Es geschah im heißen Sommer 2013. Am Montag, dem 5.8. wurde einem achtjährigen Jungen beim Baden im Oggenrieder Weiher, der zur Gemeinde Irsee (Landkreis Ostallgäu) gehört, eine schwere Verletzung am Fuß zugefügt, bei der die Achilles-Sehne zweifach durchtrennt wurde. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit soll eine Schnappschildkröte diese Verletzung verursacht haben.
Noch niemand hat die ominöse Schildkröte gesehen – auch der verletzte Junge nicht. Die Vermutung, dass es sich um den Biss einer Schnappschildkröte handele, kommt laut Presse (Kreisbote vom 11.8.2013) vom behandelnden Arzt und von nicht näher genannten Experten vom Zoologischen Institut in München. Wie man den Biss einer Schnappschildkröte allerdings erkennen will, bleibt unklar: es gibt nämlich keinen einzigen dokumentierten Fall weltweit, bei dem eine Schnappschildkröte einem Menschen eine so schwere Verletzung zugefügt hätte, es fehlt also schlicht an Vergleichsmöglichkeiten. Aber das Tier bekam einen Namen: Lotti. Und damit wurde eine PR-Maschine vom Feinsten losgetreten!
Weltweites Aufsehen
Wer einen Namen hat, kommt in die Presse. Am 12. August berichteten die BBC Europe und die kanadische CBC online über den Fall, nahezu überall in Deutschland waren Lotti und Irsee im Blätterwald vertreten. Niemand erwartet von der Tagespresse naturwissenschaftliche Akkuratesse. Aber dass wirklich kein einziger Redakteur einmal auf die Idee kam, diesen Nonsens zu hinterfragen, stimmt doch nachdenklich. Statt dessen wurde im „Buch der Übertreibungen“ geblättert und aus einer im Grunde genommen harmlosen Schildkröte, deren Gefährlichkeit für den Menschen jedenfalls weit hinter der eines Dackels liegt, wurde ein bis zu 100 kg schweres Monster, dessen Aussetzen im beliebtesten Naherholungsgebiet der Region durch einen gesetzes- und gewissenlosen Tierhalter nichts als Unverständnis und Kopfschütteln bei der armen geschundenen Badesee-Besucherschaft hervorrief.
Was sind Schnappschildkröten?
Schnappschildkröten bilden eine eigenständige Familie, die Chelydridae, die es seit der Kreidezeit gibt. Damals hatten die Tiere eine weite Verbreitung In Asien, Europa und Nordamerika. In Europa gab es sie noch bis vor ca 5 Millionen Jahren. Heute gibt es fünf bis sechs Arten von Schnappschildkröten: die Alligator-Schnappschildkröte Chelydra serpentina, die in zwei Unterarten (Nominatform und C. s. osceola) Kanada, praktisch die gesamten USA und Teile Mexikos besiedelt; die sehr ähnliche, Mittel- und Südamerika bewohnende C. acutirostris; die rein mittelamerikanische C. rossignonii; und schließlich die Geierschildkröte Macrochelys temminckii, die die in den Golf von Mexiko entwässernden Flüsse der USA von Texas bis Florida besiedelt. Von der Geierschildkröte wurden 2015 die Suwannee-Geierschildkröte (Macrochelys suwanniensis, endemisch im Einzug des Flusses Suwannee in Florida und Georgia) und M. apalachicolae abgegrenzt, jedoch ist nur M. suwannensis allgemein anerkannt worden.
Obwohl also ein riesiges natürliches Verbreitungsgebiet von diesen Schildkröten bewohnt wird, gibt es keinen einzigen verbürgten Bericht über einen unprovozierten Angriff eines dieser Tiere auf einen Badenden. Und da soll ausgerechnet im Allgäu eine ausgesetzte Schildkröte so völlig aus der Art schlagen? Wohl kaum…
War es eine Schnappschildkröte?
Die Schnappschildkröten scheiden bei der geschilderten Verletzung als Übeltäter von vornherein aus. Betrachten wir jedoch zunächst die Geierschildkröte, den bezüglich Größe und Beißkraft wahrscheinlichsten Kandidaten. Sie ist ein Lauerjäger, deren Zungenspitze zu einem wurm-artigen Fortsatz umgebildet ist. Mit offenem Maul liegt diese Schildkröte im Wasser und lockt mit ihrer Zunge Fische an, von denen sie sich ernährt. Zwar ist die Geierschildkröte mit bis zu 90 cm Länge und 80 kg Gewicht die größte Süßwasserschildkröte der Erde. Würde sie jedoch zubeißen (was sie ausschließlich zur Abwehr täte) gäbe es umlaufende Bissmarken in Form von Rillen bzw. Schnitten um den gesamten Knöchel des Kindes. Einen Fuß abbeißen kann sie nicht. Aufgrund der Maulstruktur kann keine Schnappschildkröte und somit auch keine Geierschildkröte lediglich ein Stück der Achillessehne herausbeißen.
