Verfügung stehenden Daten. Sie bestätigen im Wesentlichen, was man bislang schon wusste: Astacoides sind äußerst empfindlich gegen die Störung des Lebensraums, vor allem die Abholzung ist ein gewaltiges Problem. Sie werden in großen Mengen als Speisekrebse auf die lokalen Märkte gebracht. Bei manchen Arten, z.B. beim imposanten A. betsileonensis, kommt hinzu, dass sie erst sehr spät geschlechtsreif werden. A. granulimanus und A. grosnieri haben die längste Jugendentwicklung, die man bislang von Süßwasserkrebsen überhaupt kennt. Nur rund 10% der etwa 900 auf Märkten vermessenen Abetsileonensis hatten eine Carapaxlänge über 6 cm und somit die Chance, bereits zu reproduzieren.

Leider wurde über die Aquarienpflege bisher kaum berichtet, das Interesse der Hobbyisten an diesen Krebsen ist wohl nur äußerst gering. Die Ernährung der Madagaskar-Krebse im Aquarium ist problemlos, sie sind Allesfresser, wie man das von Krebsen gewohnt ist. Ansonsten ist die Pflege der Tiere noch absolutes Neuland. Kühleres Wasser (um 12°C) wird besser vertragen, als wenn die Temperaturen über 25°C ansteigen. Untereinander sind sie nicht übermäßig aggressiv, doch ist eine Vergesellschaftung von Flusskrebsen allgemein immer eine riskante Angelegenheit. Wirklich sozial ist keine Art und ein frisch gehäuteter Artgenosse wird durchaus auch als Futter angesehen.

Frank Schäfer

Literatur

Boyko, C. B., Ravoahangimalala, O. R., Randriamasimanana, D. É. S. I. R. É., & T. H. Razafindrazaka (2005): Astacoides hobbsi, a new crayfish (Crustacea: Decapoda: Parastacidae) from Madagascar. Zootaxa, 1091 (1), 41-51.

Breinholt, J., Pérez-Losada, M. & K. A. Crandall (2009): The timing of diversification of the Freshwater Crayfishes. Crustacean Issues 18: 343-356

Crandall, K.A., Harris, D.J. & J. W. Fetzner (2000): The monophyletic origin of freshwater cray-fishes estimated from nuclear and mitochondrial DNA sequences. Proc. Roy. Soc. Lond. B. Biol.Sci. 267: 1679–1686

Gutekunst, J., Andriantsoa, R., Falckenhayn, C., Hanna, K., Stein, W., Rasamy, J., & F. Lyko (2018): Clonal genome evolution and rapid invasive spread of the marbled crayfish. Nature ecology & evolution, (3), 567.

Hobbs, H.H., Jr. (1987): A review of the crayfish genus Astacoides (Decapoda: Parastacidae). Smithsonian Contributions to Zoology, 1443, 1–50.

Jones, J. P., Andriahajaina, F. B., Hockley, N. J., Crandall, K. A., & O. R. Ravoahangimalala (2007): The ecology and conservation status of Madagascar’s endemic freshwater crayfish (Parastacidae; Astacoides). Freshwater Biology, 52 (9), 1820-1833.

Jones, J. P., Andriahajaina, F. B.  & N. J. Hockley. (2007): The potential of native species aquaculture to achieve conservation objectives: freshwater crayfish in Madagascar. The International Journal of Biodiversity Science and Management, (4), 217-222.

Rode, A.L. & L. E. Babcock (2003): Phylogeny of fossil and extant freshwater crayfish and some closely related nephropid lobsters. J. Crust. Biol. 23: 418–435

Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

Weiterlesen

2 Kommentare zu “Astacoides: Süßwasserkrebse aus Madagaskar

  1. Pingback: Astacoides

  2. Dr. Premek Hamr

    Good article but PLEASE do not call them „crabs“ it is very confusing to people, they are „freshwater crayfish“! There are lots of (true) freshwater crabs in Africa (family Potamonau- tidae)! Madagascar is the only place in Africa where native freshwater crayfish (Parastacidae) occur!

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert