Am Rio Atabapo

Da ich gerade auf dem Weg nach Hamburg bin, um beim BSSW einen vortrag zu halten, kommt heute mal ein Gastbeitrag über den Rio Atabapo, einen Nebenfluss des Orinoco, im Territorio Amazonas und die Entdeckung eines bis 1988 unbekannten Großcichliden der bis dahin für Venezuela nicht nachgewiesenen Gattung Uaru:

Ufer des Rio Atabapo. Photo: Uwe Werner

Im Jahr 1973, es war meine 2. Reise nach Venezuela, flog ich, ausgestattet mit einem Sammelauftrag für die Zoologische Staatssammlung München und begleitet von einem Freund, in meine heutige Wahlheimat. Allerdings ahnte ich damals noch nicht, dass es jemals dazu kommen würde und noch weniger, dass meine Faszination für dieses Land mehr als 23 Jahre andauern könnte. Durch die Hilfe von Pedro Trebbau Milowitsch (ein Neffe von „Willi“) damals Direktor des zoologischen Gartens EL PINAR in Caracas, wurden Kontakte zu MAC und MARN (Landwirtschafts- und Umweltministerium) hergestellt. Wir wurden den Herren Torres und Villaroel, Repräsentanten des jeweiligen Ministeriums vorgestellt, und schon nach zwei Tagen konnten wir mit ihnen und einer zweimotorigen Maschine einen Flug nach San Fernando de Atabapo antreten.

Die sprachlichen Barrieren waren relativ schnell überwunden, obwohl unser Englisch gleichermaßen schlecht und weder Spanisch noch Deutsch dieses Defizit ausgleichen konnten. Doch erstaunlicherweise klappte die Verständigung mit Hilfe eines deutsch-spanischen Wörterbuches während unseres einwöchigen Aufenthaltes am Atabapo relativ gut. Wir waren alle Freunde geworden.

Der Rio Atabapo übertraf alle Vorstellungen, die wir uns von einem südamerikanischen Schwarzwasserfluss gemacht hatten. Sein kaffeebraunes Wasser mit seinen schneeweißen Uferregionen war etwas für uns bis dahin nie Vorstellbares. Mit Hilfe unserer spärlichen Fangausrüstung brachten wir es innerhalb einer Woche auf immerhin 109 Arten aus verschiedenen Fischfamilien. Ein Teil unseres konservierten Materials blieb bei der Universidad Central in Caracas (UCV) und alles andere wurde der ­Zoologischen Staatssammlung München übergeben. Lebende Fische konnten wir, außer einigen Exemplaren, die wir der Gattung Peckoltia zuordneten, nicht mitnehmen, da uns noch weitere Reisen bevorstanden.

Es ist an dieser Stelle nicht möglich, alle Arten, die wir damals fingen, aufzuzählen. Als steter Cichlidenliebhaber möchte ich aber wenigstens diese Familie hervorheben: 2 Arten der Gattung Cichla, 2 Arten Crenicichla, 3 Arten Aequidens, je 1x Pterophyllum, Biotodoma, Acaronia, 3 Arten Geophagus (heute allerdings 1x Geophagus, 2x Satanoperca), 4 Arten Cichlasoma (heute Mesonauta, Heros, Hoplarchus und Hypselecara). Über Sinn oder Unsinn stetiger Revisionen und andauernder Umbenennung eingebürgerter Gattungs- und Artnamen darf man sicher diskutieren. Das soll aber an dieser Stelle kein Thema sein.

Diese Aequidens-Art aus dem Rio Atabapo ist wissenschaftlich noch unbeschrieben.
Pterophyllum altum, der Hohe Segelflosser, ist ein begehrter Aquarienfisch aus dem Rio Atabapo.

Die Gattung Uaru schien bis zu diesem Zeitpunkt jedenfalls auf Brasilien (eventuell sogar monotypisch) beschränkt zu sein.

Von 1975 bis 1987 reiste ich mehr als zehn Mal zu meinem Rio Atabapo. Dieser Fluss hatte es mir angetan. Seine Schönheit und seine reiche Fischfauna waren immer eine neues Erlebnis. Viele der dort lebenden Menschen und Fischer kannte ich bereits sehr gut. Sie fischten teilweise mit Netzen, häufiger mit Fischspeeren, aber auch mit Pfeil und Bogen.

Eines Abends im April 1988, als sie mit ihrer Beute heimkehrten, sah ich in einem Bongo einen kleinen Haufen gespeerter Fische. Er bestand hauptsächlich aus Heros, Hypselecara und Hoplarchus, die in ihrem Todeskampf eine mehr oder weniger dunkelbraune Färbung annehmen. (Die Fische werden ja nicht abgeschlagen bzw. getötet. Spricht man die Fischer darauf an, dass die Fische doch sehr leiden müssen, wenn sie so langsam sterben, ist die Antwort: Ja, aber so halten sie länger frisch.) Aus besagter Beute fielen mir sofort zwei völlig abweichend gefärbte Tiere auf. Sie wichen von den anderen bereits toten oder verendeten Fischen durch eine fast leuchtende hellgraue Färbung ab. Auf diese Fische angesprochen, sagten sie mir, dass es ”Ron Rona” seien. Die sind nicht  so häufig und schmecken auch nicht so gut.

