Obwohl in der aquaristischen Fachliteratur über lebendgebärende Zahnkarpfen nichts in dieser Richtung zu lesen ist, kursieren im Internet und sogar auf manchen Vorbereitungsschulungen für die Erlaubnis zum Handel mit Tieren die abstruse Empfehlung, lebendgebärende Zahnkarpfen am besten immer im Verhältnis ein Männchen zu drei Weibchen (= 1:3) zu verkaufen.
Dies wird vor allem mit dem permanenten Werben und Balzen der Männchen begründet. Durch einen Weibchen-Überschuss soll sich dieser Druck gleichmäßig verteilen und somit den negativen Stress für das einzelne Weibchen vermindern.
Was sagt die Wissenschaft dazu?
Man hat in der Vergangenheit in mehreren wissenschaftlichen Arbeiten gefunden, dass genau das Gegenteil der Fall ist und ein Überschuss an Männchen für die Weibchen viel schonender ist. Diese Studien wurden in den 1940er und 1950er Jahren durchgeführt. Ziel der Arbeiten war es, die wissenschaftlichen Voraussetzungen für die optimale Laborhaltung von Platys und Schwertträgern zu finden. Denn man hatte herausgefunden, dass bestimmte Kreuzungen zwischen Platy und Schwertträger zu Krebserkrankungen bei den Nachkommen führten. Das war eine revolutionäre Entdeckung, die die Krebsforschung nach vorn katapultierte. Der an diesen Modellorganismen gewonnenen Erkenntnissen verdanken Millionen von an Krebs erkrankten Menschen ihr Leben.
Man fand, dass bei Platys die aggressiven Interaktionen zwischen Männchen und Weibchen vergleichbar waren, also: Weibchen beißen einander genau so oft wie Männchen und zwar unabhängig davon, ob sie in reinen Männchen- oder reinen Weibchengruppen oder in geschlechtlich gemischten Gruppen gepflegt werden. Bei der Kreuzung von Platys und Schwertträgern werden übrigens Verhaltenseigenschaften artrein vererbt. Das bedeutet, dass auch Schwertträger, die ihre Färbung einer Platyeinkreuzung verdanken, das typische, artspezifische Schwertträger-Verhalten zeigen und diesbezüglich nicht von reinrassigen Schwertträgern zu unterscheiden sind. Das gleiche gilt für Platys: sie haben immer das artspezifische Platy-Verhalten, auch wenn sie unter ihren Vorfahren Schwertträger-Einkreuzungen haben.
Was passiert bei Männchenüberschuss?
Wenn man etwas darüber nachdenkt, warum ein Männchenüberschuss für die Weibchen schonender ist, kann man das auch ganz einfach selbst nachvollziehen, ohne eine dieser trockenen Studien gelesen zu haben oder gar selbst Biologe zu sein. Hält man mehrere Männchen der genannten Arten in einem Aquarium, versucht jedes Männchen durch Rivalisieren mit anderen Männchen die Aufmerksamkeit der Weibchen auf sich zu ziehen und einen Harem um sich zu scharen. Die meiste Zeit sind die Männchen untereinander beschäftigt und haben nicht viele Gelegenheiten ein Weibchen zu umwerben. Kaum fangen sie an vor einem Weibchen zu balzen, kommt auch schon der Nachbar angeschossen, um ihm die Frau auszuspannen. Da die beiden Männchen nur noch Augen für den Kontrahenten haben, ist das für die bedrängte Dame natürlich die ideale Gelegenheit sich aus dem Staub zu machen, falls sie nicht wirklich paarungsbereit und willig ist.
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Männchenüberschuss ist gesund!
So können sich die besten Gene durchsetzen. Die schwächeren Männchen werden kaum einmal dazu kommen, sich fortzupflanzen. Die Weibchen werden kräftige und vitale Jungfische gebären.
Die immer im Zoofachhandel vorhandenen Arten der Lebendgebärenden verteilen sich auf mehrere Arten, die man kennen sollte. Denn jede Art hat ihr spezifisches Verhalten und auch das muss bei der Anzahl der Männchen im Verhältnis zur Anzahl Weibchen berücksichtigt werden.
Guppys Alle Guppys im Aquarium gehören den Arten Poecilia reticulata und P. wingei sowie deren Hybriden an. Für alle Guppys gilt uneingeschränkt das oben gesagte: Männchenüberschuss hat sehr günstige Auswirkungen auf den Stamm.
