Der Goldfisch und der Koi sind die beiden am längsten domestizierten Fischarten des Planeten. Für den Goldfisch gelten rund 1.000 Jahre als Haustier als nachgewiesen. Für viele Menschen ist ein Goldfisch einfach nur ein bunter Fisch, der lebhaft und friedlich ist, mit einem einfachen, stromlinienförmigen Körperbau und mit großen, freundlich dreinblickenden Augen. Ein Allerweltsfisch, Fisch der Kinder, unter aquaristischen Aspekten „der“ Anfängerfisch schlechthin, bei dem man kaum etwas falsch machen kann. Aber auch der einfache Goldfisch, den jeder kennt, ist bereits etwas anderes als der “echte Goldfisch”, ungeachtet der Tatsache, dass er ihm in Körper- und Flossenform gleicht.
Die natürliche Färbung des wilden Goldfisches ist oliv-braun. Andere Färbungen kommen da und dort vor, vor allem in Flussniederungen, kleinen Seen und Nebengewässern, aber man geht davon aus, dass es sich dabei um Abkömmlinge ausgesetzter domestizierter Goldfische handelt. Aber selbstverständlich kommen auch in reinen Wildpopulationen Farbvarianten vor.
Zoologisch gesehen ist der Goldfisch ein Vertreter der Gattung Carassius. Zu dieser Gattung gehört auch eine in Mitteleuropa allgegenwärtig verbreitete Art, die Karausche (Carassius carassius) – zumindest galt das Attribut „allgegenwärtig“ früher. Die Karausche ist von allen Karpfenfischen Mitteleuropas am besten an kleine, nahrungs- und sauerstoffarme Gewässer angepasst. Eine Weile erträgt sie sogar das völlige Fehlen von Sauerstoff (sie veratmet dann Milchsäure, so wie das unsere Muskulatur tut, wenn sie in Sauerstoffnot gerät), kann das Austrocknen des Gewässers in Schlamm eingewühlt überstehen und sogar einfrieren, ohne dauerhaft Schaden zu nehmen. Aber all diese Lebenszähigkeit nutzt ihr heutzutage nichts. Durch das Trockenlegen von Sümpfen, das Zuschütten von Kleingewässern und das allgemeine Aufräumen der Natur ist sogar die Karausche vielerorts verschwunden und steht mittlerweile in zahlreichen Bundesländern auf der Roten Liste. Verwechslungen mit anderen Carassius-Arten, heimischen und eingeschleppten, machen Bestandsaufnahmen oft fragwürdig, weshalb man über die tatsächlichen Bestände nur schlecht informiert ist. Zu unserer Ur-Großväter Zeiten, also zwischen 1850 und 1870, galt eine Hungerform der Karausche, der so genannte Moorkarpfen, als einer der geeignetsten Aquarienfische überhaupt – wen wundert es! Der Moorkarpfen wurde bzw. wird (es gibt ihn ja auch heute noch, wenngleich ihn niemand mehr im Aquarium pflegt) niemals länger als 5-7 cm, während Karauschen, die optimal mit Futter und gutem Wasser versorgt werden, 40 cm lang und 2,5 kg schwer werden können! Der Rekord steht sogar bei 64 cm. Das alles steckt genetisch in Carassius carassius.
Es gibt/gab von der Karausche auch eine Goldform. Die entstand keineswegs durch eine Kreuzung mit dem Goldfisch, sondern durch eine spontane Mutation, die man Xanthorismus nennt, und die bei fast allen Fischen auftreten kann. Bekannte Beispiele für Xanthorismus sind unter den heimischen Arten die Goldorfe und die Goldschleie. Aber aus unerfindlichen Gründen interessiert sich niemand für die Goldkarausche. Ich versuche schon seit über 20 Jahren mal eine zu Gesicht zu bekommen, bisher vergeblich, von Kaufangeboten ganz zu schweigen.
Die bekannter Verwandter des Goldfisches ist der Giebel (Carassius gibelio). Von Goldfisch und Giebel glaubte man sogar lange Zeit, sie seien so nah miteinander verwandt, dass es sich lediglich um Unterarten der selben Spezies handele: C. auratus auratus und C. auratus gibelio. Das Unterarten-Konzept wird heutzutage kaum noch angewendet. Man steht heute eher auf dem Standpunkt: entweder es gibt Unterschiede – dann ist es auch eine eigenständige Art – oder es gibt sie nicht, dann braucht man sie auch nicht extra zu benennen. Das trifft freilich nicht immer und überall so einfach zu. Sieht man eine Kohlmeise aus Italien neben einer Kohlmeise aus Skandinavien, so fällt sofort der Größenunterschied auf. Da aber in dem großen Gebiet dazwischen alle möglichen Mischformen zwischen diesen Extremen zu finden sind, bleibt man dabei, die beiden als unterschiedliche Unterarten zu sehen. Mischpopulationen zwischen Giebel und Goldfisch sind aber aus der Natur nicht nachgewiesen, darum geht man von zwei guten Arten aus.