Die beiden mittel- und südamerikanischen Arten können es schon deshalb nicht gewesen sein, weil sie als zoologische Raritäten praktisch nicht gehalten werden. Bleibt die nordamerikanische Alligator-Schnappschildkröte, Chelydra serpentina. Sie darf überall auf der Welt gehalten werden, außer in Deutschland. Hierzulande macht sich Vater Staat so große Sorgen um die Gefährdung der Öffentlichkeit durch wilde Monster, dass 1999 vorsorglich die Pflege und Zucht von allen Schnappschildkröten verboten wurde. Somit ist es durchaus vorstellbar, dass irgendwer sich ein Schnappschildkrötenbaby im Ausland gekauft hat und dass diese Person sich des schließlich lästig gewordenen Tieres durch Aussetzen entledigte – verkaufen oder an einen Zoo abgeben kann man es ja nicht, da die Haltung illegal ist – man würde sich selbst ans Messer liefern. Es werden leider auch immer wieder ausgesetzte Schnappschildkröten aufgefunden, allerdings nahezu ausschließlich von Anglern, denn Alligator-Schnappschildkröten sind nicht wählerisch im Futter und gehen auch an Fischköder. Doch selbst wenn es Lotti gibt und selbst wenn Lotti eine Alligator-Schnappschildkröte ist, so hat sie mit Sicherheit nicht die Achilles-Sehne eines Jungen durchgebissen! Denn eine wissenschaftlich belegte Tatsache spricht dagegen: Alligator-Schnappschildkröten verbeißen sich, wenn sie denn zubeißen, in ihren Angreifer und lassen ihn nicht mehr los – siehe den Fall eines dämlichen Tierhalters in den USA (siehe Link am Ende des Blogs: when turtles attack). Dabei verursachte eine ca. 12-14 kg schwere Schnappschildkröte, die sich in die Wange eines 16-jährigen Jünglings verbissen hatte, nur so geringe Hautverletzungen, dass sich eine Behandung derselben erübrigte.
Fakten über Alligator-Schnappschildkröten
Die Art Chelydra serpentina wird im weiblichen Geschlecht 24-36 cm lang, Männchen werden mit 24 bis 39 cm geringfügig größer. Die größte je gefundene Alligator-Schnappschildkröte war 47 cm lang. Die Tiere werden gewöhnlich 15-20 kg schwer, der Rekord liegt bei 31 kg. Diese Schildkröten können über 75 Jahre alt werden, wenn man sie lässt, doch liegt das Durchschnittsalter um die 30 Jahre. Noch nie ist ein Mensch durch Alligator-Schnappschildkröten zu Tode gekommen, doch jährlich werden unzählige der Tiere vom Menschen aus reinem Vergnügen oder zu Speisezwecken getötet. Alligator-Schnappschildkröten vermehren sich durch Eier, die in einer Grube an Land abgelegt werden. Pro Ablage werden 10-30 Eier produziert, aus denen nach 9-18 Wochen die Jungtiere schlüpfen. Sie sind dann vier bis fünf Zentimeter lang. Trotz der Verfolgung durch den Menschen sind die Schnappschildkröten wegen ihrer Anpassungsfähigkeit nicht im Bestand gefährdet.
Sie sind nicht böse
Immer wieder wird das freche Haltungsverbot von Schappschildkröten in Deutschland mit der Gefahr begründet, die angeblich von ihnen ausgeht. Es kann keinen Zweifel geben, dass größere Exemplare einem Menschen Bissverletzungen (in den Auswirkungen vergleichbar Hundebissen einer kleineren Hunderasse) zufügen können. Es ist dabei nicht auszuschließen, dass sogar ein Finger abgetrennt werden kann. Aber zu solchen Verletzungen kann es ausschließlich bei unvorsichtigen Manipulationen kommen. Niemals und unter keinen Umständen greift eine Schnappschildkröte unprovoziert einen Menschen an.