Die meisten Großcichliden in Venezuela werden als „Viejas“ bezeichnet. Ausnahmen bilden Cichla als „Pavon“, Crenicichla als „Mataguaro“, Aequidens als „Mochorroca“, Astronotus nennt man „Cupaneca” oder „Pavona“ und Hoplarchus „Vieja lora“. Diese Unterscheidungen machen allerdings nur die gebildeteren Fischer. Im Allgemeinen sind große Cichliden immer „Viejas“, was übersetzt letztlich die „Alten“ bedeutet.

Den Ursprung dieses und anderer Trivialnamen zu ergründen, wäre sicher hochinteressant.  Was „Viejas“ oder „die Alten” anbelangt, konnte ich bisher keine ausreichende Erklärung finden. Ob „Ron Rona” etwas mit Rum zu tun hat, ist auch zu bezweifeln, obwohl das alkoholische Getränk in Venezuela „Ron” heißt. Oft sind solche Trivialnamen auch nur auf einzelne Regionen in Venezuela bezogen. So heißen im Edo. Barinas Pimelodus pictus „Matafraile“, der Mönchstöter, und Pygocentrus caribe ( = Serrasalmus notatus ) „Capaburro”, der Eselskastrierer. Es gäbe noch etliche Beispiele kurioser Namensgebung der Bevölkerung. Doch zurück zu unserem Uaru.

Microschemobrycon casiquiare aus dem Rio Atabapo, eine kleine Salmlerart

Nachdem ich mir die fast toten Fische genauer angeschaut hatte, war mir klar, dass ich sie weder den Gattungen Heros oder Hoplarchus noch Hypselecara zuordnen konnte. Andere Cichlidengattungen kamen ja noch viel weniger in Frage. Uaru amphiacanthoides kannte ich aus meiner Aquarianerzeit in Deutschland sehr gut. Doch galt die Gattung bis dahin als monotypisch und war nur im Einzugsgebiet des Rio Amazonas in Brasilien bekannt. Dass aber andererseits ein doch immerhin ca. 25 cm großer Cichlide, sich so lange einer wissenschaftlichen Bestimmung entziehen konnte, war auch kaum glaublich. Hatten sich doch über Jahre US – und venezolanische Ichthyologen mehrfach mit der Atabapo-Fischfauna beschäftigt. Wie bereits erwähnt, traf auch ich auf meinen mehrfach voran­gegangenen Reisen niemals auf diesen Fisch.

Meine Neugier war jedenfalls geweckt und so zog ich am folgenden Tag mit den gleichen Fischern los, um gezielt „Ron Rona“ zu suchen. Wir erbeuteten schließlich nach ganztägiger Suche zwei adulte Tiere, vermutlich ein Pärchen, die sich heute als Typusmaterial im Zoologischen Forschungsinstitut und Museum Alexander König in Bonn befinden. Während meiner Deutschlandreise im Jahr 1988 übergab ich beide Exemplare einem der besten Cichliden-Kenner, Rainer Stawikowski, mit der Bitte herauszufinden, um was es sich hier denn handeln könnte. Wenn es tatsächlich, wie wir vermuteten, eine völlig neue Art sein sollte, möge er sie doch bitte zu Ehren meines hochgeschätzten väterlichen Freundes Augustin Fernandez Yepez benennen.

Augustin lernte ich 1975 kennen, als ich mit dem Aufbau des Aquariums von Valencia beschäftigt war.  Er war zu diesem Zeitpunkt eindeutig der beste Kenner der venezolanischen Limnofauna. Kein Schreibtisch-Ichthyologe, wie viele seiner Kritiker. Er war ein Mann des Campos, wo er fast aus­schließlich seine Studien machte. Ein hervorragender Zeichner, der aus dem Stegreif fast naturgetreue Skizzen der verschiedensten Fische fertigte. Mir war er vor allem aber bei der Suche nach noch fehlenden repräsentativen Arten für das Aquarium mit geradezu kilometergenauen Angaben behilflich. Nur ein einziges Mal konnten wir eine gemeinsame Exkursion zum Rio Casiquiare und Rio Negro unternehmen.

Geistig frisch und sehr rege war er doch ein gebrochener Mann. Er litt an einer schweren, unheilbaren Krankheit: Knochenmarkskrebs. Er starb am 27.3.1977, allerdings bei einem Verkehrsunfall, im Alter von 61 Jahren, als ich gerade am Rio Casiquiare und Rio Negro war. Die Nachricht von seinem Tod traf mich bei meiner Rückkehr schwer. Ich hatte einen guten Freund verloren, dem ich nicht einmal die letzte Ehre erweisen konnte.

