Vorgestern bekam ich fünf muntere Süßwasserkrabben aus Vietnam zur Bestimmung vorgelegt. Die Tiere waren einzeln gepackt und in perfekter Kondition. Trotzdem sah ich der Bestimmungs-Aufgabe mit einigem Bangen entgegen, denn ganz grundsätzlich ist eine richtig genaue Bestimmung von Krabben oft nur dann möglich, wenn man die Geschlechtsbeine (Gonopoden) der Männchen untersucht. Dazu muss man das zu untersuchende Tier entweder abtöten oder eine Häutung abwarten und die Haut bergen. Und auch wenn man die Gonopode des Männchens hat, muss man sich ziemlich intensiv eingucken, um die Art wirklich zu erkennen. Ich bin Ichthyologe, kein Krabbenkundler. Der Lieferant will aber natürlich möglichst schnell wissen, um was es sich da handelt. Auf eine Häutung kann ich also nicht warten und das Abtöten eines gesunden Tieres ist mir zuwider und kommt nicht in Frage.
Es muss also so gehen. Die Anzahl der wissenschaftlich bekannten Süßwasserkrabbenarten aus dem tropischen und subtropischen Asien ist in den letzten Jahrzehnten geradezu explodiert, ebenso die Beschreibung neuer Gattungen. Das hängt mit ihrer medizinischen Bedeutung zusammen. Süßwasserkrabben werden überall, wo sie vorkommen, gegessen. Und es gibt sie praktisch in jedem Gewässer. Man isst sie oft roh als Snack zwischendurch und nun wird es gefährlich: man kann sich dabei mit einem Lungenwurm infizieren. Weltweit leiden über 20 Millionen Menschen an dieser oft schwer verlaufenden Lungenerkrankung, der Paragonimiasis. Um eine vernünftige Gesundheitsprophylaxe treiben zu können muss man die Krabben-Arten kennen, eine absolute Grundvoraussetzung für ihre Erforschung.
Eines ist also klar: da die Krabbenforscher früher ja auch nicht doof oder untätig waren, sehen sich sehr viele Arten sehr ähnlich, sonst wären sie ja nicht erst jetzt als eigenständige Arten erkannt worden.
Mein erster Gedanke, als ich die Krabben anschaute war: Demanietta. Wegen der schönen Gesichtsmaske. Aber aus dieser Gattung sind keine Arten aus Vietnam bekannt. Und als ich die Revision von Demanietta von Yeo, Naiyanetr und Ng studierte fiel mir auf, dass meine Vietnamesen verglichen mit Demanietta einen extrem hohen Carapax und kaum ausgeprägte Carapaxkanten besitzen. Die Vietnamesen sehen diesbezüglich fast wie Landkrabben (Cardisoma etc.) aus! Ich recherchierte weiter in diese Richtungund stieß auf die Revision der Gattung Hainanpotamon von Yeo Und Naruse (2007). Die sahen meinen Tiere doch arg ähnlich! Und da gibt es auch Arten aus Vietnam, nämlich H. glabrum, H. rubrum und H. auriculatum. In dieser Arbeit fand ich aber einen weiteren Hinweis: die Gattung Laevimon ist sehr ähnlich zu Hainanpotamon und beide bekannten Laevimon-Arten kommen aus Vietnam!
Also noch ein Krabbenpaper studieren, diesmal dachte ich aber sofort: die isses! Laevimon kottelati! Alles passt. Die Art ist zwar sehr ähnlich zu der ebenfalls aus Vietnam stammenden L. tankiense, doch ergab der Quotient Carpax-Länge zu -Breite (ausgemessen am Photo) einen Wert von 1,33, also L. kottelati (L. tankiense hat einen Quotienten von 1,43-1,52, ist also viel breiter).
Nun wollte ich natürlich meine Bestimmung noch durch einen Photoabgleich lebender Tiere verifizieren, aber im Netz konnte ich keine Bilder finden. So können wir hier also mit einigem Stolz präsentieren: einen Erstimport (durch Aquarium Glaser), eine erfolgreiche Bestimmung ohne Todesopfer und die ersten Lebendfotos dieser hübschen Art! Laevimon kottelati lebt an Flussufern und führt eine semiaquatische Lebensweise. Meine fünf Bestimmungsexemplare (3,2) bezogen ein Becken mit einer Bodenfläche von 60 x 60 cm und reichlich Versteckmöglichkeiten und Ausstiegsmöglichkeiten. Krabben kann man leider nicht trauen – aber mal sehen, vielleicht vertragen sie sich ja einigermaßen und wir können eines Tages an dieser Stelle von einer weiteren Premiere berichten: der Erstzucht….
Frank Schäfer
Literatur:
Yeo, D. C. J., Naiyanetr, P. & P. K. L. Ng (1999): Revision of the waterfall crabs of the genus Demanietta (Decapoda: Brachyura: Potamonidae). Journal of Crustcean Biology 19 (3): 530-555
Yeo, D. C. J. & T. Naruse (2007): A Revision of the Freshwater Crab Genus Hainanpotamon Dai, 1995 (Crustacea: Decapoda: Brachyura: Potamidae: Potamiscinae), with a Redescription of Potamon (Potamon) orientale (Parisi, 1916) and Descriptions of Three New Species. Zoologcal Science 24: 1143-1158
Yeo, D. C. J. & P. K. L. Ng (2005): On a new genus and species of freshwater crab from Vietnam, with comments on the nomenclatural status of Orientala Dang, 1975 (Crustacea: Brachyura: Potamidae: Potamiscinae). Zootaxa 917: 1-15.
Yeo, D. C. J. & P. K. L. Ng (2007): On the genus „Potamon“ and allies in Indochina (Crustacea: Decapoda: Brachyura: Potamidae). The Raffles Bulletin of Zoology Supplement No 16: 273-308
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