Die Urheimat des wilden Goldfisches sind China, Zentralasien, Japan und einige Gebiete Sibiriens, während der Giebel wohl auch in West-Sibirien vorkommt, allgemein aber als Bewohner des östlichen Europas gilt. Die beiden Arten können anhand geringfügiger anatomischer Merkmale auseinander gehalten werden, wie etwa der Kopfgröße im Verhältnis zur Körperlänge (geringer beim Giebel), der Anzahl der Kiemendornen (35-46 beim Goldfisch und 39-50 beim Giebel), Flossenstrahlen und Anzahl der Schuppen in der Seitenlinie. Allerdings hat die buchstäblich weltweite Verschleppung des Goldfisches durch den Menschen dazu geführt, dass natürliche Verbreitung und populationscharakteristische Merkmale heutzutage kaum noch nachvollziehbar und viele der wilden Populationen unklaren Ursprungs sind.
Der Goldfisch wurde bereits 1758 von Linné wissenschaftlich beschrieben. Die Beschreibung bezieht sich auf ein domestiziertes Exemplar. Das führte bei einigen Menschen zu der Idee, der Name Carassius auratus sei wissenschaftlich gar nicht gültig, weil die Internationalen Regeln für die zoologische Namensgebung explizit ausschließen, dass Haustiere mit einem eigenen wissenschaftlichen Namen belegt werden. Das ist aber falsch. Richtig ist: Haustiere bekommen keinen eigenen wissenschaftlichen Namen, weil sie per Definition artgleich mit der Wildform sind. Der Haushund ist darum immer Canis lupus, genau wie der Wolf, weil alle Haushunde vom Wolf abstammen; glücklicherweise kannte Linné den Wolf – er vergab den Namen Canis lupus. Da mit Linné die zoologische Namensgebung begann, braucht man nicht zu zanken. Wäre der Haushund jedoch in einer wissenschaftlich gültigen Arbeit früher als der Wolf als Canis familiaris beschrieben worden, so hieße der Wolf heute Canis familiaris und nicht Canis lupus, einfach weil Wolf und Haushund die gleiche zoologische Spezies sind und dabei der erstgeprägte wissenschaftliche Name der gültige ist. In der Causa Goldfisch ist es so, dass Linné die Wildform nicht kannte. Der Name Carassius auratus ist trotzdem verfügbar und muss auf den wilden Goldfisch und alle seine Zuchtformen angewendet werden.
Die Karausche – um die Beschreibung der bekanntesten Carassius-Arten abzuschließen – ist oliv-braun, aber deutlich hochrückiger als die beiden anderen Arten, die Rückenflosse der Karausche hat einen konvexen Rand (konkav bei den beiden anderen Arten), die Karausche hat einen Schwanzwurzelfleck (dieser fehlt bei allen anderen Carassius-Arten). Schließlich hat die Karausche unterschiedliche Zählwerte bezüglich Flossenstrahlen und Kiemendornen.
Die weite Verbreitung des Goldfisches, die mit seiner außergewöhnlichen angeborenen Plastizität erklärbar ist, führte zu leicht unterschiedlichen Formen, die teils von Örtlichkeiten, teils von Umweltbedingungen geprägt sind und das führte über die Zeit zu zahlreichen wissenschaftlichen Beschreibungen von Arten und Unterarten. 1945 gab es nicht weniger als 42 offizielle wissenschaftliche Beschreibungen von Goldfischen und anderen Carassius-Arten! Seit damals hat man die Artenzahl auf sechs reduziert.
FishBase listet für Carassius folgende Formen als valide:
C. auratus (Goldfisch, Kin-buna*)
C. carassius (Karausche)
C. cuvieri (Japanische oder Weiße Karausche)
C. gibelio (Giebel)
C. langsdorfii (Gin-buna*)
Carassius praecipuus (eine Zwergart aus Laos, die nur 7 cm lang wird und erst 2017 beschrieben wurde)
Die mit Sternchen (*) versehenen Populärnamen sind japanischen Ursprungs.
C. auratus argenteaphthalmus ist eine umstrittene Unterart, die Nguyen 2001 beschrieb. Sie kommt aus Vietnam. In einer sehr aktuellen Arbeit (Rylková et al. 2018) wurde diese Carassius-Form genetisch untersucht. Dabei kam heraus, dass sich tatsächlich in Vietnam zwei genetisch unterschiedliche Formen finden, dass jedoch das von Nguyen als Artmerkmal angenommene rote Auge nicht zur Unterscheidung geeignet ist, da es bei beiden Formen auftreten kann – oder auch nicht; wenn argenteaphthalmus eine valide Form ist, dann eher als eigenständige Art, nicht als Unterart.