Platys
Die im Aquarium gepflegten Platys gehören zwei Arten an: Xiphophorus maculatus und X. variatus. Untereinander werden sie nicht gekreuzt und zumindest bezüglich des Verhaltens sind beide Arten reinerbig. Auch für die beiden Platy-Arten gilt uneingeschränkt die Empfehlung: paarig oder mit Männchenüberschuss pflegen.
Schwertträger
Platys und Schwertträger gehören zur gleichen Gattung, Xiphophorus, die insgesamt 28 Arten umfasst. Als ”Schwertträger” im Handel ist aber nur Xiphophorus hellerii, die anderen Arten werden so selten gepflegt, dass sie als Raritäten gelten und nur bei Spezialisten anzutreffen sind. Schwertträger-Männchen sind im Gegensatz zu den Guppys und Platys untereinander sehr ruppig. Dominante Männchen können unterlegene Tiere so unterdrücken, dass diese an den Folgen sterben. Darum sollte man in Aquarien bis 60 cm Länge (Standardmaße) nur ein Männchen pflegen, das man aber durchaus mit mehreren Weibchen kombinieren kann. Vermutlich hat sich aus dieser Erfahrung heraus die falsche Allgemeinempfehlung, Lebendgebärende im Geschechterverhältnis (Männchen : Weibchen) 1:3 zu pflegen, gebildet. In ausreichend großen Aquarien, die die Pflege von 10-15 Tieren erlauben, gilt aber auch für den Schwertträger, dass fünf oder mehr Männchen gemeinsam gepflegt werden sollten. Weniger als fünf Männchen sollten es aber nie sein, denn sonst mobbt das dominante Tier auch in sehr großen Aquarien zu stark seine Geschlechtsgenossen.
Mollies
Mollies gehen im Wesentlichen auf drei Stammarten zurück: den Spitzmaulkärpfling Poecilia sphenops, den Breitflossenkärpfling P. latipinna und den Segelkärpfling P. velifera. Während der Spitzmaulkärpfling wie Guppy und Platy zu pflegen ist, sollte man Breitflossen- und Segelkärpfling wie Schwertträger pflegen. Man kann die drei Arten an der Form der aufgerichteten Rückenflosse der Männchen unterscheiden, also dann, wenn die Männchen untereinander imponieren. Kreuzungen, bei denen die Männchen große Rückenflossen entwickeln, sollten wie reinrassige Breitflossen- oder Segelkärpflinge gepflegt werden.
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Der Tierschutz
Die Argumentation, die Weibchen würden bei Männchenüberschuss durch die stets paarungsbereiten Männchen zu stark belästigt, ist vermenschlichend und aus wissenschaftlicher Sicht falsch. Somit ist sie auch ohne Tierschutz-Relevanz im rechtlichen Sinne. Da bei Lebendgebärenden Zahnkarpfen Männchen und Weibchen in etwa im Verhältnis 1:1 auf die Welt kommen und alle im Handel befindlichen Tiere ausschließlich Nachzuchtexemplare sind, ist aus Tierschutzsicht der paarige Verkauf als optimal anzusehen, denn wohin sonst mit den überzähligen Exemplaren? Die Konsequenz aus allem muss also sein: Kaufen Sie Platys, Guppys und kleine Mollies paarig oder mit Männchenüberschuss. Nur bei kleineren Aquarien, in denen nur wenige Exemplare gepflegt werden können, ist bei Schwertträgern und den großen Mollies wegen der Unverträglichkeit der Männchen untereinander dazu zu raten, nur ein ausgewachsenes Männchen pro Becken zu pflegen. Aber auch für diese Arten ist in ausreichend großen Aquarien (ab 120 cm Länge, Standardmaße) eine Pflege in gemischten Gruppen günstiger, nur dürfen erfahrungsgemäß nicht weniger als fünf Männchen vorhanden sein, damit sich nicht ein Exemplar zum Tyrannen aufschwingt. Die Weibchenanzahl ist nebensächlich.
Frank Schäfer
PS: Wie bildet man grammatikalisch richtig den Plural von Guppy, Platy und Molly?