Die Handhabung großer Schnappschildkröten will freilich geübt sein. Ein stabiler, möglichst engmaschiger Käscher ist für alle Alligator-Schnappschildkröten das beste Instrument zum Umsetzen. Man beachte einfach immer, dass der Kopf der Schildkröte vom Körper des Menschen weg weist, dann kann überhaupt nichts passieren. Sehr große Geierschildkröten kann man alleine nicht handhaben, doch sind solche Staatsexemplare sehr teure Kostbarkeiten. Menschen die sie besitzen, brauchen von uns keine Belehrungen.
Untereinander und gegen andere Schildkröten sind Schnappschildkröten der Gattung Chelydra übrigens gewöhnlich friedlich, Macrochelys gilt als zänkisch. Ihre Pflege macht insgesamt relativ wenig Schwierigkeiten, ist allerdings, wie gesagt, in Deutschland verboten. Schade, denn wenn mehr Menschen Schnappschildkröten pflegen würden, statt sie sinnentleert zu verteufeln, könnten derartig unsinnige und wissenschaftlich unhaltbare Meldungen kaum in die Presse gelangen. Schnappschildkröten sind weder gut noch böse, weder harmlos noch gefährlich. Es sind einfach Tiere, die sich instinktgebunden verhalten und dabei amoralisch vorgehen – denn Moral kennt nur der Mensch. Es kann durch jedes Tier ausreichender Größe zu Verletzungen kommen, sei es durch Bisse, durch Kratzer oder durch Schläge. Zu ernsthaften Verletzungen durch freilebende Schnappschildkröten ist es noch nie gekommen, derartiges ist auch – abgesehen von der Gefahr von Sekundärinfektionen einer eventuellen Bisswunde – weder zu erwarten oder auch nur vorstellbar.
Lotti – ein reiner PR-Gag?
Die gute Nachricht ist: dem Jungen geht es wieder gut. Was auch immer zu seiner Verletzung führte (vermutlich eine Glasscherbe oder ein Draht), Lotti war es nicht. Der Weiher wurde abgelassen, Lotti nicht gefunden. Die Fische aus dem Weiher wurden umgesetzt, denn die Deutschen sind tierlieb. Bis heute ist Lotti immer mal wieder in der Presse zu finden und weil 1000 € Belohnung auf ihre Ergreifung ausgesetzt wurden, finden sich auch immer wieder Besucher des Weihers, die hoffen, die mysteriöse Lotti vielleicht doch wenigstens zu sichten. Bei den erstmal grundsätzlich verdächtigen Exotenhaltern der Gemeinde wurden Hausdurchsuchungen durchgeführt, die zwar ergebnislos verliefen, die dem Pack aber hoffentlich eine Lehre sind, niemals auf den Gedanken zu kommen, solch abscheuliche Monster zu pflegen. Doch bei allem Verständnis dafür, dass Verantwortliche kaum jemals Sachverständige sind, muss man sich doch fragen – wer, um Himmels willen, hat die Leute beraten? Noch gibt es jede Menge lebender Menschen in Deutschland, die vor 1999 Schnappschildkröten privat gepflegt haben und die den Verantwortlichen vor Ort sinnvolle Ratschläge hätten geben können. Es gibt außerdem kompetente Tierhalterverbände wie die DGHT (Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde) und zoologische Gärten, die sich mit Schnappschildkröten auskennen. Statt dessen wurden offenbar wieder einmal ausschließlich Einwohner von Dummbach zur Vorgehensweise bei Lotti befragt. Oder sollte Lotti vielleicht doch nur ein verdammt cleverer PR-Gag sein?
Frank Schäfer
Quellen zu Lotti:
https://www.tz.de/welt/alligator-schildkroete-treibt-weiter-unwesen-zr-3052125.html
http://www.bbc.co.uk/news/world-europe-23664554
http://www.cbc.ca/news/world/germans-hunt-snapping-turtle-after-reported-attack-on-boy-1.1330393
Quellen zu wissenschaftlich belegten Bissen von Schnappschildkröten
http://epmonthly.com/article/when-turtles-attack/
http://epmonthly.com/article/when-turtles-attack-part-ii/
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In 66359 Bous im Agelweier hat Einer Zwei Stück ausgeshtz eine von 15 cm und eine von ca. 20cm vomaushehen her müßten es Schnappschildkröten sein.Wie kann man sowas unveranwortliechs tun???!!!!!!!
Grüße Alle Tierfreunde
Elmar
..einfach der beste deutschsprachige Artikel zum Thema „Schnappschildkröte“… danke