Die einzige Carassius-Art, der die meisten von uns je in ihrem Leben begegnen werden, ist der Gemeine Goldfisch. Mit Giebel und Karausche kommen gewöhnlich nur Angler in Berührung. Seit 2007 wird allerdings auch Carassius langsdorfii in Europa nachgewiesen. Man nimmt an, dass dieser Fisch versehentlich mit Koi-Importen aus Japan nach Europa kam. Genetische Untersuchungen zeigen, dass die verschiedenen Carassius-Formen sich auf molekularer Ebene sehr deutlich voneinander unterscheiden, viel deutlicher jedenfalls, als man das nach äußeren Merkmalen annehmen würde.
Die eigentliche Wildform des Goldfisches bleibt ein rätselhafter Fisch. Es ist kaum zu erwarten, dass es heutzutage überhaupt noch möglich ist, reine Wildpopulationen davon zu finden, denn wenngleich bisher klimatische Gründe dafür sorgen, dass sich diese Fischart in Mitteleuropa nicht dauerhaft etablieren kann (was sich allerdings durch die weltweite Klimaerwärmung durchaus ändern könnte): dadurch, dass seit rund tausend Jahren Goldfische in China und anderen Teil des buddhistischen Asiens als glücksbringende, religiöse Handlung ausgesetzt werden, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass es nicht vom Menschen züchterisch beeinflusste Wildgoldfische überhaupt noch existieren.
Frank Schäfer
Aktuelle Literatur (Auswahl):
Chen, D., Zhang, Q., Tang, W., Huang, Z., Wang, G., Wang, Y., … & Zhang, J. (2020). The evolutionary origin and domestication history of goldfish (Carassius auratus). Proceedings of the National Academy of Sciences, 117(47), 29775-29785.
Kalous, L., Rylkov a, K., Bohlen, J., Sanda, R., & Petrt yl, M. (2013): New mtDNA data reveal a wide distribution of the Japanese ginbuna Carassius langsdorfii in Europe. Journal of Fish Biology, 82, 703–707. https://doi.org/10.1111/j.1095-8649.2012.03492.x
Kalous, L., Slechtov a, V., Bohlen, J., Petrty l, M., & Švátora, M. (2007): First European record of Carassius langsdorfii from the Elbe basin. Journal of Fish Biology, 70, 132–138. https://doi.org/10.1111/j.1095-8649.2006.01290.x
Knytl, M., Forsythe, A., & Kalous, L. (2022). A fish of multiple faces, which show us enigmatic and incredible phenomena in nature: Biology and cytogenetics of the genus Carassius. International Journal of Molecular Sciences, 23(15), 8095.
Kottelat, M. (2017): Carassius praecipuus, a dwarf new species of goldfish from the Mekong drainage in central Laos (Teleostei: Cyprinidae). Revue Suisse de Zoologie v. 124 (no. 2): 323-329.
Liu, Q., Liu, J., Liang, Q., Qi, Y., Tao, M., Zhang, C., … & Liu, S. (2019). A hybrid lineage derived from hybridization of Carassius cuvieri and Carassius auratus red var. and a new type of improved fish obtained by back-crossing. Aquaculture, 505, 173-182.
Rylková, K., M. Petrtýl, A. T. Bui and L. Kalous (2018): Just a Vietnamese goldfish or another Carassius? Validity of Carassius argenteaphthalmus Nguyen & Ngo, 2001 (Teleostei: Cyprinidae). Journal of Zoological Systematics and Evolutionary Research 2018;00:1–9. https://doi.org/10.1111/jzs.12223
Rylkov a, K., Kalous, L., Bohlen, J., Lamatsch, D. K., & Petrty l, M. (2013). Phylogeny and biogeographic history of the cyprinid fish genus Carassius (Teleostei: Cyprinidae) with focus on natural and anthropogenic arrivals in Europe. Aquaculture, 380, 13–20. https://doi.org/ 10.1016/j.aquaculture.2012.11.027
Sayer, C. D., Emson, D., Patmore, I. R., Greaves, H. M., West, W. P., Payne, J., … & Copp, G. H. (2020). Recovery of the crucian carp Carassius carassius (L.): Approach and early results of an English conservation project. Aquatic Conservation: Marine and Freshwater Ecosystems, 30(12), 2240-2253.
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Sehr interessanter und informativer Artikel! Ich finde Goldfische einfach, aber wunderschön. Mein Mann und ich wollen bald einen Teich im Garten ausheben und da sollen Goldfische auf keinen Fall fehlen! Danke für den Beitrag!