Die Populärnamen „Platy“ und „Molly“ sind umgangssprachliche Verkürzungen, so genannte Verballhornungen der wissenschaftlichen Gattungsnamen Platypoecilus und Mollienesia. Beide Gattungsnamen sind heutzutage nicht mehr in Verwendung, Platypoecilus gilt als Synonym zu Xiphophorus, Mollienesia als Synonym zu Poecilia. Da „Platy“ eine von deutschen Aquarianern erfundene Kurzform von Platypoecilus ist, wird der Plural im Deutschen durch ein einfaches Anhängen ein „s“ gebildet, also „der Platy“ und „die Platys“. Beim Molly ist das etwas anders. Dieser Name wurde im Englischen erfunden. Dort wird bei Pluralbildung ein am Endes des Wortes befindliches „y“ durch „ies“ ersetzt, also „der Molly“ und „die Mollies“. Das ist auch deshalb besser, weil der Wortursprung „Mollienesia“ ein Widmungsname ist, geprägt zu Ehren des französischen Finanzministers Nicolas François, Count Mollien, einem – wie der Namensgeber Lesueur sagt – Mann der Wissenschaft und Förderer des berühmten Peron. Beim Guppy liegen die Dinge nochmal anders. Dieser Name leitet sich von einem Artnamen ab, nämlich Girardinus guppii, geprägt zu Ehren des Entdeckers, des Robert John Lechmere Guppy. Auch dieser Name ist heutzutage nicht mehr gültig, sondern ein Synonym zu Poecilia reticulata, aber in den ersten Jahren der frühen aquaristischen Karriere des Millionenfisches galt er. Und weil „Guppy“ nun einmal ein Eigenname ist, wird im Plural nur ein „s“ angehängt, also „der Guppy“ und „die Guppys“.
Literatur:
Aquaristische Nachschlagewerke:
Gärtner, G. (1981): Zahnkarpfen. Die Lebendgebärenden im Aquarium. Stuttgart: 116-117
Gentzsch, D. (2004): Xiphophorus und Xiphophorus maculatus. In Schaefer, C. & T. Schroer (Hrg.): Das große Lexikon der Aquaristik. Stuttgart: 984-985, 989
Jacobs, K. (1969): Die lebendgebärenden Fische der Süßgewässer. Edition Leipzig
Kempkes, M. (1999): Lebendgebärende Zahnkarpfen. Datz-Aquarienbücher. Stuttgart: 11-15, 27-28, 45
Kempkes, M. & F. Schäfer (1998): Alle Lebendgebärenden / all livebearers and halfbeaks. Aqualog, Mörfelden-Walldorf
Meyer, M. K., Wischnath, L. & W. Foerster (1985): Lebendgebärende Zierfische. Arten der Welt. Haltung, Pflege, Zucht. Melle: 378-380
Reuter, F. (1911): Die fremdländischen Zierfische in Wort und Bild. Ein Atlas sämtlicher bisher bei uns eingeführter Zierfische. Unter Mitwirkung von Dr. W. Wolterstorff. Stuttgart: 127, 128, 136
Riehl, R. & H. A. Baensch (1990): Aquarien Atlas. 8. Auflage, 5. Taschenbuchausgabe. Melle: 610-611
Stallknecht, H. (2000): Lebendgebärende Zahnkarpfen. Bissendorf-Wulften: 36-51, 110-111
Wissenschaftliche Literatur
Braddock, J. C. (1945): Some Aspects of the Dominance-Subordination Relationship in the Fish Platypoecilus maculatus. Physiological Zoology 18 (2): 176-195
Braddock, J. C. (1949): The Effect of Prior Residence upon Dominance in the Fish Platypoecilus maculatus. Physiological Zoology 22 (2): 161-169
Clark, E., Aronson, L. R. & M. Gordon (1954): Mating behaviour patterns in two sympatric species of xiphophorin fishes: their inheritance and significance in sexual isolation. Bulletin of the American Museum of Natural History 103 (2): 135-226
Gordon, M. (1934): Wild Types in the Platyfish. In: The Genetics Society of America. The American Naturalist 68 (715): 174-175
Kang, J. H., Schartl, M., Walter, R. & A. Meyer (2013): Comprehensive phylogenetic analysis of all species of swordtails and platies (Pisces: Genus Xiphophorus) uncovers a hybrid origin of a swordtail fish, Xiphophorus monticolus, and demonstrates that the sexually selected sword originated in the ancestral lineage of the genus, but was lost again secondarily. BMC Evolutionary Biology 2013, 13 (25): 19 pp
Miller, R. R. (2005): Freshwater Fishes of Mexico. The University of Chicago Press. 490 pp.
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