So war es mein größter Wunsch, dass ein markanter Fisch, für Venezuela ja sogar eine neue Gattung, zur steten Erinnerung seinen Namen trägt!

Mit der Beschreibung von Uaru fernandezyepezi ist das geschehen. Für die Erfüllung dieses Wunsches möchte ich mich auch an dieser Stelle bei meinem Freund Rainer Stawikowski bedanken.

Noch einige Angaben zum Rio Atabapo: es handelt sich um einen typischen Schwarzwasserfluss von 131 km Länge mit einigen Klarwasserzuläufen (Morichales).  Der Fluß bildet teilweise die Grenze zwischen Venezuela und Kolumbien. Die Wassertemperaturen liegen meist höher als Lufttemperaturen: bei 30,2 bis 33,2 zu 24,5 bis 31,9 °C,  pH 3,4 bis 4,6, Leitwert 6 bis 12 µS. Von Mai bis Oktober/November, während der Regenzeit, finden teilweise weite Überflutungen des Flussbettes statt, wobei sich große Lagunen bilden (mündliche Mitteilung von Franz Weibezahn 1985-87). Eine erste große Bestandsaufnahme der Ichthyofauna des Rio Atabapo fand 1992 statt. Sie weist 32 Fischfamilien mit 169 Arten auf. In der jüngsten aus dem Jahr 2009 sind es sogar schon 240 Arten. Uaru fernandezyepezi wurde immer nur in wenigen Exemplaren im eigentlichen Flussbett oder in absoluter Nähe seiner Zuläufe gefunden.

Gastbeitrag von Hans J. Köpke, Venezuela


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Über den Autor Frank Schäfer

Frank Schäfer, geboren 1964, Biologe, seit frühester Jugend Tier- und Pflanzenhalter aus Leidenschaft. Sein besonderes Interesse gilt seit jeher den Fischen, aber Reptilien, Amphibien, Wirbellose, Kleinsäuger und Vögel sowie eine Vielzahl von Pflanzen begeistern ihn ebenso.

Seit 1980 Mitglied im Verein für Aquarien- und Terrarienkunde Hottonia e.V., dort seit 1982 auch immer wieder Vorstandsämter (Gartenwart, Redakteur der Vereinszeitschrift, 1. Schriftführer), seit 1982 Mitglied in der Internationalen Gemeinschaft für Labyrinthfische (IGL), seit 1992 auch im European Anabantoid Club (EAC). Erste Fachartikel über Pflege und Zucht von Puntius vittatus, Macropodus opercularis, Trionyx ferox und Polypterus senegalus in der Hottonia-Post 1981; erste große Fischfangreise in die Tropen 1983 nach Sumatra, worüber anschließend zahlreiche Aufsätze in der Hottonia-Post, der Zeitschrift „Der Makropode“ und „Das Aquarium“ erschienen; von da an regelmäßig Publikationen in vielen aquaristischen Fachzeitschriften, sowohl national wie auch international. Seither außerdem jährlich mehrere Dia-Vorträge auf nationalen und internationalen Tagungen.

Studium der Biologie in Darmstadt von 1984-1989, Abschluss als Diplom-Biologe mit den Prüfungsfächern Zoologie, Botanik, Ökologie und Psychologie. Diplomarbeit bei Prof. Ragnar Kinzelbach zum Thema „Wirtspezifität der Glochidien von Anodonta anatina“.

Zahlreiche Fang-, Sammel- und Studienreisen in das europäische Ausland, die Türkei, Sambia und vor allem Indien; Forschungsschwerpunkt ist die Süßwasserfischfauna des Ganges mit dem Ziel einer kompletten Revision der Arbeit von Francis Hamilton (1822): An account of the fishes found in the river Ganges and its branches. Edinburgh & London. Wissenschaftliche Erstbeschreibung von Oreichthys crenuchoides und gemeinsam mit Ulrich Schliewen von Polypterus mokelembembe. Wissenschaftliche Besuche und kurzzeitige Arbeiten in den zoologischen Sammlungen von London, Paris, Brüssel, Tervueren, Wien, Berlin, Frankfurt und München.

Seit 1996 bis heute Redakteur bei Aqualog und wissenschaftlicher Mitarbeiter zur Fischbestimmung bei Aquarium Glaser, Rodgau. In dieser Zeit verantwortlich als Autor oder Co-Autor von über 20 Büchern und über 400 größeren Fachartikeln, nicht nur bei Aqualog, sondern bei nahezu allen deutschsprachigen Fachverlagen, vereinzelt auch in internationalen Publikationen. Seit 2009 Betreuung der Homepage und des Newsletters bei Aquarium Glaser mit 3-5 Posts pro Woche. Nach wie vor leidenschaftlicher Tier- und Pflanzenpfleger, quer durch den Gemüsegarten: Aquaristik (Süß- und Seewasser), Terraristik, Teichpflege, Kleinvögel.

Frank Schäfer ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1989 und 1991 geboren wurden.

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