Wann begann der Mensch, Reptilien zu pflegen? So ganz genau weiß man das natürlich nicht, aber schon in der Religion der alten Ägypter spielen Krokodile und Schlangen eine große Rolle. Es gab eigene Tempel für Krokodile und auch für Schlangen. Jegliche Form der Tierhaltung hatte wohl ursprünglich religiöse Motive. Die Tierhaltung während der Steinzeit in der so genannten neolithischen Revolution war ganz sicher auch ursprünglich von Religion beeinflusst. Warum sonst wurde das Rind domestiziert, der Wisent hingegen nicht? Bis heute gibt es auf alten mythischen Vorstellungen beruhende, kultische Handlungen bei Rindern, man denke an den Stierkampf in Südeuropa oder die heiligen Kühe in Indien. Aber damals, in den alten Hochkulturen, wurden Reptilien mit Sicherheit nicht domestiziert und ihre Haltung wurde nicht von einfachen Menschen betrieben, schon gar nicht zum Vergnügen.
In Asien werden seit vielen tausend Jahren Sumpf- und Wasserschildkröten als Symbole von Langlebigkeit, Weisheit und des Glücks verehrt; man hält sie in künstlichen Teichen, aber auch hier steht der religiöse Aspekt im Vordergrund.
Im Mittelmeerraum (und sicherlich auch andernorts) wurden Landschildkröten als lebende Nahrungsreserve gesehen; es spricht sehr viel dafür, dass zahlreiche heutige Populationen auf Ansiedlungen durch antike Völker, vor allem Römern, beruhen. Auch die meisten europäischen Vorkommen des Europäische Chamäleons (Chamaeleo chamaeleon) dürften auf menschliche Aussetzungen von nordafrikanischen oder westasiatischen Tieren (wo die Art, ungeachtet ihres Populärnamens, hauptsächlich vorkommt) zurückgehen. Zu datieren ist das aber nicht.
Ansonsten wurden Jahrtausende lang nur Schlangen in Tempeln gehalten und verehrt; manchmal waren es giftige Arten, häufiger noch aber harmlose. Die Tradition der Schlangenbeschwörer ist bereits sehr alt und geht wohl auch auf den Kobrakult im alten Ägypten zurück. Die dortige Kobra, auch Uraus-Schlange genannt (Naja haje), war Bestandteil der Pharonenkrone, wo sie sowohl als das „dritte Auge“ wie auch als Feindabwehr diente; eine hübsche Auflistung von Schlangenkulten findet man in der Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Schlangen#Symbolik_und_Mythologie
Jenseits von Kult und Religion begann die Reptilienhaltung aber erst mit dem Ende des Mittelalters und der damit einhergehenden Aufklärung. Sie war aber stets (und ist es heute noch) von Aberglauben und Unverständnis seitens der Nicht-Reptilienhalter belastet. Darum waren und sind es recht spezielle Menschen, die sich der Terraristik verschreiben.
Der erste mir bekannte echte Terrarianer, der also Reptilien um ihrer selbst willen, ohne an irgend einen Nutzen zu denken, pflegte, war höchstwahrscheinlich der als Sonnenkönig bekannt gewordene Ludwig XIV von Frankreich, der den Absolutismus als Staatsform lebte („der Staat bin ich“). Da kann man wohl von einem speziellen Menschen sprechen… Ludwig XIV unterhielt eine der ersten modernen Menagerien. Menagerien sind Lebend-Tiersammlungen, in denen die Tiere nur zur Erbauung des Halters gepflegt werden, ohne wissenschaftlichen und Bildungs-Anspruch, wie ihn Zoologische Gärten haben.
Der Louvre in Paris ist eines der bedeutendsten Museen für Kunst auf der Welt. Seine Sammlungen enthalten auch etliche herrliche Zeichnungen, die der niederländische Künstler Pieter Boel (1622 – 1674) in der Menagerie von Ludwig XIV anfertigte. Neben den üblichen Arten, die man in einer solchen Sammlung erwartet, also Huftieren, Affen, Dickhäutern, kleineren Raubtieren, Großkatzen und einer Vielfalt an Vögeln findet sich hier auch das Europäische Chamäleon und die Smaragdeidechse (Lacerta viridis)! Ich finde das sehr, sehr erwähnenswert, denn als „schön“ empfanden die Menschen des 17. Jahrhunderts solche Kriechtiere im allgemeinen nicht. Die Zeichnungen Boels sind so naturgetreu, dass man den in der Menagerie gepflegten Tieren einen ausgezeichneten Gesundheitszustand attestieren kann. Das ist wiederum alles andere als selbstverständlich, da der Begriff „Hygiene“ für Menschen dieser Zeit ein absolutes Fremdwort war. Aber den Tieren ging es offenbar gut, ihre Körperhaltung zeigt, dass sie entspannt und an ihrer Umgebung interessiert sind. Tierquälerisch war die Haltung in der Menagerie von Ludwig dem XIV. sicher nicht.
Dennoch dürften die Chamäleon(s ?) nicht allzu lange dort gelebt haben, denn ein erwachsenes Chamäleon hat nur eine natürliche Lebenserwartung von etwa 2 Jahren. Vor allem die Überwinterung dürfte bei dem damaligen Wissensstand kaum geglückt sein, aber wer weiß? Unterlagen dazu sind nicht überliefert und es ist immerhin vorstellbar, dass man die Tiere in der kalten Jahreszeit in die Orangerien verbrachte, wo sie durchaus überwintern könnten.
Wie dem auch sei: vermutlich war der Sonnenkönig der erste Terrarianer im modernen Sinne!
Frank Schäfer
Ein wunderbarer Prachtband mit Zeichnungen von Pieter Boel wurde von Paola Gallerani bei Officina Libraria herausgegeben ISBN: 978-88-89854-74-7. Hier geht es zur Homepage des Verlages: http://www.officinalibraria.com/home.php
Und mehr Literatur über Chamäleons finden Sie hier: https://www.animalbook.de/navi.php?qs=cham%E4leon
Anzeige